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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Schon leuchten vereinzelte Blitze am fernen Horizont durch die Schwüle
der Erwartung, die beiden Heere haben auf weiter Strecke Fühlung
aneinander und die Luft schwirrt unheimlich von Gerüchten und Ver¬
muthungen. Das sind die harren Proben der Geduld für die Zurückblei¬
benden, um so härter, als die unerhörte Art, mit welcher der Krieg über
Nacht zur Thatsache geworden war, Vielen den quälenden Zweifel aufdrang,
ob nicht im letzten Augenblick eine Intervention von Außen den Kampf be¬
schwören könne. Mit Sorge wurde auch die Möglichkeit erwogen, daß uns Ge¬
nossen kämen; denn wir sind überzeugt, daß der Starke am mächtigsten ist,
wenn er allein bleibt, und wir erinnern uns mit Unwillen der Schädigung,
die unseren Interessen in früherer Zeit durch Allianzen widerfahren ist. Ins-
besondere das Kriegstheater, das jetzt vor unserem Heere liegt, mahnt mit
jedem Schritte, den wir vorwärts thun, eindringlicher, wie lähmend fremde
Waffengenossenschaft wirken kann.

Wir haben Grund zu glauben, daß unser Gegner seine Lage nicht
ebenso beurtheilt. Warum dem raschen Kriegsgeschrei zaubernde Heerführung
folgt, wird zunächst militärisch zu erklären sein; dem Laien am verständlichsten
ist die Annahme, Napoleon warte mit seinem Vormarsch auf Nachrichten
aus der Ostsee. Er hat die Möglichkeit, uns dort, sei es nun mit ernsten
oder Scheinangriffen dergestalt zu beunruhigen, daß eine gefährliche Zersplitte¬
rung unserer Kräfte die Folge sein kann. Aber wir meinen, es sind in
höherem Grade politische Momente für sein Verfahren entscheidend. Offen¬
bar hat er eine Reihe grober Täuschungen zu beklagen. Jgnorante Agenten,
die nur sahen, was sie wünschten, haben ihm falsche Vorstellungen über die
Lage innerhalb Deutschlands beigebracht; der Anschluß des Südens ändert
sicherlich Manches in seiner militärischen Calculation, endlich die Thatsache,
daß das deutsche Volksheer sich mit einer Schnelligkeit, die den Werth
der gegnerischen Kriegsvorbereitungen illusorisch macht, an der französi¬
schen Grenze sammelt, legt gerade dem Fatalisten Bedenken auf. Keine
Frage: die Möglichkeit ungünstigen Ausganges steht drohend vor seiner
Seele. Wie kann er vor den Franzosen eine Niederlage verantworten, ja
auch nur tragen? Für alle Fälle muß ihm vortheilhaft dünken, andere
Mächte in den Kampf hereinzurufen. Gewinne er sich einseitig Helfer, die
eigenen Kriegsgrund haben, desto besser für seine schlechte Sache. Es ist auf¬
fällig, daß in den französischen Manifesten nicht ausdrücklich des Prager Friedens


Grenzboten III. 1870. 26

Schon leuchten vereinzelte Blitze am fernen Horizont durch die Schwüle
der Erwartung, die beiden Heere haben auf weiter Strecke Fühlung
aneinander und die Luft schwirrt unheimlich von Gerüchten und Ver¬
muthungen. Das sind die harren Proben der Geduld für die Zurückblei¬
benden, um so härter, als die unerhörte Art, mit welcher der Krieg über
Nacht zur Thatsache geworden war, Vielen den quälenden Zweifel aufdrang,
ob nicht im letzten Augenblick eine Intervention von Außen den Kampf be¬
schwören könne. Mit Sorge wurde auch die Möglichkeit erwogen, daß uns Ge¬
nossen kämen; denn wir sind überzeugt, daß der Starke am mächtigsten ist,
wenn er allein bleibt, und wir erinnern uns mit Unwillen der Schädigung,
die unseren Interessen in früherer Zeit durch Allianzen widerfahren ist. Ins-
besondere das Kriegstheater, das jetzt vor unserem Heere liegt, mahnt mit
jedem Schritte, den wir vorwärts thun, eindringlicher, wie lähmend fremde
Waffengenossenschaft wirken kann.

