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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Arbeit, und die Leute sagen, daß er niemals stiller und niemals vergnügter
gewesen ist als jetzt. Es ist grade so gekommen, wie er es immer für Preu¬
ßen gewünscht hat, wobei zugegeben werden soll, daß es ihm noch lieber
gewesen wäre, wenn wir mit den Rüstungen um vierzehn Tage weiter wären
und ebenso viel Vorsprung vor den Franzosen hätten, als diese vor uns.
Das aber hilft nun nichts. Dieser erste Nachtheil, wenn es noch ein Nach¬
theil wird, ist uns ganz ohne unsere Schuld gekommen, er muß und wird
getragen werden und wird dem großen Bovist drüben im Westen auf seine letzte
Rechnung gesetzt werden. -- Ich war in meinen Privatgeschäften auf dem
Kriegsministerium. Es ist nicht meine Art, einen verdienten General mit
einem Insect zu vergleichen. Aber unser Kriegsministerium ist jetzt einer
Spinne gleich, welche das ganze Deutschland plötzlich wie durch Zauberei
mit zahlreichen Fäden überzogen hat. Jeder Schienenweg, jeder Telegraphen¬
draht und jede Landstraße sind zu einem großen Gespinnst zusammengeknüpft,
700,000 Menschen, ein unerhörtes Kriegsmaterial, werden nach allen Rich¬
tungen entsendet, und dieses Alles geschieht mit Ordnung und Sicherheit,
da ist keine Störung und kein Stocken, es ist eine Kunstarbeit in ihrer Art
vollkommen. Auf dem Kriegsministerium selbst sitzt jeder in ruhiger Arbeit
wie im tiefsten Frieden, kein Thürklappen und Laufen, einer drückt in der
Leipziger Straße auf einen Telegraphenknopf und die Locomotive in Mainz
pfeift; durch ganz Deutschland hat jeder Offizier und jeder Soldat seinen
bestimmten Befehl zu rechter Zeit, er weiß genau das Nächste, was er zu
thun hat und kümmert sich nicht um das Uebrige. Im Ministerium und bei
den Regimentern wird wenig gesprochen; auch die Eisenbahnbeamten sind
schweigsam geworden. Neben ihnen dirigirt an wichtigen Stellen ein Offi¬
zier vom Generalstabe mit ein Paar Winken und einer kurzen Bemerkung,
und das gewisse Phe, Phe, welches der Presse anempfohlen ist, geht durch die
ganze Verwaltung. Im Ganzen sieht die Kriegswirthschaft in Deutschland
jetzt aus wie viele kleine Ameisenhaufen, in denen es durcheinanderfährt,
aber Alles läuft an seinem Faden, und ehe man sichs versieht, wird das
ganze Volk fertig in Reih und Glied dastehn, Jedermann an seiner Stelle
und jeder Sack Mehl in seinem vorbestimmten Magazin. Aber über diese
Aufstellung der Armee wünschen Sie Näheres. Sie sollen Alles wissen. Ich
war zur Erkundigung auf mehreren kleinen Bahnhöfen, denn auf den großen ist
gar nichts deutlich zu erkennen. Ich behaupte nicht, daß ich hier eine über¬
mäßige Bewegung gefunden habe, trotz der Sperre für Privatverkehr. Zu¬
erst kam ein Zug mit Reservisten, noch in Civil, sämmtlich in den schlechte¬
sten Röcken ihres Mobiliarvermögens, viele sangen, einer hatte einen Zuaven
als Hampelmann gemalt und zog ihn an der Schnur. Auf den Bahnhöfen
war in den ersten Tagen wenig zu merken; man sah nur einzelne kleine


Arbeit, und die Leute sagen, daß er niemals stiller und niemals vergnügter
gewesen ist als jetzt. Es ist grade so gekommen, wie er es immer für Preu¬
ßen gewünscht hat, wobei zugegeben werden soll, daß es ihm noch lieber
gewesen wäre, wenn wir mit den Rüstungen um vierzehn Tage weiter wären
und ebenso viel Vorsprung vor den Franzosen hätten, als diese vor uns.
Das aber hilft nun nichts. Dieser erste Nachtheil, wenn es noch ein Nach¬
theil wird, ist uns ganz ohne unsere Schuld gekommen, er muß und wird
getragen werden und wird dem großen Bovist drüben im Westen auf seine letzte
Rechnung gesetzt werden. — Ich war in meinen Privatgeschäften auf dem
Kriegsministerium. Es ist nicht meine Art, einen verdienten General mit
einem Insect zu vergleichen. Aber unser Kriegsministerium ist jetzt einer
Spinne gleich, welche das ganze Deutschland plötzlich wie durch Zauberei
mit zahlreichen Fäden überzogen hat. Jeder Schienenweg, jeder Telegraphen¬
draht und jede Landstraße sind zu einem großen Gespinnst zusammengeknüpft,
700,000 Menschen, ein unerhörtes Kriegsmaterial, werden nach allen Rich¬
tungen entsendet, und dieses Alles geschieht mit Ordnung und Sicherheit,
da ist keine Störung und kein Stocken, es ist eine Kunstarbeit in ihrer Art
vollkommen. Auf dem Kriegsministerium selbst sitzt jeder in ruhiger Arbeit
wie im tiefsten Frieden, kein Thürklappen und Laufen, einer drückt in der
Leipziger Straße auf einen Telegraphenknopf und die Locomotive in Mainz
pfeift; durch ganz Deutschland hat jeder Offizier und jeder Soldat seinen
bestimmten Befehl zu rechter Zeit, er weiß genau das Nächste, was er zu
thun hat und kümmert sich nicht um das Uebrige. Im Ministerium und bei
den Regimentern wird wenig gesprochen; auch die Eisenbahnbeamten sind
schweigsam geworden. Neben ihnen dirigirt an wichtigen Stellen ein Offi¬
zier vom Generalstabe mit ein Paar Winken und einer kurzen Bemerkung,
und das gewisse Phe, Phe, welches der Presse anempfohlen ist, geht durch die
ganze Verwaltung. Im Ganzen sieht die Kriegswirthschaft in Deutschland
jetzt aus wie viele kleine Ameisenhaufen, in denen es durcheinanderfährt,
aber Alles läuft an seinem Faden, und ehe man sichs versieht, wird das
ganze Volk fertig in Reih und Glied dastehn, Jedermann an seiner Stelle
und jeder Sack Mehl in seinem vorbestimmten Magazin. Aber über diese
Aufstellung der Armee wünschen Sie Näheres. Sie sollen Alles wissen. Ich
war zur Erkundigung auf mehreren kleinen Bahnhöfen, denn auf den großen ist
gar nichts deutlich zu erkennen. Ich behaupte nicht, daß ich hier eine über¬
mäßige Bewegung gefunden habe, trotz der Sperre für Privatverkehr. Zu¬
erst kam ein Zug mit Reservisten, noch in Civil, sämmtlich in den schlechte¬
sten Röcken ihres Mobiliarvermögens, viele sangen, einer hatte einen Zuaven
als Hampelmann gemalt und zog ihn an der Schnur. Auf den Bahnhöfen
war in den ersten Tagen wenig zu merken; man sah nur einzelne kleine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/230>, abgerufen am 28.07.2024.