Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.bekannt, daß Preußen zunächst einem kühnen Vorbrechen der Franzosen fast Aber mit dieser steten Unsicherheit war es nicht genug. Das Gedeihen Kein Deutscher Staat hat in den letzten Jahren mehr gewagt und es bekannt, daß Preußen zunächst einem kühnen Vorbrechen der Franzosen fast Aber mit dieser steten Unsicherheit war es nicht genug. Das Gedeihen Kein Deutscher Staat hat in den letzten Jahren mehr gewagt und es <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0116" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124822"/> <p xml:id="ID_366" prev="#ID_365"> bekannt, daß Preußen zunächst einem kühnen Vorbrechen der Franzosen fast<lb/> ganz Baden und die Rheinpfalz hätte preisgeben müssen; wie auch die wei¬<lb/> teren militärischen Consequenzen gewesen sein möchten, zunächst hätte das<lb/> gesegnete Land die unbarmherzige Faust der Feinde empfunden, von denen<lb/> seit Jahren bekannt war, daß sie Baden exemplarisch zu züchtigen im Sinne<lb/> trugen.</p><lb/> <p xml:id="ID_367"> Aber mit dieser steten Unsicherheit war es nicht genug. Das Gedeihen<lb/> des Menschen ruht überall auf starken natürlichen Grundlagen, die nicht<lb/> verrückt werden dürfen, wenn nicht seine gesammte Existenz Schaden nehmen<lb/> soll. Kaum irgendwo aber kann die Natur vernehmlicher gesprochen haben,<lb/> als in der weiten oberrheinischen Ebene. Wenn irgend ein Land durchaus<lb/> zusammen gehört, so sind es die beiden Ufer des Rheins von Basel bis<lb/> Mainz. Indem sie die Gewalt Ludwigs XIV. auseinander riß, verstopfte<lb/> er die Ouelle ihrer gesunden Entwicklung. Und indem später Napoleon die<lb/> Rheinbundsstaaten in französischem Interesse bildete und das Großherzogthum<lb/> Baden wie einen langen schmalen Streifen am Rhein hinlegte, verschlimmerte<lb/> er das Werk des Bourbonen. Eine unnatürlichere Staatsbildung ist gar<lb/> nicht zu denken. Vor Allem war dafür gesorgt, daß dieses zwischen Berg und<lb/> Fluß eng eingeklemmte Land nie daran denken könne, in einem Krieg zwischen<lb/> Frankreich und Deutschland gegen Frankreich zu stehn, unter dessen Kanonen<lb/> es lag, wie ein Glacis von Straßburg, Schlettstadt und Breisach. Indem<lb/> das Land trotzdem oder auch eben deswegen seit dem Auftauchen der deut¬<lb/> schen Frage mit kaum unterbrochener Beharrlichkeit auf die Herstellung des<lb/> deutschen Staats im antifranzösischen Sinne hinarbeitete und sich dem wahren<lb/> Führer und Mehrer des Reichs, Preußen, ungeduldig anschloß, steigerte es<lb/> natürlich die Gefährlichkeit seiner Lage, bis das Ziel erreicht war, abermals.<lb/> Daß unter solchen Umständen die badische Regierung seit vier Jahren keinen<lb/> Augenblick und am wenigsten in der großen Krisis des letzten Juli, ich möchte<lb/> sagen nur mit dem Auge gezuckt hat, wird die Zukunft vielleicht als nicht<lb/> ganz gewöhnliche Entschlossenheit anerkennen.</p><lb/> <p xml:id="ID_368" next="#ID_369"> Kein Deutscher Staat hat in den letzten Jahren mehr gewagt und es<lb/> ist daher nur billig, daß ihm die Frucht des Gelingens am reichsten zu Theil<lb/> wird. Das aber muß in jeder Hinsicht der Fall sein. Denn mit der Wie¬<lb/> dergewinnung des Elsaß erlangt der Oberrhein die seit zweihundert Jahren<lb/> verlorenen Grundlagen seines Gedeihens zurück. Er wird aus jener uner¬<lb/> träglichen Situation befreit, bei jeder Störung des Friedens den feindlichen<lb/> Einbruch gewärtigen zu müssen. Er erlangt die Sicherheit, welche man die<lb/> erste Vorbedingung alles menschlichen Wohls nennen kann. Er gewinnt jetzt<lb/> erst die Fähigkeit wirklich zu sein, wozu ihn die Natur bestimmt zu haben<lb/> scheint: der Garten, der Landsitz des deutschen Volkes, in dem es nach der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0116]
bekannt, daß Preußen zunächst einem kühnen Vorbrechen der Franzosen fast
ganz Baden und die Rheinpfalz hätte preisgeben müssen; wie auch die wei¬
teren militärischen Consequenzen gewesen sein möchten, zunächst hätte das
gesegnete Land die unbarmherzige Faust der Feinde empfunden, von denen
seit Jahren bekannt war, daß sie Baden exemplarisch zu züchtigen im Sinne
trugen.
