Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

harten Arbeit des Tages ausruht. Denn wer mochte sich hier behäbig nie¬
derlassen, wo der Blick von jedem Hügel das feindliche Land zeigte? Nament¬
lich aber gewinnt er jetzt erst den natürlichen Zusammenhang. Der Strom
des Lebens war bisher auf das peinlichste eingeklemmt. Was kann eine
durchschnittlich vier Stunden breite Ebene von fünfzig Stunden Länge, im
Osten von den vielfach steil aufsteigenden Höhen des Schwarzwaldes, im
Westen von der französischen, im Süden von der schweizer Gren ze eingeschlossen
anfangen? Diese widernatürliche Lage darf Niemand vergessen, der die innere
Entwicklung Badens gerecht beurtheilen will. Dieselbe ist keineswegs eine
so durchaus beneidenswerthe gewesen, wie Viele meinen. Dem politischen
Wollen haben viele unentbehrliche Grundelemente auf socialem und wirth¬
schaftlichem Gebiet gefehlt. Ein großes städtisches Wesen konnte auf diesem
engen Streifen nicht empor kommen, auch den ländlichen Verhältnissen man¬
gelte der höhere Impuls. Die Industrie blieb sehr weit hinter dem zurück,
was drüben im Elsaß geleistet wurde. Zwar ging jeden Sommer ein unge¬
heurer Fremdenstrom durch das Land und warf in den Bädern sein Gold
verschwenderisch aus; aber zu dauernder Ansiedlung konnte sich der Deutsche
anderer Gegenden verhältnißmäßig nur selten entschließen. Auch in den
Bädern spielte der Ausländer, namentlich der Franzose, die erste Rolle. Die
Bevölkerung stand hier unter einem starken französischen, dort unter schwei¬
zerischem Einflüsse. Daß einst die Liberalen sehnsüchtig nach Paris blickten,
war freilich schlimm, leider aber auch erklärlich. Wie dünn war der Faden, durch
den man mit Deutschland zusammenhing! Von Würtemberg trennte das Gebirge
und verschiedene Sinnesart; alle natürlichen Beziehungen gingen nach dem
Elsaß und damit nach Frankreich, von dem dann doch wieder die Politik und
der Zoll schied. Es war mit einem Worte eine durch und durch ungesunde
Existenz.

Ihre Beseitigung muß dem badischen Lande unendlichen Gewinn bringen.
Nicht viel weniger aber dem Elsaß. Da dieses Gebiet in dem großen Ganzen,
dem es angeschlossen wurde, duich Fruchtbarkeit des Bodens, Rührigkeit und
Tüchtigkeit der Bevölkerung, durch die gesunde deutsche Art und protestan¬
tische Bildung wenigstens eines beträchtlichen Bruchtheils hervorragte, so er¬
langte es in mancher Beziehung eine sehr günstige,Stellung. Das materielle
Gedeihen ließ wenig zu wünschen übrig. Industrie und Ackerbau entfalteten
sich um die Wette. Wie manche elsässische Locomotive lief auf badischen
Bahnen! Von dem feinen Gemüse der Straßburger Gärtner lebten die
Bäder des Schwarzwalds, denn Gärtnerei ist seltsamer Weise in Baden so
gut wie unbekannt. Wer in den badischen Städten gutes und zugleich preis¬
würdiges Schuhwerk haben wollte, fuhr nach Straßburg, wo sich auch Viele
mit Kleidern versahen. Vor Allem aber producirte Mülhausen für einen


harten Arbeit des Tages ausruht. Denn wer mochte sich hier behäbig nie¬
derlassen, wo der Blick von jedem Hügel das feindliche Land zeigte? Nament¬
lich aber gewinnt er jetzt erst den natürlichen Zusammenhang. Der Strom
des Lebens war bisher auf das peinlichste eingeklemmt. Was kann eine
durchschnittlich vier Stunden breite Ebene von fünfzig Stunden Länge, im
Osten von den vielfach steil aufsteigenden Höhen des Schwarzwaldes, im
Westen von der französischen, im Süden von der schweizer Gren ze eingeschlossen
anfangen? Diese widernatürliche Lage darf Niemand vergessen, der die innere
Entwicklung Badens gerecht beurtheilen will. Dieselbe ist keineswegs eine
so durchaus beneidenswerthe gewesen, wie Viele meinen. Dem politischen
Wollen haben viele unentbehrliche Grundelemente auf socialem und wirth¬
schaftlichem Gebiet gefehlt. Ein großes städtisches Wesen konnte auf diesem
engen Streifen nicht empor kommen, auch den ländlichen Verhältnissen man¬
gelte der höhere Impuls. Die Industrie blieb sehr weit hinter dem zurück,
was drüben im Elsaß geleistet wurde. Zwar ging jeden Sommer ein unge¬
heurer Fremdenstrom durch das Land und warf in den Bädern sein Gold
verschwenderisch aus; aber zu dauernder Ansiedlung konnte sich der Deutsche
anderer Gegenden verhältnißmäßig nur selten entschließen. Auch in den
Bädern spielte der Ausländer, namentlich der Franzose, die erste Rolle. Die
Bevölkerung stand hier unter einem starken französischen, dort unter schwei¬
zerischem Einflüsse. Daß einst die Liberalen sehnsüchtig nach Paris blickten,
war freilich schlimm, leider aber auch erklärlich. Wie dünn war der Faden, durch
den man mit Deutschland zusammenhing! Von Würtemberg trennte das Gebirge
und verschiedene Sinnesart; alle natürlichen Beziehungen gingen nach dem
Elsaß und damit nach Frankreich, von dem dann doch wieder die Politik und
der Zoll schied. Es war mit einem Worte eine durch und durch ungesunde
Existenz.

