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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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geben, daß die Zeit gekommen sei. die Laienwelt gegen das Ketzerthum in
Waffen zu führen. Wo sich jetzt auf dem Lande Banden zusammenrotten,
darf man mit größter Wahrscheinlichkeit annehmen, daß Geistliche die Ver¬
leite" und stillen Führer sind. -- Daneben aber ist beachtungswerth, daß
diese politischen Führer der Landschaften in anderem Sinn einem wahren
Interesse Frankreichs dienen. Unter ihnen besteht Groll gegen das weltliche
Treiben von Paris und gegen die politische Herrschaft der ungläubigen
Journalisten. Sie fühlen auch ohne Zweifel mit wirklicher Theilnahme die
Steuerlast und die Unfreiheit, zu welcher ihre treuen Gemeinden durch die
Pariser verurtheilt werden. "Sie können Frankreich keinen größeren Dienst
erweisen, als wenn Sie das große Sündennest Paris niederbrennen", sagte
ein alter Geistlicher von würdigem Wesen zu einem Offizier unseres
Hauptquartiers. "Unsere Leute arbeiten und steuern, damit dieses Babel
immer mächtiger wird, und uns. seine Befehle zuschickt, denen wir wie
Sclaven gehorchen. Bet uns sind die guten Leute, fleißige, rechtschaffene
Leute, dort die Schwindler, welche uns in das Unglück bringen." Dies
heftige Wort drückt eine Ansicht aus, welche wenigstens in Lothringen
auch aus Laien häufig hervorbrach. Die Lothringer sind leidenschaftlich fran¬
zösisch, aber sie haben viel von dem alten Provinzialstolz bewahrt, und ihnen
fehlt durchaus nicht die Erkenntniß, wie sehr sie unter der Herrschaft von
Paris leiden. Nicht unmöglich, daß dieser Krieg unter anderem Gewinn
für Frankreich auch den größten bringt, das drückende Uebergewicht des
Geistes von Paris zu mindern und den Theilen größere Selbständigkeit
zu geben.

Man möchte das sogar aus der Tagespresse der Provinzen schließen,
soweit eine schnelle Heeresfahrt durch Frankreich in diesem Moment Einblick
gestattete. Was den Deutschen von Blättern der Provinzialpresse auf dem
Marsche zu Gesicht kam, natürlich vor unserem Einmarsch geschrieben, das
entbehrte zwar jedes selbständigen Standpunktes und stand völlig unter dem
Einfluß der Pariser Lügennachrichten, aber es war wenigstens selten in dem
abgeschmackten Stil der Pariser Phantasisten geschrieben und offenbar auf ein
nüchternes bürgerliches Publikum berechnet. Auch üben die Blätter größerer
Städte: Nancy, Rheims,^ Chalons einen gar nicht unbedeutenden Einfluß
aus, sie sind viel verbreitet und für den bescheidenen Mann die einzige
Lectüre.

Ueber den Journalismus von Paris haben sich unsere Landsleute seit
den letzten Monaten zur Genüge geärgert und ergötzt. Diese Mischung von
kindischer Unwissenheit und lügenhaftem Hochmuth ist für uns Deutsche kaum
verständlich. Bei uns bieten nur sehr wenige ultramontane Klatschblälter
und verunglückte journalistische Versuche der Welfenpartei etwas annähernd
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geben, daß die Zeit gekommen sei. die Laienwelt gegen das Ketzerthum in
Waffen zu führen. Wo sich jetzt auf dem Lande Banden zusammenrotten,
darf man mit größter Wahrscheinlichkeit annehmen, daß Geistliche die Ver¬
leite« und stillen Führer sind. — Daneben aber ist beachtungswerth, daß
diese politischen Führer der Landschaften in anderem Sinn einem wahren
Interesse Frankreichs dienen. Unter ihnen besteht Groll gegen das weltliche
Treiben von Paris und gegen die politische Herrschaft der ungläubigen
Journalisten. Sie fühlen auch ohne Zweifel mit wirklicher Theilnahme die
Steuerlast und die Unfreiheit, zu welcher ihre treuen Gemeinden durch die
Pariser verurtheilt werden. „Sie können Frankreich keinen größeren Dienst
erweisen, als wenn Sie das große Sündennest Paris niederbrennen", sagte
ein alter Geistlicher von würdigem Wesen zu einem Offizier unseres
Hauptquartiers. „Unsere Leute arbeiten und steuern, damit dieses Babel
immer mächtiger wird, und uns. seine Befehle zuschickt, denen wir wie
Sclaven gehorchen. Bet uns sind die guten Leute, fleißige, rechtschaffene
Leute, dort die Schwindler, welche uns in das Unglück bringen." Dies
heftige Wort drückt eine Ansicht aus, welche wenigstens in Lothringen
auch aus Laien häufig hervorbrach. Die Lothringer sind leidenschaftlich fran¬
zösisch, aber sie haben viel von dem alten Provinzialstolz bewahrt, und ihnen
fehlt durchaus nicht die Erkenntniß, wie sehr sie unter der Herrschaft von
Paris leiden. Nicht unmöglich, daß dieser Krieg unter anderem Gewinn
für Frankreich auch den größten bringt, das drückende Uebergewicht des
Geistes von Paris zu mindern und den Theilen größere Selbständigkeit
zu geben.

Man möchte das sogar aus der Tagespresse der Provinzen schließen,
soweit eine schnelle Heeresfahrt durch Frankreich in diesem Moment Einblick
gestattete. Was den Deutschen von Blättern der Provinzialpresse auf dem
Marsche zu Gesicht kam, natürlich vor unserem Einmarsch geschrieben, das
entbehrte zwar jedes selbständigen Standpunktes und stand völlig unter dem
Einfluß der Pariser Lügennachrichten, aber es war wenigstens selten in dem
abgeschmackten Stil der Pariser Phantasisten geschrieben und offenbar auf ein
nüchternes bürgerliches Publikum berechnet. Auch üben die Blätter größerer
Städte: Nancy, Rheims,^ Chalons einen gar nicht unbedeutenden Einfluß
aus, sie sind viel verbreitet und für den bescheidenen Mann die einzige
Lectüre.

Ueber den Journalismus von Paris haben sich unsere Landsleute seit
den letzten Monaten zur Genüge geärgert und ergötzt. Diese Mischung von
kindischer Unwissenheit und lügenhaftem Hochmuth ist für uns Deutsche kaum
verständlich. Bei uns bieten nur sehr wenige ultramontane Klatschblälter
und verunglückte journalistische Versuche der Welfenpartei etwas annähernd
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/11>, abgerufen am 22.12.2024.