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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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baldigst zu beruhigen. Natürlich kommt es keinem Deutschen ernsthaft in
den Sinn, daß wir unsererseits fortan die Rolle übernehmen müßten, welche
wir Frankreich eben aus der Hand geschlagen haben. Der Welttheil wird
sich besser befinden und Deutschland mit ihm, wenn diese störende theatra¬
lische Heldenfigur aus dem Kreis der Staaten definitiv entfernt wird. Je
eher, je gemeinfaßlicher wir ankündigen, daß dies auch unsere Meinung sei,
desto rascher und vollständiger wird man sich ringsherum mit dem Triumph
aussöhnen, welchen wir über Frankreich davongetragen haben, die zurück¬
geführten Spolien von Anno Einst eingeschlossen.

Abgesehen von den unausbleiblichen Wirkungen der Zeit und unseres
ganzen zukünftigen Verhaltens gibt es dafür auch ein besonderes, bereit¬
stehendes Mittel. Das ist die Lösung der noch schwebenden nordschleswig-
schen Frage. Vom Standpunkt der alten, den Völkern keinerlei Recht und
Selbstbestimmung zugestehenden Kabinetspolitik könnte man allerdings be¬
haupten, mit der Demüthigung Frankreichs überhaupt sei auch die Zumuthung
abgeschüttelt, welche es hinsichtlich unseres Verhältnisses zu Dänemark in den
Friedensvertrag von 1866 zu bringen gewußt hatte, der ohnehin formell nur
Preußen und Oestreich angeht. Aber das deutsche Nationalgefühl sieht die
Sache anders an. Ihm genügt es, daß der fremde Wille gebrochen ist, der
seine Anmaßung und Feindseligkeit gegen uns auch in dieser Angelegenheit
bethätigen wollte. Die Angelegenheit an sich vermögen wir ohne Schwie¬
rigkeit nach ihrem eignen Inhalt aufzufassen, als ob Frankreich sich niemals
in dieselbe gemischt hätte, -- nach ihrer Bedeutung für die nationale Sicher¬
heit und unsre künftigen Beziehungen zu den nordischen Völkern. So be¬
trachtet, würde die nordschleswigsche Frage eine Lösung erheischen, auch wenn
die allgemeine Politik sie nicht in ihre Combinationen zöge. Sie kann nur
zum Schaden der nationalen Interessen auf dem Flecke verharren, auf wel¬
chem sie im Augenblick steht.

Seit 1864 befindet das Land nördlich von Flensburg bis zur Königsau
sich in einem immerwährenden chronischen Kriegszustande. Nur durch be¬
ständige Wachsamkeit der Behörden und verschiedene Ausnahmsmaßregeln
läßt sich eine leidliche Ruhe aufrechterhalten. So oft Preußen in Verwicke¬
lungen mit einer anderen Macht geräth, wie 1866 mit Oestreich und 1870
mit Frankreich, wünscht die große Mehrheit der Bewohner jenes Landstrichs
dieser fremden Macht insgeheim den Sieg. Die Verschwörung mit den
Feinden ohne Kriegserklärung', welche jenseits der Königsau und der Belte
wohnen, mit den dänischen Dänen, dauert ununterbrochen fort. Man könnte
sich den Zustand, obwohl er für die Betheiligten so wenig erquicklich wie
möglich ist, als einen vorübergehenden zur Noth gefallen lassen, wenn nur
ein Besserwerden ersichtlich wäre. Aber das Deutschthum hat hier seit 1864


baldigst zu beruhigen. Natürlich kommt es keinem Deutschen ernsthaft in
den Sinn, daß wir unsererseits fortan die Rolle übernehmen müßten, welche
wir Frankreich eben aus der Hand geschlagen haben. Der Welttheil wird
sich besser befinden und Deutschland mit ihm, wenn diese störende theatra¬
lische Heldenfigur aus dem Kreis der Staaten definitiv entfernt wird. Je
eher, je gemeinfaßlicher wir ankündigen, daß dies auch unsere Meinung sei,
desto rascher und vollständiger wird man sich ringsherum mit dem Triumph
aussöhnen, welchen wir über Frankreich davongetragen haben, die zurück¬
geführten Spolien von Anno Einst eingeschlossen.

Abgesehen von den unausbleiblichen Wirkungen der Zeit und unseres
ganzen zukünftigen Verhaltens gibt es dafür auch ein besonderes, bereit¬
stehendes Mittel. Das ist die Lösung der noch schwebenden nordschleswig-
schen Frage. Vom Standpunkt der alten, den Völkern keinerlei Recht und
Selbstbestimmung zugestehenden Kabinetspolitik könnte man allerdings be¬
haupten, mit der Demüthigung Frankreichs überhaupt sei auch die Zumuthung
abgeschüttelt, welche es hinsichtlich unseres Verhältnisses zu Dänemark in den
Friedensvertrag von 1866 zu bringen gewußt hatte, der ohnehin formell nur
Preußen und Oestreich angeht. Aber das deutsche Nationalgefühl sieht die
Sache anders an. Ihm genügt es, daß der fremde Wille gebrochen ist, der
seine Anmaßung und Feindseligkeit gegen uns auch in dieser Angelegenheit
bethätigen wollte. Die Angelegenheit an sich vermögen wir ohne Schwie¬
rigkeit nach ihrem eignen Inhalt aufzufassen, als ob Frankreich sich niemals
in dieselbe gemischt hätte, — nach ihrer Bedeutung für die nationale Sicher¬
heit und unsre künftigen Beziehungen zu den nordischen Völkern. So be¬
trachtet, würde die nordschleswigsche Frage eine Lösung erheischen, auch wenn
die allgemeine Politik sie nicht in ihre Combinationen zöge. Sie kann nur
zum Schaden der nationalen Interessen auf dem Flecke verharren, auf wel¬
chem sie im Augenblick steht.

Seit 1864 befindet das Land nördlich von Flensburg bis zur Königsau
sich in einem immerwährenden chronischen Kriegszustande. Nur durch be¬
ständige Wachsamkeit der Behörden und verschiedene Ausnahmsmaßregeln
läßt sich eine leidliche Ruhe aufrechterhalten. So oft Preußen in Verwicke¬
lungen mit einer anderen Macht geräth, wie 1866 mit Oestreich und 1870
mit Frankreich, wünscht die große Mehrheit der Bewohner jenes Landstrichs
dieser fremden Macht insgeheim den Sieg. Die Verschwörung mit den
Feinden ohne Kriegserklärung', welche jenseits der Königsau und der Belte
wohnen, mit den dänischen Dänen, dauert ununterbrochen fort. Man könnte
sich den Zustand, obwohl er für die Betheiligten so wenig erquicklich wie
möglich ist, als einen vorübergehenden zur Noth gefallen lassen, wenn nur
ein Besserwerden ersichtlich wäre. Aber das Deutschthum hat hier seit 1864


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/110>, abgerufen am 22.12.2024.