Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.Schatz, das darinne finden zu können, was es enthält, diesen stetigen Ver¬ Schatz, das darinne finden zu können, was es enthält, diesen stetigen Ver¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0088" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123708"/> <p xml:id="ID_212" prev="#ID_211" next="#ID_213"> Schatz, das darinne finden zu können, was es enthält, diesen stetigen Ver¬<lb/> folg einer Bildungsgeschichte zum allerhöchsten hinaus, wie man sie sonst nicht<lb/> wiederfindet, nicht in der Wirklichkeit und nicht in der Darstellung. Unsere<lb/> jungen Künstler wollen immer Außerordentliches und darum kommt nichts<lb/> Ordentliches zu Stande. Die Aelteren gingen vom Ordentlichen aus und<lb/> brachten es damit viel besser zum Außerordentlichen. Vom Anfänge herein<lb/> ist, was auch die Größten der früheren Zeit gemacht haben, eben nicht an¬<lb/> ders und will auch nicht anders sein, als überhaupt in der Zeit gemacht<lb/> wurde von den Anderen, die sie respectirten, anerkannten und verehrten; man<lb/> sah an ihnen hinauf, heut steigen sie ihnen gleich auf die Schultern. Dort<lb/> bildete sich aber zuerst eine Technik aus, die auch bei den geringeren Talen¬<lb/> ten sicherer wurde, als sie es jetzt bei den vorzüglichsten ist. Die Künstler<lb/> lernten vorerst ihr Handwerk, worin unsere bis ans Ende etwas Dilettanti¬<lb/> sches behalten — keinen ausgenommen —, wer könnte jetzt wohl etwas<lb/> machen, wie die kleine Mozart'sche L-Sur-Messe mit 2 Oboen, Trompeten<lb/> und Pauken ist? nicht Mendelssohn, nicht Spohr, nicht mal ein Johannes<lb/> Brahms. Und das nicht, weil sie von Mozart ist, nur weil sie von einem<lb/> Fertigen aus jener Zeit ist, denn ich meine nicht ihre poetische Qualität,<lb/> nur ihre natürliche ungesuchte sichere Factur, an der auch nicht das Geringste<lb/> zu verändern wäre, ohne etwas offenbar Ungeschicktes dabei zu thun. Von<lb/> unseren Componisten haben die tüchtigsten sich wohl auch ein gewisses sicheres<lb/> savoir ks-irs angeeignet, das man gut finden kann, es ist aber dann mehr<lb/> ihr eigenes Eigenthümliches, woran man sie sodann auch gleich erkennen<lb/> kann, was auch keiner so machen darf, ohne Plagiator zu werden. Davon<lb/> kann bei jenem, was ich an der L-aur-Messe meine, gar nicht die Rede sein;<lb/> das sind keine Redensarten, das ist die Sprache an sich. Es ist kaum ein<lb/> Glück sür einen jungen Componisten. in einer Zeit sich zu bilden wie die<lb/> unsere, in einer Atmosphäre, oder Dunstkreis, wie^das Wort im Deutschen<lb/> übersetzt wird, wie die uns jetzt umgibt, — es lernt keiner rein schreiben;<lb/> wie sollen auch unreine und ungesunde Gedanken einen reinen Ausdruck<lb/> suchen und finden können; ist es aber nicht unwahr im höchsten Grad, wenn<lb/> ein dummer kleiner Junge Chopin'sche Salonschmerzgefühle, musikalischen<lb/> Patchouli von sich geben will, der mit 0- und K-aur-Accord alles müßte<lb/> aussprechen können, was er zu fühlen die Natur hat. Die vielen v-äur-<lb/> Symphonien Mozarts aus den 60 er und ersten 70 er Jahren haben gewiß<lb/> nicht viel voraus vor so vielen anderen der Zeit, von Componisten, die man<lb/> nicht dem Namen nach mehr kennt, aber vor den Arbeiten unserer Anfänger<lb/> haben sie unendlich viel voraus; daß sie klar und wahr sind, das haben sie<lb/> auch vor denen unserer Componisten voraus, die nicht mehr Anfänger sind.<lb/> Goethe sagt einmal: „es ist leicht sprechen, wenn man nichts zu sagen hat"</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0088]
