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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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dabei so, als ob es ihnen darum zu thun sei, Gesittung, Bildung und Wohl¬
stand von ihrem Volke fern zu halten.

Es ist ein von den Freunden der Polen gern geglaubtes Axiom dieser
Edelleute, daß die Aufrichtung Polens als eines Bollwerks gegen Rußland
ein europäisches Interesse sei. Aber wo sind die Elemente, die diesem neuen
Staate Halt und Dauer zu geben vermöchten? Wo ist zunächst das Ma¬
terial zu einem Beamtenthum, dessen Pflichttreue im Kleinen wie im Großen
unerläßlich ist, um in dem verwickelten staatlichen OrganismusdieSäfte in gesun¬
dem Umlauf zu erhalten? Die verhältnißmäßig nicht große Zahl preußischer
Beamten von polnischer Nationalität darf uns hier nicht entgegengehalten
werden; denn sie sind eben preußische Beamte und aus preußischer Schule
hervorgegangen. An einer liberalen Verfassung serner, ähnlich der Verfassung,
welche sich der Rest Polens im Jahre 1791 gab, würde es zwar sicherlich
nicht fehlen, aber diese Verfassung würde den Adel nicht hindern, seine
Hrrrschgelüste einem unkräftigen, widerstandsunfähigen Bürger- und Bauern¬
stande gegenüber zu befriedigen. Bald würde das Land, wie ehedem, der
Schauplatz selbstmörderischer Kämpfe unter dem Adel selbst sein, welche die
Einmischung der Nachbarstaaten herbeiziehen würde. Die polnische Frage
würde nicht gelöst sein, und was ein Bollwerk gegen Rußland sein sollte,
würde voraussichtlich seine Beute werden. Zu einer Verwirklichung der
üblen Valleiläten, die noch im polnischen Adel umgehen, fehlt es aber vor
allem an dem Rückhalt in der breiten Basis des Volkes: im Bauernstande.

Der erste Eindruck, den der mit den Verhältnissen unserer Provinz nicht
vertraute Deutsche Zom polnischen Ba ner empfängt, ist ein entschieden
ungünstiger. Schon in seiner äußern Erscheinung, in dem langen Rock von
grobwollenem, selbftgewirktem Zeuge, in dem schmutzigen Schaafpelze, den er
den Winter über trägt, in dem ungeordneten langen Haupthaare und schlecht¬
gepflegten Barte tritt uns ein Mangel an Kultur entgegen, den wir bei
dem deutschen Bauer nicht gewohnt sind. Von der niedrigen Bildungs¬
stufe, auf der er steht, haben öfter die Zeitungen zu berichten Veranlassung
gehabt. Die Provinz Posen liefert unter allen Provinzen den größten Pro¬
centsatz lesens- und schreibensunkundiger Rekruten. Hier, wie überall in
Preußen, herrscht der Schulzwang; dennoch entbehrt selbst die der Schule
kaum entwachsene Jugend oft der nothdürftigsten Kenntnisse, und je älter
der Bauer wird, desto mehr entschlage er sich der Kunst des Lesens und
Schreibens, die er sich einst widerwillig hat aufdrängen lassen und von der
er kaum Gebrauch zu machen weiß. Denn Bücher oder Zeitungen existiren
für ihn nicht, und das Wenige, was er an die Behörde oder an ein Fa¬
milienglied zu schreiben hat, kann er sich vom Schullehrer des Ortes auf¬
setzen lassen, welcher ohnehin als der geschäftskundigste und klügste Mann


dabei so, als ob es ihnen darum zu thun sei, Gesittung, Bildung und Wohl¬
stand von ihrem Volke fern zu halten.

Es ist ein von den Freunden der Polen gern geglaubtes Axiom dieser
Edelleute, daß die Aufrichtung Polens als eines Bollwerks gegen Rußland
ein europäisches Interesse sei. Aber wo sind die Elemente, die diesem neuen
Staate Halt und Dauer zu geben vermöchten? Wo ist zunächst das Ma¬
terial zu einem Beamtenthum, dessen Pflichttreue im Kleinen wie im Großen
unerläßlich ist, um in dem verwickelten staatlichen OrganismusdieSäfte in gesun¬
dem Umlauf zu erhalten? Die verhältnißmäßig nicht große Zahl preußischer
Beamten von polnischer Nationalität darf uns hier nicht entgegengehalten
werden; denn sie sind eben preußische Beamte und aus preußischer Schule
hervorgegangen. An einer liberalen Verfassung serner, ähnlich der Verfassung,
welche sich der Rest Polens im Jahre 1791 gab, würde es zwar sicherlich
nicht fehlen, aber diese Verfassung würde den Adel nicht hindern, seine
Hrrrschgelüste einem unkräftigen, widerstandsunfähigen Bürger- und Bauern¬
stande gegenüber zu befriedigen. Bald würde das Land, wie ehedem, der
Schauplatz selbstmörderischer Kämpfe unter dem Adel selbst sein, welche die
Einmischung der Nachbarstaaten herbeiziehen würde. Die polnische Frage
würde nicht gelöst sein, und was ein Bollwerk gegen Rußland sein sollte,
würde voraussichtlich seine Beute werden. Zu einer Verwirklichung der
üblen Valleiläten, die noch im polnischen Adel umgehen, fehlt es aber vor
allem an dem Rückhalt in der breiten Basis des Volkes: im Bauernstande.

Der erste Eindruck, den der mit den Verhältnissen unserer Provinz nicht
vertraute Deutsche Zom polnischen Ba ner empfängt, ist ein entschieden
ungünstiger. Schon in seiner äußern Erscheinung, in dem langen Rock von
grobwollenem, selbftgewirktem Zeuge, in dem schmutzigen Schaafpelze, den er
den Winter über trägt, in dem ungeordneten langen Haupthaare und schlecht¬
gepflegten Barte tritt uns ein Mangel an Kultur entgegen, den wir bei
dem deutschen Bauer nicht gewohnt sind. Von der niedrigen Bildungs¬
stufe, auf der er steht, haben öfter die Zeitungen zu berichten Veranlassung
gehabt. Die Provinz Posen liefert unter allen Provinzen den größten Pro¬
centsatz lesens- und schreibensunkundiger Rekruten. Hier, wie überall in
Preußen, herrscht der Schulzwang; dennoch entbehrt selbst die der Schule
kaum entwachsene Jugend oft der nothdürftigsten Kenntnisse, und je älter
der Bauer wird, desto mehr entschlage er sich der Kunst des Lesens und
Schreibens, die er sich einst widerwillig hat aufdrängen lassen und von der
er kaum Gebrauch zu machen weiß. Denn Bücher oder Zeitungen existiren
für ihn nicht, und das Wenige, was er an die Behörde oder an ein Fa¬
milienglied zu schreiben hat, kann er sich vom Schullehrer des Ortes auf¬
setzen lassen, welcher ohnehin als der geschäftskundigste und klügste Mann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/214>, abgerufen am 28.07.2024.