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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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sammengetroffen sind, kann freilich nur als ein Zufall, aber doch als ein
nicht zu unwahrscheinlicher Zufall gelten, da von jeher ein lebhafter Kunst¬
verkehr in Amsterdam stattgefunden zu haben scheint. Andererseits steht dem
Verdachte, daß das Dresdener Exemplar eine betrügerische Copie des Darm¬
städter sei, die Thatsache der beträchtlichen Veränderungen entgegen, die sich
zwischen beiden finden; denn es fehlt zwar nicht an Beispielen, daß alte
Meister, Maler wie Kupferstecher, wenn sie sich auf die Copie von fremden
Bildern einließen, beträchtliche Veränderungen daran vorgenommen haben,
(wie denn unter Anderen Rubens in dieser Hinsicht genannt wird) ; aber
dann handelte es sich nicht darum, mit der Copie zu täuschen; und Nie¬
mand, der ein falsches Cassenbillet ausgeben will, macht es absichtlich anders
als das Original. Zudem spricht der Charakter der Veränderungen viel mehr
für das selbständige Interesse und die Liebe eines Künstlers, der sich in der
Wiederaufnahme derselben Aufgabe selbst zu übertreffen sucht, als für die ge¬
winnsüchtige Absicht eines Kunsthändlers oder das Adoptiv-Jnteresse eines
fremden Künstlers. Wo gibt es nur eine Analogie solcher Veränderungen
bei einem Copisten? Woltmann selbst hat dies früher ganz in unserem
Sinne gefaßt, jetzt freilich anders.

Genug von dem historischen Verdachtsgrunde gegen die Aechtheit der
Dresdener Madonna; jetzt zu dem andern, der aus der vergleichenden Be¬
trachtung beider Exemplare geschöpft ist.

Das Kleid der Darmstädter Madonna ist, wie früher bemerkt, ursprüng¬
lich blau, jetzt durch den Einfluß des gelben Firnisses bläulich-grün; das
Kleid der Dresdener Madonna von vornherein grün. Nun sagt man: der
Madonna ein grünes Kleid zu geben, ist gegen alle Convention; wenn sie
doch im Dresdener Exemplare ein solches trägt, kann dies nur daher rühren,
daß der Copist des Darmstädter Bildes ein grünes Kleid im Originale vor
sich sah und nachgemacht hat. Auch dieser Verdachtsgrund ist der Beachtung
werth; aber Folgendes ist zu entgegnen. Erstens ist das Kleid der Darm¬
städter Madonna verhältnißmäßig licht bläulichgrün, das der Dresdener rein
dunkelgrün; also hätte der Copist das Kleid der Darmstädter Madonna
nicht nachgemacht, wie er es gesehen, und zerfällt gewissermaßen hiermit der
Einwand in sich selbst. Man könnte nur etwa entgegnen: der Copist nahm
doch von dem bläulichgrünen Kleide der Darmstädter Madonna Anlaß,
das Kleid in der Copie überhaupt grün zu machen, machte es aber nun
gleich ganz grün, da er sich überhaupt nicht streng an das Original hielt.
Aber warum, wenn er sich doch überhaupt nicht streng an das Original hielt,
machte er es nicht lieber gleich ganz blau, da einem so geschulten Künstler
die conventionelle Farbe des Madonnenkleides, falls eine solche feststand,
nicht unbekannt sein konnte. Da ist es doch viel wahrscheinlicher, daß der


sammengetroffen sind, kann freilich nur als ein Zufall, aber doch als ein
nicht zu unwahrscheinlicher Zufall gelten, da von jeher ein lebhafter Kunst¬
verkehr in Amsterdam stattgefunden zu haben scheint. Andererseits steht dem
Verdachte, daß das Dresdener Exemplar eine betrügerische Copie des Darm¬
städter sei, die Thatsache der beträchtlichen Veränderungen entgegen, die sich
zwischen beiden finden; denn es fehlt zwar nicht an Beispielen, daß alte
Meister, Maler wie Kupferstecher, wenn sie sich auf die Copie von fremden
Bildern einließen, beträchtliche Veränderungen daran vorgenommen haben,
(wie denn unter Anderen Rubens in dieser Hinsicht genannt wird) ; aber
dann handelte es sich nicht darum, mit der Copie zu täuschen; und Nie¬
mand, der ein falsches Cassenbillet ausgeben will, macht es absichtlich anders
als das Original. Zudem spricht der Charakter der Veränderungen viel mehr
für das selbständige Interesse und die Liebe eines Künstlers, der sich in der
Wiederaufnahme derselben Aufgabe selbst zu übertreffen sucht, als für die ge¬
winnsüchtige Absicht eines Kunsthändlers oder das Adoptiv-Jnteresse eines
fremden Künstlers. Wo gibt es nur eine Analogie solcher Veränderungen
bei einem Copisten? Woltmann selbst hat dies früher ganz in unserem
Sinne gefaßt, jetzt freilich anders.

Genug von dem historischen Verdachtsgrunde gegen die Aechtheit der
Dresdener Madonna; jetzt zu dem andern, der aus der vergleichenden Be¬
trachtung beider Exemplare geschöpft ist.

Das Kleid der Darmstädter Madonna ist, wie früher bemerkt, ursprüng¬
lich blau, jetzt durch den Einfluß des gelben Firnisses bläulich-grün; das
Kleid der Dresdener Madonna von vornherein grün. Nun sagt man: der
Madonna ein grünes Kleid zu geben, ist gegen alle Convention; wenn sie
doch im Dresdener Exemplare ein solches trägt, kann dies nur daher rühren,
daß der Copist des Darmstädter Bildes ein grünes Kleid im Originale vor
sich sah und nachgemacht hat. Auch dieser Verdachtsgrund ist der Beachtung
werth; aber Folgendes ist zu entgegnen. Erstens ist das Kleid der Darm¬
städter Madonna verhältnißmäßig licht bläulichgrün, das der Dresdener rein
dunkelgrün; also hätte der Copist das Kleid der Darmstädter Madonna
nicht nachgemacht, wie er es gesehen, und zerfällt gewissermaßen hiermit der
Einwand in sich selbst. Man könnte nur etwa entgegnen: der Copist nahm
doch von dem bläulichgrünen Kleide der Darmstädter Madonna Anlaß,
das Kleid in der Copie überhaupt grün zu machen, machte es aber nun
gleich ganz grün, da er sich überhaupt nicht streng an das Original hielt.
Aber warum, wenn er sich doch überhaupt nicht streng an das Original hielt,
machte er es nicht lieber gleich ganz blau, da einem so geschulten Künstler
die conventionelle Farbe des Madonnenkleides, falls eine solche feststand,
nicht unbekannt sein konnte. Da ist es doch viel wahrscheinlicher, daß der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/60>, abgerufen am 18.12.2024.