Schatz, das darinne finden zu können, was es enthält, diesen stetigen Ver¬
folg einer Bildungsgeschichte zum allerhöchsten hinaus, wie man sie sonst nicht
wiederfindet, nicht in der Wirklichkeit und nicht in der Darstellung. Unsere
jungen Künstler wollen immer Außerordentliches und darum kommt nichts
Ordentliches zu Stande. Die Aelteren gingen vom Ordentlichen aus und
brachten es damit viel besser zum Außerordentlichen. Vom Anfänge herein
ist, was auch die Größten der früheren Zeit gemacht haben, eben nicht an¬
ders und will auch nicht anders sein, als überhaupt in der Zeit gemacht
wurde von den Anderen, die sie respectirten, anerkannten und verehrten; man
sah an ihnen hinauf, heut steigen sie ihnen gleich auf die Schultern. Dort
bildete sich aber zuerst eine Technik aus, die auch bei den geringeren Talen¬
ten sicherer wurde, als sie es jetzt bei den vorzüglichsten ist. Die Künstler
lernten vorerst ihr Handwerk, worin unsere bis ans Ende etwas Dilettanti¬
sches behalten — keinen ausgenommen —, wer könnte jetzt wohl etwas
machen, wie die kleine Mozart'sche L-Sur-Messe mit 2 Oboen, Trompeten
und Pauken ist? nicht Mendelssohn, nicht Spohr, nicht mal ein Johannes
Brahms. Und das nicht, weil sie von Mozart ist, nur weil sie von einem
Fertigen aus jener Zeit ist, denn ich meine nicht ihre poetische Qualität,
nur ihre natürliche ungesuchte sichere Factur, an der auch nicht das Geringste
zu verändern wäre, ohne etwas offenbar Ungeschicktes dabei zu thun. Von
unseren Componisten haben die tüchtigsten sich wohl auch ein gewisses sicheres
savoir ks-irs angeeignet, das man gut finden kann, es ist aber dann mehr
ihr eigenes Eigenthümliches, woran man sie sodann auch gleich erkennen
kann, was auch keiner so machen darf, ohne Plagiator zu werden. Davon
kann bei jenem, was ich an der L-aur-Messe meine, gar nicht die Rede sein;
das sind keine Redensarten, das ist die Sprache an sich. Es ist kaum ein
Glück sür einen jungen Componisten. in einer Zeit sich zu bilden wie die
unsere, in einer Atmosphäre, oder Dunstkreis, wie^das Wort im Deutschen
übersetzt wird, wie die uns jetzt umgibt, — es lernt keiner rein schreiben;
wie sollen auch unreine und ungesunde Gedanken einen reinen Ausdruck
suchen und finden können; ist es aber nicht unwahr im höchsten Grad, wenn
ein dummer kleiner Junge Chopin'sche Salonschmerzgefühle, musikalischen
Patchouli von sich geben will, der mit 0- und K-aur-Accord alles müßte
aussprechen können, was er zu fühlen die Natur hat. Die vielen v-äur-
Symphonien Mozarts aus den 60 er und ersten 70 er Jahren haben gewiß
nicht viel voraus vor so vielen anderen der Zeit, von Componisten, die man
nicht dem Namen nach mehr kennt, aber vor den Arbeiten unserer Anfänger
haben sie unendlich viel voraus; daß sie klar und wahr sind, das haben sie
auch vor denen unserer Componisten voraus, die nicht mehr Anfänger sind.
Goethe sagt einmal: „es ist leicht sprechen, wenn man nichts zu sagen hat"
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