Aber mit dieser steten Unsicherheit war es nicht genug. Das Gedeihen
des Menschen ruht überall auf starken natürlichen Grundlagen, die nicht
verrückt werden dürfen, wenn nicht seine gesammte Existenz Schaden nehmen
soll. Kaum irgendwo aber kann die Natur vernehmlicher gesprochen haben,
als in der weiten oberrheinischen Ebene. Wenn irgend ein Land durchaus
zusammen gehört, so sind es die beiden Ufer des Rheins von Basel bis
Mainz. Indem sie die Gewalt Ludwigs XIV. auseinander riß, verstopfte
er die Ouelle ihrer gesunden Entwicklung. Und indem später Napoleon die
Rheinbundsstaaten in französischem Interesse bildete und das Großherzogthum
Baden wie einen langen schmalen Streifen am Rhein hinlegte, verschlimmerte
er das Werk des Bourbonen. Eine unnatürlichere Staatsbildung ist gar
nicht zu denken. Vor Allem war dafür gesorgt, daß dieses zwischen Berg und
Fluß eng eingeklemmte Land nie daran denken könne, in einem Krieg zwischen
Frankreich und Deutschland gegen Frankreich zu stehn, unter dessen Kanonen
es lag, wie ein Glacis von Straßburg, Schlettstadt und Breisach. Indem
das Land trotzdem oder auch eben deswegen seit dem Auftauchen der deut¬
schen Frage mit kaum unterbrochener Beharrlichkeit auf die Herstellung des
deutschen Staats im antifranzösischen Sinne hinarbeitete und sich dem wahren
Führer und Mehrer des Reichs, Preußen, ungeduldig anschloß, steigerte es
natürlich die Gefährlichkeit seiner Lage, bis das Ziel erreicht war, abermals.
Daß unter solchen Umständen die badische Regierung seit vier Jahren keinen
Augenblick und am wenigsten in der großen Krisis des letzten Juli, ich möchte
sagen nur mit dem Auge gezuckt hat, wird die Zukunft vielleicht als nicht
ganz gewöhnliche Entschlossenheit anerkennen.
Kein Deutscher Staat hat in den letzten Jahren mehr gewagt und es
ist daher nur billig, daß ihm die Frucht des Gelingens am reichsten zu Theil
wird. Das aber muß in jeder Hinsicht der Fall sein. Denn mit der Wie¬
dergewinnung des Elsaß erlangt der Oberrhein die seit zweihundert Jahren
verlorenen Grundlagen seines Gedeihens zurück. Er wird aus jener uner¬
träglichen Situation befreit, bei jeder Störung des Friedens den feindlichen
Einbruch gewärtigen zu müssen. Er erlangt die Sicherheit, welche man die
erste Vorbedingung alles menschlichen Wohls nennen kann. Er gewinnt jetzt
erst die Fähigkeit wirklich zu sein, wozu ihn die Natur bestimmt zu haben
scheint: der Garten, der Landsitz des deutschen Volkes, in dem es nach der
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