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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Vor Straßburg.

Diese Blätter haben auch ein paar treue Freunde und Mitarbeiter draußen
im Felde, die "mit dabei waren" so gut wie irgend ein anderer; man wird
ihnen nicht verargen, wenn sie da auch ihre Stimme erheben, um zu er¬
zählen, wie es denn eigentlich gewesen. Es war am 27. September, Nach¬
mittags 3 Uhr, als auf dem Münster zu Straßburg die weiße Fahne erschien,
begrüßt von dem jubelnden Hurrah der Unsrigen, Im Nu bedeckten sich die
Brustwehren unserer Laufgräben um die Wälle der Festung, jene mit preußischen,
diese mit französischen Uniformen. Man schwenkte die Mützen, man rief sich
gegenseitig zu, und so nahe waren sich die Streitenden bereits gerückt, daß
unsere Soldaten den Franzosen über den schmalen Graben hinüber, der
uns allein noch von ihnen schied, Brod und Cigarren zuwarfen. Letztere
wurden mit Dank angenommen, das Brod dagegen wurde verschmäht; als
wollten sie uns zeigen, daß sie keinen Mangel gelitten hätten, warfen sie
große Stücke ihres Weißbrodes zu uns herüber, das freilich von verdächtigem
Alter war. Die Geschütze auf beiden Seiten verstummten. Die plötzlich ein¬
tretende Stille machte einen seltsamen Eindruck auf alle Diejenigen, deren
Ohr seit einer Reihe von Wochen an den Donner der Kanonen und das
Krachen der explodirenden Geschosse gewöhnt war.

Aus einem Gange durch die Stadt beobachtete ich gestern die Wirkung
unseres Bombardements. Man darf sich davon keine übertriebenen Vor¬
stellungen machen. Zahllos zwar sind die zerschossenen Dächer und die Be¬
schädigungen an den Umfassungsmauern der Häuser, und auch die Zahl der
durch Brand zerstörten Gebäude, worunter jsich die Präfectur, das Schau¬
spielhaus und die Thomaskirche befinden, ist keine geringe. Aber das Feuer
hat im Innern der Stadt nirgends eine größere Ausdehnung genommen,
und man trifft nur auf einzelne Brandstellen, nicht auf niedergebrannte
Straßen oder Stadttheile. Das kaiserliche Schloß ist unbeschädigt geblieben
da es durch den davor liegenden Münster geschützt wurde. Das Gesagte
gilt freilich nicht von dem unmittelbar hinter dem Theile der Festungswerke,
gegen welchen sich unser Angriff richtete, belegenen Stadttheil. Die Stein¬
straße bietet hier ein Bild grauenvoller Zerstörung. Nicht nur ist alles
Brennbare vernichtet, sondern die Häuser sind durchweg derartig demolirt,
daß nur noch geringe Mauerreste die Stelle bezeichnen, wo ein Haus gestan¬
den hat. Dies ist natürlich. Denn auch nach dem Aufhören des der regelrechten
Belagerung voraufgegangenen dreitägigen Bombardements der Stadt mußte


Vor Straßburg.

Diese Blätter haben auch ein paar treue Freunde und Mitarbeiter draußen
im Felde, die „mit dabei waren" so gut wie irgend ein anderer; man wird
ihnen nicht verargen, wenn sie da auch ihre Stimme erheben, um zu er¬
zählen, wie es denn eigentlich gewesen. Es war am 27. September, Nach¬
mittags 3 Uhr, als auf dem Münster zu Straßburg die weiße Fahne erschien,
begrüßt von dem jubelnden Hurrah der Unsrigen, Im Nu bedeckten sich die
Brustwehren unserer Laufgräben um die Wälle der Festung, jene mit preußischen,
diese mit französischen Uniformen. Man schwenkte die Mützen, man rief sich
gegenseitig zu, und so nahe waren sich die Streitenden bereits gerückt, daß
unsere Soldaten den Franzosen über den schmalen Graben hinüber, der
uns allein noch von ihnen schied, Brod und Cigarren zuwarfen. Letztere
wurden mit Dank angenommen, das Brod dagegen wurde verschmäht; als
wollten sie uns zeigen, daß sie keinen Mangel gelitten hätten, warfen sie
große Stücke ihres Weißbrodes zu uns herüber, das freilich von verdächtigem
Alter war. Die Geschütze auf beiden Seiten verstummten. Die plötzlich ein¬
tretende Stille machte einen seltsamen Eindruck auf alle Diejenigen, deren
Ohr seit einer Reihe von Wochen an den Donner der Kanonen und das
Krachen der explodirenden Geschosse gewöhnt war.

