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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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war es Bedürfniß, die eine Partei gegen die andere zu Hetzen; dazu leisteten
die Parteiblätter vortreffliche Dienste, die durch kein anderes Mittel zu er¬
setzen waren. Daß die ganze Gesellschaft durch diese widerlichen Fehden
mehr und mehr corrumpirt wurde, kümmerte die Regierung wenig, da sie
ihre nächsten Zwecke fast immer erreichte.

Auf Taxile Delords höchst anziehende Schilderung der Pariser Presse
und ihrer hervorragendsten Persönlichkeiten einzugehen, müssen wir uns ver¬
sagen. Einzelnes daraus anzuführen, wird sich später Gelegenheit finden.

Dagegen werfen wir einen Blick auf das bei den Verwarnungen be¬
liebte Verfahren, weil in diesem sich der Geist der napoleonischen Verwaltung
in besonders charakteristischer Weise ausspricht.

Einer Verwarnung zu entgehen, war auch der vorsichtigsten Redaction
unmöglich, da das rasfirnrte Zartgefühl der Präfecten oft die harmlosesten
Aeußerungen gefährlich oder unschicklich fand. Unter Maupas vierzehn¬
monatlicher Verwaltung wurden der äußerst zahmen Presse 91 Verwarnungen
ertheilt, unter Perfigny in einem Jahre deren 32, unter Billault 57. Und
aus was für Gründen! Ein Blatt wird verwarnt wegen einer bittern Kri¬
tik eines Decrets über den Zucker, ein anderes, weil es Napoleon I. einen
Missionär der Revolution genannt hat; ein anderes weil es den Fall Karl X.
und Ludwig Philipps mit dem Napoleons I. vergleicht. Zwei Blätter wur¬
den verwarnt, weil sie in einer Journalfehde die Grenze des guten Ge¬
schmacks überschritten haben. -- Der Phare de Lyon berichtet, daß eine
Rede des Kaisers "nach der Mittheilung des Correspondenz Havas" großen
Beifall gefunden habe. Der Präfect eröffnet ihm, daß diese zweifelnde For¬
mel unschicklich sei gegenüber dem Enthusiasmus, den die Worte des Kai¬
sers hervorgerufen!

Auf die Beziehungen des Kaisers zu den verschiedenen Parteien, deren
wenn auch meist stummer, doch unverminderter und der Zukunft harrender
Groll die Regierung auch in der Periode ihrer höchsten Macht, auch in den
Zeiten, wo Frankreichs Oberfläche ruhig und unbewegt war, wie der Mee¬
resspiegel bei völliger Windstille, mit banger Sorge erfüllte, müssen wir im
nächsten Artikel noch zurückkommen.


G. Z.


Ein Arles an die Redaktion.

Geehrte Redaktion! Ihre Leser wollen jetzt vor Allem Neuigkeiten und
kurze Belehrungen. Ich bin bereit, Ihnen solche zu liefern und habe nichts
dagegen, wenn Sie mich unter Ihre Specialcorrespondenten ausnehmen. An


war es Bedürfniß, die eine Partei gegen die andere zu Hetzen; dazu leisteten
die Parteiblätter vortreffliche Dienste, die durch kein anderes Mittel zu er¬
setzen waren. Daß die ganze Gesellschaft durch diese widerlichen Fehden
mehr und mehr corrumpirt wurde, kümmerte die Regierung wenig, da sie
ihre nächsten Zwecke fast immer erreichte.

Auf Taxile Delords höchst anziehende Schilderung der Pariser Presse
und ihrer hervorragendsten Persönlichkeiten einzugehen, müssen wir uns ver¬
sagen. Einzelnes daraus anzuführen, wird sich später Gelegenheit finden.

Dagegen werfen wir einen Blick auf das bei den Verwarnungen be¬
liebte Verfahren, weil in diesem sich der Geist der napoleonischen Verwaltung
in besonders charakteristischer Weise ausspricht.

