Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Staatsmann. Ihm war es Bedürfniß unmittelbar zu wirken und die Bildung
selbst galt ihm nichts, wenn sie nicht fruchtbringend für das Leben verwendet
würde. Mit seiner Gewohnheit der Contemplation, die alles harmonisch zu¬
sammenschaute, contrastirt merkwürdig der rastlose Eifer, zu dem ihn die Theil¬
nahme für die großen politischen Ereignisse seiner Zeit hinriß. Sehr unvoll¬
kommen war bisher diese Seite seines Wesens bekannt. Jetzt ist sie Jeder¬
mann zugänglich durch das treffliche Buch von Edmund Pfleiderer, das die
Ausgaben von Ouro Klopp und Foucher de Careil zum erstenmal für einen
größeren Leserkreis verwerthet, und zwar so, daß das strengwissenschaftliche
ausgeschieden wird und nur die nationale Seite in Leibnizens Wirksamkeit
zur Darstellung kommt.

Allerdings sind jene -- leider nach unvollendeten -- Sammelwerke auch
sonst schon benutzt worden. Zwar Hettner, der sich hier auf Biedermann
stützt, folgt noch zu sehr den aus der bisherigen Unkenntnis; entsprunge¬
nen Vorurtheilen. Die Darstellung Kuno Fischer's, klar und geistreich
gruppirt, ist doch nur ein Abriß, der die Reproduction der Leibnizischen
Philosophie einleitet. Eine ausführliche populäre Biographie hat neuerdings
ein hannoverischer Pastor Grote herausgegeben, "Leibniz und seine Zeit",
der aber dabei einen specifisch welfischen Leserkreis im Auge gehabt zu haben
scheint, denn er läßt Leibniz als Welfenapostel gegen das heutige Preußen-
Deutschland aufmarschiren. Eine Darstellung der Leibnizischen Theologie
hat A. Pichler unternommen, der schismatische Katholik, der für seine Ge¬
schichte der kirchlichen Trennung zwischen dem Orient und Occident erst den
geforderten Widerruf leistete, dann den Widerruf widerrief und für sein
neuestes Werk jedenfalls keine günstigere Meinung bei den Männern des
Index für sich erwecken wird, denn sein Ideal ist der Leibnizische Gedanke
einer vereinigten deutschen Nationalkirche. Ein eifriger Lutheraner hat sogar
die Befürwortung der christlichen Missionen durch Leibniz zum Gegenstand
eines eigenen Schriftchens gemacht. -- Was aber Leibniz für das deutsche
Volk gewesen ist. hat für das Volk zum erstenmal E. Pfleiderer dar¬
gestellt.

Auf gründlichen Studien beruhend ist doch die Schrift mit frischem ju-
gendlichem Sinn geschrieben und mit der begeisterten Freude, der Nation
Einen ihrer Besten zurückzuerobern. Sie ist zum Theil apologetisch gehalten,
aber das erforderte die bisher vorherrschende Behandlung Leibnizens. Den
künstlerischen Eindruck stört wohl zuweilen der stoffliche Charakter des Buchs;
allein dieser Mangel ist zugleich ein Vorzug. Es war unumgänglich, mög¬
lichst Vieles aus den Schriften Leibnizens selbst mitzutheilen, und man kann
für diese reichlichen Auszüge und Uebersetzungen nur dankbar sein, sofern die
mehrsprachigen Originalwerke doch nicht Jedermann zugänglich und noch immer


Staatsmann. Ihm war es Bedürfniß unmittelbar zu wirken und die Bildung
selbst galt ihm nichts, wenn sie nicht fruchtbringend für das Leben verwendet
würde. Mit seiner Gewohnheit der Contemplation, die alles harmonisch zu¬
sammenschaute, contrastirt merkwürdig der rastlose Eifer, zu dem ihn die Theil¬
nahme für die großen politischen Ereignisse seiner Zeit hinriß. Sehr unvoll¬
kommen war bisher diese Seite seines Wesens bekannt. Jetzt ist sie Jeder¬
mann zugänglich durch das treffliche Buch von Edmund Pfleiderer, das die
Ausgaben von Ouro Klopp und Foucher de Careil zum erstenmal für einen
größeren Leserkreis verwerthet, und zwar so, daß das strengwissenschaftliche
ausgeschieden wird und nur die nationale Seite in Leibnizens Wirksamkeit
zur Darstellung kommt.

