Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die jene Nothwendigkeit erkennen; von ihnen gehen namentlich die Hand-
werkerbtldungs- und Vorschußvereine aus, die sich in einer Reihe von Städ¬
ten befinden. Allein die Zahl dieser Männer ist nicht groß, die Mehrheit
der Edelleute folgt immer noch blindlings der Ueberlieferung, daß der Adel
allein die Nation darstelle und daß alles Uebrige dazu da sei, um ihnen
ein müheloses Leben zu schaffen.

Im Privatleben sind diese Adeligen nichts weniger als sorgsame Haus-
väter. Der jüdische Factor, dessen Beistand sie bei keinem Geschäfte entbeh¬
ren können, weiß besser in ihren Verhältnissen Bescheid, als sie selbst, und
benutzt natürlich ihr übermäßiges und leichtsinniges Vertrauen bestens zu
seinem Vortheil. Den Handwerker und Kaufmann pünktlich zu bezahlen, ist
ihre Sorge eben nicht. Ueber ihre Wirthschaftsbeamten führen sie keine
Controle, bis auf irgend welchen Verdacht der Untreue hin ein beleidigendes
Mißtrauen an die Stelle des unbekümmerten Gehenlassens tritt und Herr und
Dienerin Unfrieden und Haß von einander scheiden. Ihr herrisches Wesen gegen
den niedriger Stehenden, ihre Härte gegen ihre Untergebenen, die oft genug
das Gesetz gegen sie anrufen müssen und es noch öfter thäten, wenn sie nicht
die Abhängigkeit von ihren Herren daran verhinderte, die Gleichgiltigkeit
endlich gegen das Loos ihrer Dienstleute, deren elende Wohnungen und
schlechte Nahrung nicht selten an die ehemalige Leibeigenschaft erinnern, alles
dies zeigt, daß sie nicht nur mehr genießen als arbeiten wollen, sondern auch
von der Natur zum Genusse auf Kosten Anderer bestimmt zu sein glauben.

Aber sie lassen es nicht dabei bewenden, daß sie für ihre Nation nichts
leisten. Ihre Kräfte und die Kräfte ihres Volkes verzetteln sie in frucht¬
losen Aufstandsversuchen, indem sie dem verwerflichen Wahne folgen, dies
diene zur Stärkung des Nationalbewußtseins. Dann als Verbannte umher¬
irrend hören sie nicht auf zu conspiriren, klopfen an alle Thüren, erwarten
ihr Heil bald vom Westen, bald vom Süden und tragen kein Bedenken, aus
die geringste Chance hin den Brand des Aufruhrs von neuem in ihr Volk
zu werfen. Wäre nicht so viel zu thun, um nur erst die Nation auf die
Stufe anderer civilisirter Völker zu erheben, so könnte man den persönlichen
Muth, den Heroismus bewundern. Aber wie die Sachen stehen, hat dieses
gefährliche Spiel mit den Interessen der Nation eine zu starke Beimischung
von Standesegoismus, um unsers Respectes werth zu sein. Wenn ihnen
das Wohl des Bürgers und Bauern am Herzen läge, so würden sie den
Kampfplatz auf dem Gebiete der geistigen und materiellen Interessen suchen,
und Verbreitung von Bildung und Wohlstand würde das Ziel des Kampfes
sein. Aber nur für ihre Herrschaft kämpfen sie, während sie sich für ihr
Volk zu opfern glauben, weil sie sich für das Volk halten, und sie handeln


Grenzboten III. 1870. 27

die jene Nothwendigkeit erkennen; von ihnen gehen namentlich die Hand-
werkerbtldungs- und Vorschußvereine aus, die sich in einer Reihe von Städ¬
ten befinden. Allein die Zahl dieser Männer ist nicht groß, die Mehrheit
der Edelleute folgt immer noch blindlings der Ueberlieferung, daß der Adel
allein die Nation darstelle und daß alles Uebrige dazu da sei, um ihnen
ein müheloses Leben zu schaffen.

Im Privatleben sind diese Adeligen nichts weniger als sorgsame Haus-
väter. Der jüdische Factor, dessen Beistand sie bei keinem Geschäfte entbeh¬
ren können, weiß besser in ihren Verhältnissen Bescheid, als sie selbst, und
benutzt natürlich ihr übermäßiges und leichtsinniges Vertrauen bestens zu
seinem Vortheil. Den Handwerker und Kaufmann pünktlich zu bezahlen, ist
ihre Sorge eben nicht. Ueber ihre Wirthschaftsbeamten führen sie keine
Controle, bis auf irgend welchen Verdacht der Untreue hin ein beleidigendes
Mißtrauen an die Stelle des unbekümmerten Gehenlassens tritt und Herr und
Dienerin Unfrieden und Haß von einander scheiden. Ihr herrisches Wesen gegen
den niedriger Stehenden, ihre Härte gegen ihre Untergebenen, die oft genug
das Gesetz gegen sie anrufen müssen und es noch öfter thäten, wenn sie nicht
die Abhängigkeit von ihren Herren daran verhinderte, die Gleichgiltigkeit
endlich gegen das Loos ihrer Dienstleute, deren elende Wohnungen und
schlechte Nahrung nicht selten an die ehemalige Leibeigenschaft erinnern, alles
dies zeigt, daß sie nicht nur mehr genießen als arbeiten wollen, sondern auch
von der Natur zum Genusse auf Kosten Anderer bestimmt zu sein glauben.

