Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.bilden sie den breiten Uebergang; selbst zwischen Germanen und Romanen Trotzdem wäre diesem Lothringen vielleicht ebenso wie dem Elsaß sein Grenzboten Ill. 1870. 56
bilden sie den breiten Uebergang; selbst zwischen Germanen und Romanen Trotzdem wäre diesem Lothringen vielleicht ebenso wie dem Elsaß sein Grenzboten Ill. 1870. 56
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bilden sie den breiten Uebergang; selbst zwischen Germanen und Romanen
zu vermitteln, wozu das historische Geschick sie bestimmte, ist ihnen nicht
schwer gefallen. Zudem muß gerade die oberlothringische Bevölkerung von
Anfang an stark gemischt gewesen sein; denn über geringe alemannische und
bedeutende burgundische Neste legte sich eine nicht allzu dichte oberfränkische
Schicht.
Trotzdem wäre diesem Lothringen vielleicht ebenso wie dem Elsaß sein
deutscher Charakter erhalten worden, wenn die Geschichte nicht in endloser
Reihe von Wechsclschickungen dem entgegengearbeitet hätte. Sie sind welt¬
bekannt und ich möchte nur einzelne Momente herausheben, wo mir die land¬
läufige Darstellung dieser Begebenheiten nicht präcis genug erscheint. Das
Reich Karls des Großen ist für die abendländischen Nationen ein Knoten¬
punkt gewesen, in dem sich ihre Lebenswege zusammenfanden, nur um her¬
nach um so entschiedener auseinander zu gehen. Welche Jrrgänge wären
ihnen erspart worden, hätten sie es verstanden, gleich beim Ausgange ihre
nationalen Straßen scharf und für immer von einander abzusondern! Statt
dessen erfolgte die rein dynastische Theilung von Verdun, zu deren Gedenken
man mit wenig Recht 1843 den tausendjährigen Geburtstag Deutschlands
gefeiert hat. Seitdem hat man größere Theilnahme dem Vertrage zu Meer-
sen vom 8. August 870 zugewandt, und in der That kamen dadurch die vor¬
dem abgetrennten Gebiete deutscher Zunge auf dem linken Rheinufer fast
ausnahmslos wieder in naturgemäße Verbindung mit den diesseitigen. Es
ist eine sinnvollere Gedächtnißfeier gewesen, daß genau tausend Jahr später
in denselben Tagen unsere Heere nach blutigen Grenzsiegen zu gleichem Ziele
in deutschredendes Land fremder Herrschaft eingedrungen sind. Trotzdem ent¬
sprach die Meersener Theilung weder völlig der Sprachgrenze, noch ist sie
überhaupt länger als neun Jahre in Kraft geblieben. Das Entscheidende
ist vielmehr die rein politische Bildung eines Herzogthums Lothringen, die
sich gegen Ende des 9ten Jahrhunderts vollzog. Es war nichts anderes, als
der nördliche Theil des alten Zwtschenreichs, das Lothar I. zu Verdun erhalten
hatte, noch immer in den westlichen Strichen mit beträchtlichen romanischen
— schon konnte man sagen französischen — Bestandtheilen versetzt. Aber
auch seine überwiegende deutsche Bevölkerung entbehrte ganz der Stammes¬
einheit; mit den gleichzeitig auftretenden naturwüchsigen Herzogthümern
Sachsen, Franken, Schwaben und Bädern kann man es gar nicht vergleichen,
schon der Name, vom ehemaligen Herrscher entlehnt, spricht deutlich genug.
In seiner inneren Verfassung herrschte bedenkliche Aehnlichkeit mit dem west¬
lichen Franzosenreiche durch die gesteigerte Macht und Zügellosigkeit der geist¬
lichen und weltlichen Großen; auch hieraus erklärt sich die bald hervortretende
Hinneigung zu Frankreich, wie andrerseits die viel früher als in den deutschen
Grenzboten Ill. 1870. 56
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