Allerdings sind jene — leider nach unvollendeten — Sammelwerke auch
sonst schon benutzt worden. Zwar Hettner, der sich hier auf Biedermann
stützt, folgt noch zu sehr den aus der bisherigen Unkenntnis; entsprunge¬
nen Vorurtheilen. Die Darstellung Kuno Fischer's, klar und geistreich
gruppirt, ist doch nur ein Abriß, der die Reproduction der Leibnizischen
Philosophie einleitet. Eine ausführliche populäre Biographie hat neuerdings
ein hannoverischer Pastor Grote herausgegeben, „Leibniz und seine Zeit",
der aber dabei einen specifisch welfischen Leserkreis im Auge gehabt zu haben
scheint, denn er läßt Leibniz als Welfenapostel gegen das heutige Preußen-
Deutschland aufmarschiren. Eine Darstellung der Leibnizischen Theologie
hat A. Pichler unternommen, der schismatische Katholik, der für seine Ge¬
schichte der kirchlichen Trennung zwischen dem Orient und Occident erst den
geforderten Widerruf leistete, dann den Widerruf widerrief und für sein
neuestes Werk jedenfalls keine günstigere Meinung bei den Männern des
Index für sich erwecken wird, denn sein Ideal ist der Leibnizische Gedanke
einer vereinigten deutschen Nationalkirche. Ein eifriger Lutheraner hat sogar
die Befürwortung der christlichen Missionen durch Leibniz zum Gegenstand
eines eigenen Schriftchens gemacht. — Was aber Leibniz für das deutsche
Volk gewesen ist. hat für das Volk zum erstenmal E. Pfleiderer dar¬
gestellt.