Ihre Beseitigung muß dem badischen Lande unendlichen Gewinn bringen.
Nicht viel weniger aber dem Elsaß. Da dieses Gebiet in dem großen Ganzen,
dem es angeschlossen wurde, duich Fruchtbarkeit des Bodens, Rührigkeit und
Tüchtigkeit der Bevölkerung, durch die gesunde deutsche Art und protestan¬
tische Bildung wenigstens eines beträchtlichen Bruchtheils hervorragte, so er¬
langte es in mancher Beziehung eine sehr günstige,Stellung. Das materielle
Gedeihen ließ wenig zu wünschen übrig. Industrie und Ackerbau entfalteten
sich um die Wette. Wie manche elsässische Locomotive lief auf badischen
Bahnen! Von dem feinen Gemüse der Straßburger Gärtner lebten die
Bäder des Schwarzwalds, denn Gärtnerei ist seltsamer Weise in Baden so
gut wie unbekannt. Wer in den badischen Städten gutes und zugleich preis¬
würdiges Schuhwerk haben wollte, fuhr nach Straßburg, wo sich auch Viele
mit Kleidern versahen. Vor Allem aber producirte Mülhausen für einen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0117" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124823"/>
          <p xml:id="ID_369" prev="#ID_368"> harten Arbeit des Tages ausruht. Denn wer mochte sich hier behäbig nie¬<lb/>
derlassen, wo der Blick von jedem Hügel das feindliche Land zeigte? Nament¬<lb/>
lich aber gewinnt er jetzt erst den natürlichen Zusammenhang. Der Strom<lb/>
des Lebens war bisher auf das peinlichste eingeklemmt. Was kann eine<lb/>
durchschnittlich vier Stunden breite Ebene von fünfzig Stunden Länge, im<lb/>
Osten von den vielfach steil aufsteigenden Höhen des Schwarzwaldes, im<lb/>
Westen von der französischen, im Süden von der schweizer Gren ze eingeschlossen<lb/>
anfangen? Diese widernatürliche Lage darf Niemand vergessen, der die innere<lb/>
Entwicklung Badens gerecht beurtheilen will. Dieselbe ist keineswegs eine<lb/>
so durchaus beneidenswerthe gewesen, wie Viele meinen. Dem politischen<lb/>
Wollen haben viele unentbehrliche Grundelemente auf socialem und wirth¬<lb/>
schaftlichem Gebiet gefehlt. Ein großes städtisches Wesen konnte auf diesem<lb/>
engen Streifen nicht empor kommen, auch den ländlichen Verhältnissen man¬<lb/>
gelte der höhere Impuls. Die Industrie blieb sehr weit hinter dem zurück,<lb/>
was drüben im Elsaß geleistet wurde. Zwar ging jeden Sommer ein unge¬<lb/>
heurer Fremdenstrom durch das Land und warf in den Bädern sein Gold<lb/>
verschwenderisch aus; aber zu dauernder Ansiedlung konnte sich der Deutsche<lb/>
anderer Gegenden verhältnißmäßig nur selten entschließen. Auch in den<lb/>
Bädern spielte der Ausländer, namentlich der Franzose, die erste Rolle. Die<lb/>
Bevölkerung stand hier unter einem starken französischen, dort unter schwei¬<lb/>
zerischem Einflüsse. Daß einst die Liberalen sehnsüchtig nach Paris blickten,<lb/>
war freilich schlimm, leider aber auch erklärlich. Wie dünn war der Faden, durch<lb/>
den man mit Deutschland zusammenhing! Von Würtemberg trennte das Gebirge<lb/>
und verschiedene Sinnesart; alle natürlichen Beziehungen gingen nach dem<lb/>
Elsaß und damit nach Frankreich, von dem dann doch wieder die Politik und<lb/>
der Zoll schied. Es war mit einem Worte eine durch und durch ungesunde<lb/>
Existenz.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_370" next="#ID_371"> Ihre Beseitigung muß dem badischen Lande unendlichen Gewinn bringen.<lb/>
Nicht viel weniger aber dem Elsaß. Da dieses Gebiet in dem großen Ganzen,<lb/>
dem es angeschlossen wurde, duich Fruchtbarkeit des Bodens, Rührigkeit und<lb/>
Tüchtigkeit der Bevölkerung, durch die gesunde deutsche Art und protestan¬<lb/>
tische Bildung wenigstens eines beträchtlichen Bruchtheils hervorragte, so er¬<lb/>