Einer Verwarnung zu entgehen, war auch der vorsichtigsten Redaction
unmöglich, da das rasfirnrte Zartgefühl der Präfecten oft die harmlosesten
Aeußerungen gefährlich oder unschicklich fand. Unter Maupas vierzehn¬
monatlicher Verwaltung wurden der äußerst zahmen Presse 91 Verwarnungen
ertheilt, unter Perfigny in einem Jahre deren 32, unter Billault 57. Und
aus was für Gründen! Ein Blatt wird verwarnt wegen einer bittern Kri¬
tik eines Decrets über den Zucker, ein anderes, weil es Napoleon I. einen
Missionär der Revolution genannt hat; ein anderes weil es den Fall Karl X.
und Ludwig Philipps mit dem Napoleons I. vergleicht. Zwei Blätter wur¬
den verwarnt, weil sie in einer Journalfehde die Grenze des guten Ge¬
schmacks überschritten haben. — Der Phare de Lyon berichtet, daß eine
Rede des Kaisers „nach der Mittheilung des Correspondenz Havas" großen
Beifall gefunden habe. Der Präfect eröffnet ihm, daß diese zweifelnde For¬
mel unschicklich sei gegenüber dem Enthusiasmus, den die Worte des Kai¬
sers hervorgerufen!

Auf die Beziehungen des Kaisers zu den verschiedenen Parteien, deren
wenn auch meist stummer, doch unverminderter und der Zukunft harrender
Groll die Regierung auch in der Periode ihrer höchsten Macht, auch in den
Zeiten, wo Frankreichs Oberfläche ruhig und unbewegt war, wie der Mee¬
resspiegel bei völliger Windstille, mit banger Sorge erfüllte, müssen wir im
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Ein Arles an die Redaktion.

Geehrte Redaktion! Ihre Leser wollen jetzt vor Allem Neuigkeiten und
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dagegen, wenn Sie mich unter Ihre Specialcorrespondenten ausnehmen. An


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[0228] war es Bedürfniß, die eine Partei gegen die andere zu Hetzen; dazu leisteten die Parteiblätter vortreffliche Dienste, die durch kein anderes Mittel zu er¬ setzen waren. Daß die ganze Gesellschaft durch diese widerlichen Fehden mehr und mehr corrumpirt wurde, kümmerte die Regierung wenig, da sie ihre nächsten Zwecke fast immer erreichte. Auf Taxile Delords höchst anziehende Schilderung der Pariser Presse und ihrer hervorragendsten Persönlichkeiten einzugehen, müssen wir uns ver¬ sagen. Einzelnes daraus anzuführen, wird sich später Gelegenheit finden. Dagegen werfen wir einen Blick auf das bei den Verwarnungen be¬ liebte Verfahren, weil in diesem sich der Geist der napoleonischen Verwaltung in besonders charakteristischer Weise ausspricht. Einer Verwarnung zu entgehen, war auch der vorsichtigsten Redaction unmöglich, da das rasfirnrte Zartgefühl der Präfecten oft die harmlosesten Aeußerungen gefährlich oder unschicklich fand. Unter Maupas vierzehn¬ monatlicher Verwaltung wurden der äußerst zahmen Presse 91 Verwarnungen ertheilt, unter Perfigny in einem Jahre deren 32, unter Billault 57. Und aus was für Gründen! Ein Blatt wird verwarnt wegen einer bittern Kri¬ tik eines Decrets über den Zucker, ein anderes, weil es Napoleon I. einen Missionär der Revolution genannt hat; ein anderes weil es den Fall Karl X. und Ludwig Philipps mit dem Napoleons I. vergleicht. Zwei Blätter wur¬ den verwarnt, weil sie in einer Journalfehde die Grenze des guten Ge¬ schmacks überschritten haben. — Der Phare de Lyon berichtet, daß eine Rede des Kaisers „nach der Mittheilung des Correspondenz Havas" großen Beifall gefunden habe. Der Präfect eröffnet ihm, daß diese zweifelnde For¬ mel unschicklich sei gegenüber dem Enthusiasmus, den die Worte des Kai¬ sers hervorgerufen! Auf die Beziehungen des Kaisers zu den verschiedenen Parteien, deren wenn auch meist stummer, doch unverminderter und der Zukunft harrender Groll die Regierung auch in der Periode ihrer höchsten Macht, auch in den Zeiten, wo Frankreichs Oberfläche ruhig und unbewegt war, wie der Mee¬ resspiegel bei völliger Windstille, mit banger Sorge erfüllte, müssen wir im nächsten Artikel noch zurückkommen. G. Z. Ein Arles an die Redaktion. Geehrte Redaktion! Ihre Leser wollen jetzt vor Allem Neuigkeiten und kurze Belehrungen. Ich bin bereit, Ihnen solche zu liefern und habe nichts dagegen, wenn Sie mich unter Ihre Specialcorrespondenten ausnehmen. An

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/228>, abgerufen am 05.07.2024.