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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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eher Rückschritte als Fortschritte gemacht, und es gibt auch kein Anzeichen
dafür, daß dies in Zukunft sich umdrehen werde, selbst wenn der Artikel V.
des Prager Friedens, der bisherige Hoffnungshalt der Dänen demnächst
förmlich aufgehoben werden sollte. Weitere Eroberungen auf Dänemarks
Kosten oder eine vollständige Auflösung dieses Staats würden die Sache
allerdings anders gestalten; allein das ist doch kein Ziel, das auf unserem
politischen Programm stände. Ein Hamburger Blatt hat mit vollem Rechte
Deutschland besonders deshalb zu Dänemarks Neutralität im gegenwärti¬
gen Kriege granulirt, weil es nun weder in die Nothwendigkeit noch in Ver¬
suchung gerathe, Jütland zu incorporiren.

Als vor wenigen Wochen auf Frankreichs freche Kriegserklärung hin
die wunderbare Erhebung der Nation folgte, die zum ersten Male seit Jahr¬
hunderten, Aller Herzen in Einem Tacte schlagen ließ, da war es ein stören¬
des Gefühl, innerhalb unserer Grenzen eine wenn auch kleine Bevölkerung zu
wissen, die sich nicht miterhob, die im Gegentheil, vermöge ihrer theuersten
Erinnerungen und Hoffnungen nicht anders konnte, als für den Sieg unseres
Nationalseindes Gebete zum Himmel zu schicken. Die dänischredenden Nord-
schleswiger im neunten Bundesarmeecorps schlagen sich darum vielleicht nicht
schlechter; aber man darf diese Folge der Disciplin, des Einflusses mächtiger
Umgebungen und Gewöhnungen trotzdem nicht auf gleiche Stufe stellen mit
den polnischredenden Soldaten des heldenhaften fünften Corps. Die preußischen
Polen sind größtentheils längst gute Preußen, und es ist kein selbständiges
Polen da, noch in sichtbarer Aussicht, um sie, falls wir sie hingeben wollten,
uns abzunehmen. Mit den Dänen Nordschlcswigs ist es anders. Diese
streben aus Leibeskräften nach der Ausscheidung; die dänischen Dänen wün¬
schen nichts leidenschaftlicher, als sie zurückzuerhalten; und wir haben schlechter¬
dings kein Interesse, sie mit Gewalt an das neuerstandene nationale Reich
zu fesseln.

Wir betrachten es daher als eine Forderung guter Politik, das über¬
wiegend dänische Nordschleswig an Dänemark zurückzugeben. Wenn dieser
Entschluß im allgemeinen feststeht, handelt es sich wesentlich noch um zweierlei:
um die genaue Grenze und um etwa auszubedingende Bürgschaften für die
Deutschen innerhalb des abzutretenden Gebiets. Die Grenze muß auf jedem
Fall nördlich von Flensburg laufen; eine Stadt, die zur Hälfte deutsch ist,
kann nicht abgetreten werden sollen, weil möglicherweise zehn oder zwanzig
Dänen mehr als Deutsche in ihr gezählt werden, zumal südlich von ihr das
dänische Uebergewicht sofort ganz aushört. Zweifelhafter scheint es um Alsen
und das Sundewitt zu stehen. Hier könnten die Dänen zwar sehr triftige
nationale Gründe, die Deutschen dagegen strategische Rücksichten für sich


eher Rückschritte als Fortschritte gemacht, und es gibt auch kein Anzeichen
dafür, daß dies in Zukunft sich umdrehen werde, selbst wenn der Artikel V.
des Prager Friedens, der bisherige Hoffnungshalt der Dänen demnächst
förmlich aufgehoben werden sollte. Weitere Eroberungen auf Dänemarks
Kosten oder eine vollständige Auflösung dieses Staats würden die Sache
allerdings anders gestalten; allein das ist doch kein Ziel, das auf unserem
politischen Programm stände. Ein Hamburger Blatt hat mit vollem Rechte
Deutschland besonders deshalb zu Dänemarks Neutralität im gegenwärti¬
gen Kriege granulirt, weil es nun weder in die Nothwendigkeit noch in Ver¬
suchung gerathe, Jütland zu incorporiren.

Als vor wenigen Wochen auf Frankreichs freche Kriegserklärung hin
die wunderbare Erhebung der Nation folgte, die zum ersten Male seit Jahr¬
hunderten, Aller Herzen in Einem Tacte schlagen ließ, da war es ein stören¬
des Gefühl, innerhalb unserer Grenzen eine wenn auch kleine Bevölkerung zu
wissen, die sich nicht miterhob, die im Gegentheil, vermöge ihrer theuersten
Erinnerungen und Hoffnungen nicht anders konnte, als für den Sieg unseres
Nationalseindes Gebete zum Himmel zu schicken. Die dänischredenden Nord-
schleswiger im neunten Bundesarmeecorps schlagen sich darum vielleicht nicht
schlechter; aber man darf diese Folge der Disciplin, des Einflusses mächtiger
Umgebungen und Gewöhnungen trotzdem nicht auf gleiche Stufe stellen mit
den polnischredenden Soldaten des heldenhaften fünften Corps. Die preußischen
Polen sind größtentheils längst gute Preußen, und es ist kein selbständiges
Polen da, noch in sichtbarer Aussicht, um sie, falls wir sie hingeben wollten,
uns abzunehmen. Mit den Dänen Nordschlcswigs ist es anders. Diese
streben aus Leibeskräften nach der Ausscheidung; die dänischen Dänen wün¬
schen nichts leidenschaftlicher, als sie zurückzuerhalten; und wir haben schlechter¬
dings kein Interesse, sie mit Gewalt an das neuerstandene nationale Reich
zu fesseln.

Wir betrachten es daher als eine Forderung guter Politik, das über¬
wiegend dänische Nordschleswig an Dänemark zurückzugeben. Wenn dieser
Entschluß im allgemeinen feststeht, handelt es sich wesentlich noch um zweierlei:
um die genaue Grenze und um etwa auszubedingende Bürgschaften für die
Deutschen innerhalb des abzutretenden Gebiets. Die Grenze muß auf jedem
Fall nördlich von Flensburg laufen; eine Stadt, die zur Hälfte deutsch ist,
kann nicht abgetreten werden sollen, weil möglicherweise zehn oder zwanzig
Dänen mehr als Deutsche in ihr gezählt werden, zumal südlich von ihr das
dänische Uebergewicht sofort ganz aushört. Zweifelhafter scheint es um Alsen
und das Sundewitt zu stehen. Hier könnten die Dänen zwar sehr triftige
nationale Gründe, die Deutschen dagegen strategische Rücksichten für sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/111>, abgerufen am 22.12.2024.