langte es in mancher Beziehung eine sehr günstige,Stellung. Das materielle<lb/>
Gedeihen ließ wenig zu wünschen übrig. Industrie und Ackerbau entfalteten<lb/>
sich um die Wette. Wie manche elsässische Locomotive lief auf badischen<lb/>
Bahnen! Von dem feinen Gemüse der Straßburger Gärtner lebten die<lb/>
Bäder des Schwarzwalds, denn Gärtnerei ist seltsamer Weise in Baden so<lb/>
gut wie unbekannt. Wer in den badischen Städten gutes und zugleich preis¬<lb/>
würdiges Schuhwerk haben wollte, fuhr nach Straßburg, wo sich auch Viele<lb/>
mit Kleidern versahen. Vor Allem aber producirte Mülhausen für einen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0117] harten Arbeit des Tages ausruht. Denn wer mochte sich hier behäbig nie¬ derlassen, wo der Blick von jedem Hügel das feindliche Land zeigte? Nament¬ lich aber gewinnt er jetzt erst den natürlichen Zusammenhang. Der Strom des Lebens war bisher auf das peinlichste eingeklemmt. Was kann eine durchschnittlich vier Stunden breite Ebene von fünfzig Stunden Länge, im Osten von den vielfach steil aufsteigenden Höhen des Schwarzwaldes, im Westen von der französischen, im Süden von der schweizer Gren ze eingeschlossen anfangen? Diese widernatürliche Lage darf Niemand vergessen, der die innere Entwicklung Badens gerecht beurtheilen will. Dieselbe ist keineswegs eine so durchaus beneidenswerthe gewesen, wie Viele meinen. Dem politischen Wollen haben viele unentbehrliche Grundelemente auf socialem und wirth¬ schaftlichem Gebiet gefehlt. Ein großes städtisches Wesen konnte auf diesem engen Streifen nicht empor kommen, auch den ländlichen Verhältnissen man¬ gelte der höhere Impuls. Die Industrie blieb sehr weit hinter dem zurück, was drüben im Elsaß geleistet wurde. Zwar ging jeden Sommer ein unge¬ heurer Fremdenstrom durch das Land und warf in den Bädern sein Gold verschwenderisch aus; aber zu dauernder Ansiedlung konnte sich der Deutsche anderer Gegenden verhältnißmäßig nur selten entschließen. Auch in den Bädern spielte der Ausländer, namentlich der Franzose, die erste Rolle. Die Bevölkerung stand hier unter einem starken französischen, dort unter schwei¬ zerischem Einflüsse. Daß einst die Liberalen sehnsüchtig nach Paris blickten, war freilich schlimm, leider aber auch erklärlich. Wie dünn war der Faden, durch den man mit Deutschland zusammenhing! Von Würtemberg trennte das Gebirge und verschiedene Sinnesart; alle natürlichen Beziehungen gingen nach dem Elsaß und damit nach Frankreich, von dem dann doch wieder die Politik und der Zoll schied. Es war mit einem Worte eine durch und durch ungesunde Existenz. Ihre Beseitigung muß dem badischen Lande unendlichen Gewinn bringen. Nicht viel weniger aber dem Elsaß. Da dieses Gebiet in dem großen Ganzen, dem es angeschlossen wurde, duich Fruchtbarkeit des Bodens, Rührigkeit und Tüchtigkeit der Bevölkerung, durch die gesunde deutsche Art und protestan¬ tische Bildung wenigstens eines beträchtlichen Bruchtheils hervorragte, so er¬ langte es in mancher Beziehung eine sehr günstige,Stellung. Das materielle Gedeihen ließ wenig zu wünschen übrig. Industrie und Ackerbau entfalteten sich um die Wette. Wie manche elsässische Locomotive lief auf badischen Bahnen! Von dem feinen Gemüse der Straßburger Gärtner lebten die Bäder des Schwarzwalds, denn Gärtnerei ist seltsamer Weise in Baden so gut wie unbekannt. Wer in den badischen Städten gutes und zugleich preis¬ würdiges Schuhwerk haben wollte, fuhr nach Straßburg, wo sich auch Viele mit Kleidern versahen. Vor Allem aber producirte Mülhausen für einen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/117
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/117>, abgerufen am 23.12.2024.