Aber sie lassen es nicht dabei bewenden, daß sie für ihre Nation nichts
leisten. Ihre Kräfte und die Kräfte ihres Volkes verzetteln sie in frucht¬
losen Aufstandsversuchen, indem sie dem verwerflichen Wahne folgen, dies
diene zur Stärkung des Nationalbewußtseins. Dann als Verbannte umher¬
irrend hören sie nicht auf zu conspiriren, klopfen an alle Thüren, erwarten
ihr Heil bald vom Westen, bald vom Süden und tragen kein Bedenken, aus
die geringste Chance hin den Brand des Aufruhrs von neuem in ihr Volk
zu werfen. Wäre nicht so viel zu thun, um nur erst die Nation auf die
Stufe anderer civilisirter Völker zu erheben, so könnte man den persönlichen
Muth, den Heroismus bewundern. Aber wie die Sachen stehen, hat dieses
gefährliche Spiel mit den Interessen der Nation eine zu starke Beimischung
von Standesegoismus, um unsers Respectes werth zu sein. Wenn ihnen
das Wohl des Bürgers und Bauern am Herzen läge, so würden sie den
Kampfplatz auf dem Gebiete der geistigen und materiellen Interessen suchen,
und Verbreitung von Bildung und Wohlstand würde das Ziel des Kampfes
sein. Aber nur für ihre Herrschaft kämpfen sie, während sie sich für ihr
Volk zu opfern glauben, weil sie sich für das Volk halten, und sie handeln