Wir haben Grund zu glauben, daß unser Gegner seine Lage nicht
ebenso beurtheilt. Warum dem raschen Kriegsgeschrei zaubernde Heerführung
folgt, wird zunächst militärisch zu erklären sein; dem Laien am verständlichsten
ist die Annahme, Napoleon warte mit seinem Vormarsch auf Nachrichten
aus der Ostsee. Er hat die Möglichkeit, uns dort, sei es nun mit ernsten
oder Scheinangriffen dergestalt zu beunruhigen, daß eine gefährliche Zersplitte¬
rung unserer Kräfte die Folge sein kann. Aber wir meinen, es sind in
höherem Grade politische Momente für sein Verfahren entscheidend. Offen¬
bar hat er eine Reihe grober Täuschungen zu beklagen. Jgnorante Agenten,
die nur sahen, was sie wünschten, haben ihm falsche Vorstellungen über die
Lage innerhalb Deutschlands beigebracht; der Anschluß des Südens ändert
sicherlich Manches in seiner militärischen Calculation, endlich die Thatsache,
daß das deutsche Volksheer sich mit einer Schnelligkeit, die den Werth
der gegnerischen Kriegsvorbereitungen illusorisch macht, an der französi¬
schen Grenze sammelt, legt gerade dem Fatalisten Bedenken auf. Keine
Frage: die Möglichkeit ungünstigen Ausganges steht drohend vor seiner
Seele. Wie kann er vor den Franzosen eine Niederlage verantworten, ja
auch nur tragen? Für alle Fälle muß ihm vortheilhaft dünken, andere
Mächte in den Kampf hereinzurufen. Gewinne er sich einseitig Helfer, die
eigenen Kriegsgrund haben, desto besser für seine schlechte Sache. Es ist auf¬
fällig, daß in den französischen Manifesten nicht ausdrücklich des Prager Friedens


Grenzboten III. 1870. 26
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[0205] Schon leuchten vereinzelte Blitze am fernen Horizont durch die Schwüle der Erwartung, die beiden Heere haben auf weiter Strecke Fühlung aneinander und die Luft schwirrt unheimlich von Gerüchten und Ver¬ muthungen. Das sind die harren Proben der Geduld für die Zurückblei¬ benden, um so härter, als die unerhörte Art, mit welcher der Krieg über Nacht zur Thatsache geworden war, Vielen den quälenden Zweifel aufdrang, ob nicht im letzten Augenblick eine Intervention von Außen den Kampf be¬ schwören könne. Mit Sorge wurde auch die Möglichkeit erwogen, daß uns Ge¬ nossen kämen; denn wir sind überzeugt, daß der Starke am mächtigsten ist, wenn er allein bleibt, und wir erinnern uns mit Unwillen der Schädigung, die unseren Interessen in früherer Zeit durch Allianzen widerfahren ist. Ins- besondere das Kriegstheater, das jetzt vor unserem Heere liegt, mahnt mit jedem Schritte, den wir vorwärts thun, eindringlicher, wie lähmend fremde Waffengenossenschaft wirken kann. Wir haben Grund zu glauben, daß unser Gegner seine Lage nicht ebenso beurtheilt. Warum dem raschen Kriegsgeschrei zaubernde Heerführung folgt, wird zunächst militärisch zu erklären sein; dem Laien am verständlichsten ist die Annahme, Napoleon warte mit seinem Vormarsch auf Nachrichten aus der Ostsee. Er hat die Möglichkeit, uns dort, sei es nun mit ernsten oder Scheinangriffen dergestalt zu beunruhigen, daß eine gefährliche Zersplitte¬ rung unserer Kräfte die Folge sein kann. Aber wir meinen, es sind in höherem Grade politische Momente für sein Verfahren entscheidend. Offen¬ bar hat er eine Reihe grober Täuschungen zu beklagen. Jgnorante Agenten, die nur sahen, was sie wünschten, haben ihm falsche Vorstellungen über die Lage innerhalb Deutschlands beigebracht; der Anschluß des Südens ändert sicherlich Manches in seiner militärischen Calculation, endlich die Thatsache, daß das deutsche Volksheer sich mit einer Schnelligkeit, die den Werth der gegnerischen Kriegsvorbereitungen illusorisch macht, an der französi¬ schen Grenze sammelt, legt gerade dem Fatalisten Bedenken auf. Keine Frage: die Möglichkeit ungünstigen Ausganges steht drohend vor seiner Seele. Wie kann er vor den Franzosen eine Niederlage verantworten, ja auch nur tragen? Für alle Fälle muß ihm vortheilhaft dünken, andere Mächte in den Kampf hereinzurufen. Gewinne er sich einseitig Helfer, die eigenen Kriegsgrund haben, desto besser für seine schlechte Sache. Es ist auf¬ fällig, daß in den französischen Manifesten nicht ausdrücklich des Prager Friedens Grenzboten III. 1870. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/205>, abgerufen am 28.07.2024.