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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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wohl ohne großen Schaden der Text einer Musik in andere Sprache über¬
setzen, es gibt keine andere Oper; andere Musik zu demselben Text aber gibt
eine andere Oper und da paßt die Parallele mit Colorit eben auch nicht,
denn dieselbe Zeichnung mit anderem Colorit gibt auch noch nicht ein ande¬
res Bild. -- Von Bildern zu sprechen, so ist vor einigen Monaten die
6te Lieferung von L. Richter's Goethealbum herausgekommen und zwar mit
dem Beisatz "Schluß", also aufgehört, denn es sollte weit mehr werden. Rei¬
zend sind immer auch diese Sachen, wie alles was R. macht; sie haben aber
von allen Richter'schen Arbeiten mich am wenigsten angesprochen, vom An¬
fang bis zum Ende, es ist mir nicht so wohl dabei geworden wie bei so
vielen andern. Faust's Gretchen, Egmont's Clärchen sind wohl nur "Bürger¬
mädchen" -- aber wo ist eine Schauspielerin, die sie uns ganz zu Dank darstellt,
das Gretchen nun gleich gar nicht, es wird albern oder geziert; und andere
natürliche Wesen spielen sie doch oft ganz gut. Es ist aber bei Goethe's
Natürlichkeit noch immer Etwas dahinter, die Idee, das symbolische, und
das auf irgend eine Weise, in der persönlichen Darstellung wie im Bild, zur
Erscheinung zu bringen, ist so schwer, ja vielleicht unmöglich. Beim Lesen und
Denken habe ich den Dichter und das Gedicht vor mir, bei weiterer Dar¬
stellung das Gedicht und den Darsteller. Goethe ist, möcht ich sagen, nicht
mehr persönlich dabei, es bleibt nur von ihm, was er seine Person sagen
läßt. Jemehr er dieser Person sich selbst in den Mund legen kann, desto
eher wird sie Goethisch zu reproduciren sein, Iphigenie gewiß viel leichter
als Gretchen, da er so vieles von dem Seinen muß verschweigen lassen, was
er doch in der Schöpfung dieses lieben Geschöpfes dabei hatte. --

Den Richter'schen naiven Goethefiguren fehlt es, scheint mir, an Bedeu¬
tung, denen der ersteren reflectirten Dichtung an Würde. Hermann und
Dorothea, die Personen kann man sich nun einmal nicht anders als Goethisch
denken, bei Richter sind es gleichgiltige Figuren, wie sie überall am Platz
wären. Es ist überhaupt schlimm sür einen Illustrator, sür den zeichnenden
Nachdichter, daß wir gar so bestimmte Bilder der Goethischen Personen in
uns tragen, und doch Jeder wohl wieder andere, und Keiner dem Andern
mit den seinigen Genüge leisten wird. Ich meine freilich mehr die wirklich
lebendigen Personen. Aus dem zweiten Theil des Faust und der classischen
Walpurgisnacht könnte mir schon Einer etwas vorbilden, ohne dabei mit
einem bestimmten mir eigenen Bild hart anzustoßen -- ja, aus der Eugenie mit
den personificirten Standesabstracten, allenfalls auch -- der zweite Theil des
Faust wäre etwas für den Genelli, der sich gern in kalter, abstracter Plastik ergeht.

Es ist Ihnen jedenfalls schon die Ankündigung einer projectirten
Händelgesellschaft zugekommen, von' Gervinus angeregt und mit großem
Eiser und vieler Zuversicht des Gelingens unternommen. Er war selbst


wohl ohne großen Schaden der Text einer Musik in andere Sprache über¬
setzen, es gibt keine andere Oper; andere Musik zu demselben Text aber gibt
eine andere Oper und da paßt die Parallele mit Colorit eben auch nicht,
denn dieselbe Zeichnung mit anderem Colorit gibt auch noch nicht ein ande¬
res Bild. — Von Bildern zu sprechen, so ist vor einigen Monaten die
6te Lieferung von L. Richter's Goethealbum herausgekommen und zwar mit
dem Beisatz „Schluß", also aufgehört, denn es sollte weit mehr werden. Rei¬
zend sind immer auch diese Sachen, wie alles was R. macht; sie haben aber
von allen Richter'schen Arbeiten mich am wenigsten angesprochen, vom An¬
fang bis zum Ende, es ist mir nicht so wohl dabei geworden wie bei so
vielen andern. Faust's Gretchen, Egmont's Clärchen sind wohl nur „Bürger¬
mädchen" — aber wo ist eine Schauspielerin, die sie uns ganz zu Dank darstellt,
das Gretchen nun gleich gar nicht, es wird albern oder geziert; und andere
natürliche Wesen spielen sie doch oft ganz gut. Es ist aber bei Goethe's
Natürlichkeit noch immer Etwas dahinter, die Idee, das symbolische, und
das auf irgend eine Weise, in der persönlichen Darstellung wie im Bild, zur
Erscheinung zu bringen, ist so schwer, ja vielleicht unmöglich. Beim Lesen und
Denken habe ich den Dichter und das Gedicht vor mir, bei weiterer Dar¬
stellung das Gedicht und den Darsteller. Goethe ist, möcht ich sagen, nicht
mehr persönlich dabei, es bleibt nur von ihm, was er seine Person sagen
läßt. Jemehr er dieser Person sich selbst in den Mund legen kann, desto
eher wird sie Goethisch zu reproduciren sein, Iphigenie gewiß viel leichter
als Gretchen, da er so vieles von dem Seinen muß verschweigen lassen, was
er doch in der Schöpfung dieses lieben Geschöpfes dabei hatte. —