Aus einem Gange durch die Stadt beobachtete ich gestern die Wirkung
unseres Bombardements. Man darf sich davon keine übertriebenen Vor¬
stellungen machen. Zahllos zwar sind die zerschossenen Dächer und die Be¬
schädigungen an den Umfassungsmauern der Häuser, und auch die Zahl der
durch Brand zerstörten Gebäude, worunter jsich die Präfectur, das Schau¬
spielhaus und die Thomaskirche befinden, ist keine geringe. Aber das Feuer
hat im Innern der Stadt nirgends eine größere Ausdehnung genommen,
und man trifft nur auf einzelne Brandstellen, nicht auf niedergebrannte
Straßen oder Stadttheile. Das kaiserliche Schloß ist unbeschädigt geblieben
da es durch den davor liegenden Münster geschützt wurde. Das Gesagte
gilt freilich nicht von dem unmittelbar hinter dem Theile der Festungswerke,
gegen welchen sich unser Angriff richtete, belegenen Stadttheil. Die Stein¬
straße bietet hier ein Bild grauenvoller Zerstörung. Nicht nur ist alles
Brennbare vernichtet, sondern die Häuser sind durchweg derartig demolirt,
daß nur noch geringe Mauerreste die Stelle bezeichnen, wo ein Haus gestan¬
den hat. Dies ist natürlich. Denn auch nach dem Aufhören des der regelrechten
Belagerung voraufgegangenen dreitägigen Bombardements der Stadt mußte


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[0100] Vor Straßburg. Diese Blätter haben auch ein paar treue Freunde und Mitarbeiter draußen im Felde, die „mit dabei waren" so gut wie irgend ein anderer; man wird ihnen nicht verargen, wenn sie da auch ihre Stimme erheben, um zu er¬ zählen, wie es denn eigentlich gewesen. Es war am 27. September, Nach¬ mittags 3 Uhr, als auf dem Münster zu Straßburg die weiße Fahne erschien, begrüßt von dem jubelnden Hurrah der Unsrigen, Im Nu bedeckten sich die Brustwehren unserer Laufgräben um die Wälle der Festung, jene mit preußischen, diese mit französischen Uniformen. Man schwenkte die Mützen, man rief sich gegenseitig zu, und so nahe waren sich die Streitenden bereits gerückt, daß unsere Soldaten den Franzosen über den schmalen Graben hinüber, der uns allein noch von ihnen schied, Brod und Cigarren zuwarfen. Letztere wurden mit Dank angenommen, das Brod dagegen wurde verschmäht; als wollten sie uns zeigen, daß sie keinen Mangel gelitten hätten, warfen sie große Stücke ihres Weißbrodes zu uns herüber, das freilich von verdächtigem Alter war. Die Geschütze auf beiden Seiten verstummten. Die plötzlich ein¬ tretende Stille machte einen seltsamen Eindruck auf alle Diejenigen, deren Ohr seit einer Reihe von Wochen an den Donner der Kanonen und das Krachen der explodirenden Geschosse gewöhnt war. Aus einem Gange durch die Stadt beobachtete ich gestern die Wirkung unseres Bombardements. Man darf sich davon keine übertriebenen Vor¬ stellungen machen. Zahllos zwar sind die zerschossenen Dächer und die Be¬ schädigungen an den Umfassungsmauern der Häuser, und auch die Zahl der durch Brand zerstörten Gebäude, worunter jsich die Präfectur, das Schau¬ spielhaus und die Thomaskirche befinden, ist keine geringe. Aber das Feuer hat im Innern der Stadt nirgends eine größere Ausdehnung genommen, und man trifft nur auf einzelne Brandstellen, nicht auf niedergebrannte Straßen oder Stadttheile. Das kaiserliche Schloß ist unbeschädigt geblieben da es durch den davor liegenden Münster geschützt wurde. Das Gesagte gilt freilich nicht von dem unmittelbar hinter dem Theile der Festungswerke, gegen welchen sich unser Angriff richtete, belegenen Stadttheil. Die Stein¬ straße bietet hier ein Bild grauenvoller Zerstörung. Nicht nur ist alles Brennbare vernichtet, sondern die Häuser sind durchweg derartig demolirt, daß nur noch geringe Mauerreste die Stelle bezeichnen, wo ein Haus gestan¬ den hat. Dies ist natürlich. Denn auch nach dem Aufhören des der regelrechten Belagerung voraufgegangenen dreitägigen Bombardements der Stadt mußte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/100>, abgerufen am 22.12.2024.