Grenzboten III. 1870. 27
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0213" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124363"/>
            <p xml:id="ID_580" prev="#ID_579"> die jene Nothwendigkeit erkennen; von ihnen gehen namentlich die Hand-<lb/>
werkerbtldungs- und Vorschußvereine aus, die sich in einer Reihe von Städ¬<lb/>
ten befinden. Allein die Zahl dieser Männer ist nicht groß, die Mehrheit<lb/>
der Edelleute folgt immer noch blindlings der Ueberlieferung, daß der Adel<lb/>
allein die Nation darstelle und daß alles Uebrige dazu da sei, um ihnen<lb/>
ein müheloses Leben zu schaffen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_581"> Im Privatleben sind diese Adeligen nichts weniger als sorgsame Haus-<lb/>
väter. Der jüdische Factor, dessen Beistand sie bei keinem Geschäfte entbeh¬<lb/>
ren können, weiß besser in ihren Verhältnissen Bescheid, als sie selbst, und<lb/>
benutzt natürlich ihr übermäßiges und leichtsinniges Vertrauen bestens zu<lb/>
seinem Vortheil. Den Handwerker und Kaufmann pünktlich zu bezahlen, ist<lb/>
ihre Sorge eben nicht. Ueber ihre Wirthschaftsbeamten führen sie keine<lb/>
Controle, bis auf irgend welchen Verdacht der Untreue hin ein beleidigendes<lb/>
Mißtrauen an die Stelle des unbekümmerten Gehenlassens tritt und Herr und<lb/>
Dienerin Unfrieden und Haß von einander scheiden. Ihr herrisches Wesen gegen<lb/>
den niedriger Stehenden, ihre Härte gegen ihre Untergebenen, die oft genug<lb/>
das Gesetz gegen sie anrufen müssen und es noch öfter thäten, wenn sie nicht<lb/>
die Abhängigkeit von ihren Herren daran verhinderte, die Gleichgiltigkeit<lb/>
endlich gegen das Loos ihrer Dienstleute, deren elende Wohnungen und<lb/>
schlechte Nahrung nicht selten an die ehemalige Leibeigenschaft erinnern, alles<lb/>
dies zeigt, daß sie nicht nur mehr genießen als arbeiten wollen, sondern auch<lb/>
von der Natur zum Genusse auf Kosten Anderer bestimmt zu sein glauben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_582" next="#ID_583"> Aber sie lassen es nicht dabei bewenden, daß sie für ihre Nation nichts<lb/>
leisten. Ihre Kräfte und die Kräfte ihres Volkes verzetteln sie in frucht¬<lb/>
losen Aufstandsversuchen, indem sie dem verwerflichen Wahne folgen, dies<lb/>
diene zur Stärkung des Nationalbewußtseins. Dann als Verbannte umher¬<lb/>
irrend hören sie nicht auf zu conspiriren, klopfen an alle Thüren, erwarten<lb/>
ihr Heil bald vom Westen, bald vom Süden und tragen kein Bedenken, aus<lb/>
die geringste Chance hin den Brand des Aufruhrs von neuem in ihr Volk<lb/>
zu werfen. Wäre nicht so viel zu thun, um nur erst die Nation auf die<lb/>
Stufe anderer civilisirter Völker zu erheben, so könnte man den persönlichen<lb/>
Muth, den Heroismus bewundern. Aber wie die Sachen stehen, hat dieses<lb/>
gefährliche Spiel mit den Interessen der Nation eine zu starke Beimischung<lb/>
von Standesegoismus, um unsers Respectes werth zu sein. Wenn ihnen<lb/>
das Wohl des Bürgers und Bauern am Herzen läge, so würden sie den<lb/>
Kampfplatz auf dem Gebiete der geistigen und materiellen Interessen suchen,<lb/>
und Verbreitung von Bildung und Wohlstand würde das Ziel des Kampfes<lb/>
sein. Aber nur für ihre Herrschaft kämpfen sie, während sie sich für ihr<lb/>
Volk zu opfern glauben, weil sie sich für das Volk halten, und sie handeln</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1870. 27</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0213] die jene Nothwendigkeit erkennen; von ihnen gehen namentlich die Hand- werkerbtldungs- und Vorschußvereine aus, die sich in einer Reihe von Städ¬ ten befinden. Allein die Zahl dieser Männer ist nicht groß, die Mehrheit der Edelleute folgt immer noch blindlings der Ueberlieferung, daß der Adel allein die Nation darstelle und daß alles Uebrige dazu da sei, um ihnen ein müheloses Leben zu schaffen. Im Privatleben sind diese Adeligen nichts weniger als sorgsame Haus- väter. Der jüdische Factor, dessen Beistand sie bei keinem Geschäfte entbeh¬ ren können, weiß besser in ihren Verhältnissen Bescheid, als sie selbst, und benutzt natürlich ihr übermäßiges und leichtsinniges Vertrauen bestens zu seinem Vortheil. Den Handwerker und Kaufmann pünktlich zu bezahlen, ist ihre Sorge eben nicht. Ueber ihre Wirthschaftsbeamten führen sie keine Controle, bis auf irgend welchen Verdacht der Untreue hin ein beleidigendes Mißtrauen an die Stelle des unbekümmerten Gehenlassens tritt und Herr und Dienerin Unfrieden und Haß von einander scheiden. Ihr herrisches Wesen gegen den niedriger Stehenden, ihre Härte gegen ihre Untergebenen, die oft genug das Gesetz gegen sie anrufen müssen und es noch öfter thäten, wenn sie nicht die Abhängigkeit von ihren Herren daran verhinderte, die Gleichgiltigkeit endlich gegen das Loos ihrer Dienstleute, deren elende Wohnungen und schlechte Nahrung nicht selten an die ehemalige Leibeigenschaft erinnern, alles dies zeigt, daß sie nicht nur mehr genießen als arbeiten wollen, sondern auch von der Natur zum Genusse auf Kosten Anderer bestimmt zu sein glauben. Aber sie lassen es nicht dabei bewenden, daß sie für ihre Nation nichts leisten. Ihre Kräfte und die Kräfte ihres Volkes verzetteln sie in frucht¬ losen Aufstandsversuchen, indem sie dem verwerflichen Wahne folgen, dies diene zur Stärkung des Nationalbewußtseins. Dann als Verbannte umher¬ irrend hören sie nicht auf zu conspiriren, klopfen an alle Thüren, erwarten ihr Heil bald vom Westen, bald vom Süden und tragen kein Bedenken, aus die geringste Chance hin den Brand des Aufruhrs von neuem in ihr Volk zu werfen. Wäre nicht so viel zu thun, um nur erst die Nation auf die Stufe anderer civilisirter Völker zu erheben, so könnte man den persönlichen Muth, den Heroismus bewundern. Aber wie die Sachen stehen, hat dieses gefährliche Spiel mit den Interessen der Nation eine zu starke Beimischung von Standesegoismus, um unsers Respectes werth zu sein. Wenn ihnen das Wohl des Bürgers und Bauern am Herzen läge, so würden sie den Kampfplatz auf dem Gebiete der geistigen und materiellen Interessen suchen, und Verbreitung von Bildung und Wohlstand würde das Ziel des Kampfes sein. Aber nur für ihre Herrschaft kämpfen sie, während sie sich für ihr Volk zu opfern glauben, weil sie sich für das Volk halten, und sie handeln Grenzboten III. 1870. 27

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/213
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/213>, abgerufen am 28.07.2024.