Den Richter'schen naiven Goethefiguren fehlt es, scheint mir, an Bedeu¬
tung, denen der ersteren reflectirten Dichtung an Würde. Hermann und
Dorothea, die Personen kann man sich nun einmal nicht anders als Goethisch
denken, bei Richter sind es gleichgiltige Figuren, wie sie überall am Platz
wären. Es ist überhaupt schlimm sür einen Illustrator, sür den zeichnenden
Nachdichter, daß wir gar so bestimmte Bilder der Goethischen Personen in
uns tragen, und doch Jeder wohl wieder andere, und Keiner dem Andern
mit den seinigen Genüge leisten wird. Ich meine freilich mehr die wirklich
lebendigen Personen. Aus dem zweiten Theil des Faust und der classischen
Walpurgisnacht könnte mir schon Einer etwas vorbilden, ohne dabei mit
einem bestimmten mir eigenen Bild hart anzustoßen — ja, aus der Eugenie mit
den personificirten Standesabstracten, allenfalls auch — der zweite Theil des
Faust wäre etwas für den Genelli, der sich gern in kalter, abstracter Plastik ergeht.

Es ist Ihnen jedenfalls schon die Ankündigung einer projectirten
Händelgesellschaft zugekommen, von' Gervinus angeregt und mit großem
Eiser und vieler Zuversicht des Gelingens unternommen. Er war selbst


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[0096] wohl ohne großen Schaden der Text einer Musik in andere Sprache über¬ setzen, es gibt keine andere Oper; andere Musik zu demselben Text aber gibt eine andere Oper und da paßt die Parallele mit Colorit eben auch nicht, denn dieselbe Zeichnung mit anderem Colorit gibt auch noch nicht ein ande¬ res Bild. — Von Bildern zu sprechen, so ist vor einigen Monaten die 6te Lieferung von L. Richter's Goethealbum herausgekommen und zwar mit dem Beisatz „Schluß", also aufgehört, denn es sollte weit mehr werden. Rei¬ zend sind immer auch diese Sachen, wie alles was R. macht; sie haben aber von allen Richter'schen Arbeiten mich am wenigsten angesprochen, vom An¬ fang bis zum Ende, es ist mir nicht so wohl dabei geworden wie bei so vielen andern. Faust's Gretchen, Egmont's Clärchen sind wohl nur „Bürger¬ mädchen" — aber wo ist eine Schauspielerin, die sie uns ganz zu Dank darstellt, das Gretchen nun gleich gar nicht, es wird albern oder geziert; und andere natürliche Wesen spielen sie doch oft ganz gut. Es ist aber bei Goethe's Natürlichkeit noch immer Etwas dahinter, die Idee, das symbolische, und das auf irgend eine Weise, in der persönlichen Darstellung wie im Bild, zur Erscheinung zu bringen, ist so schwer, ja vielleicht unmöglich. Beim Lesen und Denken habe ich den Dichter und das Gedicht vor mir, bei weiterer Dar¬ stellung das Gedicht und den Darsteller. Goethe ist, möcht ich sagen, nicht mehr persönlich dabei, es bleibt nur von ihm, was er seine Person sagen läßt. Jemehr er dieser Person sich selbst in den Mund legen kann, desto eher wird sie Goethisch zu reproduciren sein, Iphigenie gewiß viel leichter als Gretchen, da er so vieles von dem Seinen muß verschweigen lassen, was er doch in der Schöpfung dieses lieben Geschöpfes dabei hatte. — Den Richter'schen naiven Goethefiguren fehlt es, scheint mir, an Bedeu¬ tung, denen der ersteren reflectirten Dichtung an Würde. Hermann und Dorothea, die Personen kann man sich nun einmal nicht anders als Goethisch denken, bei Richter sind es gleichgiltige Figuren, wie sie überall am Platz wären. Es ist überhaupt schlimm sür einen Illustrator, sür den zeichnenden Nachdichter, daß wir gar so bestimmte Bilder der Goethischen Personen in uns tragen, und doch Jeder wohl wieder andere, und Keiner dem Andern mit den seinigen Genüge leisten wird. Ich meine freilich mehr die wirklich lebendigen Personen. Aus dem zweiten Theil des Faust und der classischen Walpurgisnacht könnte mir schon Einer etwas vorbilden, ohne dabei mit einem bestimmten mir eigenen Bild hart anzustoßen — ja, aus der Eugenie mit den personificirten Standesabstracten, allenfalls auch — der zweite Theil des Faust wäre etwas für den Genelli, der sich gern in kalter, abstracter Plastik ergeht. Es ist Ihnen jedenfalls schon die Ankündigung einer projectirten Händelgesellschaft zugekommen, von' Gervinus angeregt und mit großem Eiser und vieler Zuversicht des Gelingens unternommen. Er war selbst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/96>, abgerufen am 01.09.2024.