Auf gründlichen Studien beruhend ist doch die Schrift mit frischem ju-
gendlichem Sinn geschrieben und mit der begeisterten Freude, der Nation
Einen ihrer Besten zurückzuerobern. Sie ist zum Theil apologetisch gehalten,
aber das erforderte die bisher vorherrschende Behandlung Leibnizens. Den
künstlerischen Eindruck stört wohl zuweilen der stoffliche Charakter des Buchs;
allein dieser Mangel ist zugleich ein Vorzug. Es war unumgänglich, mög¬
lichst Vieles aus den Schriften Leibnizens selbst mitzutheilen, und man kann
für diese reichlichen Auszüge und Uebersetzungen nur dankbar sein, sofern die
mehrsprachigen Originalwerke doch nicht Jedermann zugänglich und noch immer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0008" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123628"/>
          <p xml:id="ID_11" prev="#ID_10"> Staatsmann. Ihm war es Bedürfniß unmittelbar zu wirken und die Bildung<lb/>
selbst galt ihm nichts, wenn sie nicht fruchtbringend für das Leben verwendet<lb/>
würde. Mit seiner Gewohnheit der Contemplation, die alles harmonisch zu¬<lb/>
sammenschaute, contrastirt merkwürdig der rastlose Eifer, zu dem ihn die Theil¬<lb/>
nahme für die großen politischen Ereignisse seiner Zeit hinriß. Sehr unvoll¬<lb/>
kommen war bisher diese Seite seines Wesens bekannt. Jetzt ist sie Jeder¬<lb/>
mann zugänglich durch das treffliche Buch von Edmund Pfleiderer, das die<lb/>
Ausgaben von Ouro Klopp und Foucher de Careil zum erstenmal für einen<lb/>
größeren Leserkreis verwerthet, und zwar so, daß das strengwissenschaftliche<lb/>
ausgeschieden wird und nur die nationale Seite in Leibnizens Wirksamkeit<lb/>
zur Darstellung kommt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_12"> Allerdings sind jene &#x2014; leider nach unvollendeten &#x2014; Sammelwerke auch<lb/>
sonst schon benutzt worden. Zwar Hettner, der sich hier auf Biedermann<lb/>
stützt, folgt noch zu sehr den aus der bisherigen Unkenntnis; entsprunge¬<lb/>
nen Vorurtheilen. Die Darstellung Kuno Fischer's, klar und geistreich<lb/>
gruppirt, ist doch nur ein Abriß, der die Reproduction der Leibnizischen<lb/>
Philosophie einleitet. Eine ausführliche populäre Biographie hat neuerdings<lb/>
ein hannoverischer Pastor Grote herausgegeben, &#x201E;Leibniz und seine Zeit",<lb/>
der aber dabei einen specifisch welfischen Leserkreis im Auge gehabt zu haben<lb/>
scheint, denn er läßt Leibniz als Welfenapostel gegen das heutige Preußen-<lb/>
Deutschland aufmarschiren. Eine Darstellung der Leibnizischen Theologie<lb/>
hat A. Pichler unternommen, der schismatische Katholik, der für seine Ge¬<lb/>
schichte der kirchlichen Trennung zwischen dem Orient und Occident erst den<lb/>
geforderten Widerruf leistete, dann den Widerruf widerrief und für sein<lb/>
neuestes Werk jedenfalls keine günstigere Meinung bei den Männern des<lb/>
Index für sich erwecken wird, denn sein Ideal ist der Leibnizische Gedanke<lb/>
einer vereinigten deutschen Nationalkirche. Ein eifriger Lutheraner hat sogar<lb/>
die Befürwortung der christlichen Missionen durch Leibniz zum Gegenstand<lb/>
eines eigenen Schriftchens gemacht. &#x2014; Was aber Leibniz für das deutsche<lb/>
Volk gewesen ist. hat für das Volk zum erstenmal E. Pfleiderer dar¬<lb/>
gestellt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_13" next="#ID_14"> Auf gründlichen Studien beruhend ist doch die Schrift mit frischem ju-<lb/>
gendlichem Sinn geschrieben und mit der begeisterten Freude, der Nation<lb/>
Einen ihrer Besten zurückzuerobern. Sie ist zum Theil apologetisch gehalten,<lb/>
aber das erforderte die bisher vorherrschende Behandlung Leibnizens. Den<lb/>
künstlerischen Eindruck stört wohl zuweilen der stoffliche Charakter des Buchs;<lb/>
allein dieser Mangel ist zugleich ein Vorzug. Es war unumgänglich, mög¬<lb/>
lichst Vieles aus den Schriften Leibnizens selbst mitzutheilen, und man kann<lb/>
für diese reichlichen Auszüge und Uebersetzungen nur dankbar sein, sofern die<lb/>
mehrsprachigen Originalwerke doch nicht Jedermann zugänglich und noch immer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0008] Staatsmann. Ihm war es Bedürfniß unmittelbar zu wirken und die Bildung selbst galt ihm nichts, wenn sie nicht fruchtbringend für das Leben verwendet würde. Mit seiner Gewohnheit der Contemplation, die alles harmonisch zu¬ sammenschaute, contrastirt merkwürdig der rastlose Eifer, zu dem ihn die Theil¬ nahme für die großen politischen Ereignisse seiner Zeit hinriß. Sehr unvoll¬ kommen war bisher diese Seite seines Wesens bekannt. Jetzt ist sie Jeder¬ mann zugänglich durch das treffliche Buch von Edmund Pfleiderer, das die Ausgaben von Ouro Klopp und Foucher de Careil zum erstenmal für einen größeren Leserkreis verwerthet, und zwar so, daß das strengwissenschaftliche ausgeschieden wird und nur die nationale Seite in Leibnizens Wirksamkeit zur Darstellung kommt. Allerdings sind jene — leider nach unvollendeten — Sammelwerke auch sonst schon benutzt worden. Zwar Hettner, der sich hier auf Biedermann stützt, folgt noch zu sehr den aus der bisherigen Unkenntnis; entsprunge¬ nen Vorurtheilen. Die Darstellung Kuno Fischer's, klar und geistreich gruppirt, ist doch nur ein Abriß, der die Reproduction der Leibnizischen Philosophie einleitet. Eine ausführliche populäre Biographie hat neuerdings ein hannoverischer Pastor Grote herausgegeben, „Leibniz und seine Zeit", der aber dabei einen specifisch welfischen Leserkreis im Auge gehabt zu haben scheint, denn er läßt Leibniz als Welfenapostel gegen das heutige Preußen- Deutschland aufmarschiren. Eine Darstellung der Leibnizischen Theologie hat A. Pichler unternommen, der schismatische Katholik, der für seine Ge¬ schichte der kirchlichen Trennung zwischen dem Orient und Occident erst den geforderten Widerruf leistete, dann den Widerruf widerrief und für sein neuestes Werk jedenfalls keine günstigere Meinung bei den Männern des Index für sich erwecken wird, denn sein Ideal ist der Leibnizische Gedanke einer vereinigten deutschen Nationalkirche. Ein eifriger Lutheraner hat sogar die Befürwortung der christlichen Missionen durch Leibniz zum Gegenstand eines eigenen Schriftchens gemacht. — Was aber Leibniz für das deutsche Volk gewesen ist. hat für das Volk zum erstenmal E. Pfleiderer dar¬ gestellt. Auf gründlichen Studien beruhend ist doch die Schrift mit frischem ju- gendlichem Sinn geschrieben und mit der begeisterten Freude, der Nation Einen ihrer Besten zurückzuerobern. Sie ist zum Theil apologetisch gehalten, aber das erforderte die bisher vorherrschende Behandlung Leibnizens. Den künstlerischen Eindruck stört wohl zuweilen der stoffliche Charakter des Buchs; allein dieser Mangel ist zugleich ein Vorzug. Es war unumgänglich, mög¬ lichst Vieles aus den Schriften Leibnizens selbst mitzutheilen, und man kann für diese reichlichen Auszüge und Uebersetzungen nur dankbar sein, sofern die mehrsprachigen Originalwerke doch nicht Jedermann zugänglich und noch immer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/8
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/8>, abgerufen am 18.12.2024.