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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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zeilichen Zwangsmittel in entwürdigender Weise der religiösen Verfolgungs-
sucht zur Verfügung gestellt.

Die Bischöfe zeigten, obwohl ihre Ernennung -- die einzige Errungen¬
schaft des Staates aus dem Concordat -- vom König erfolgte, nur Sinn
für die Machterweiterung des römischen Stuhls und ihre Hand ruhte schwer
auf dem niedern Clerus, ohne daß dieser je eine Abhilfe hiergegen von
Seiten des Staats erwarten durfte. Insbesondere blieb er der willkürlichen
Besteuerung durch seine Oberhirten nach wie vor hilflos unterworfen. Bis
zu welcher Ausdehnung dieses verfassungswidrige angebliche Besteuerungs¬
recht vom Staate zugelassen wurde, geht daraus hervor, daß der Bischof noch
heute von jeder Verlassenschaft eines Geistlichen S Procent für seine Casse
einzieht, ja selbst für die Erlaubniß, ein Testament machen zu dürfen, eine
bedeutende Abgabe erhält.

Dem unablässigen Drängen des Episcopates auf Vollzug des Connor>
bath weichend ließ das Ministerium in einer Verordnung vom 8. April 1852
weitere durch das Religionsedict noch gewahrte Kron- und Regierungsrechte
von großer Wichtigkeit fallen, indem es auf die Ausübung derselben ein für
alle Male verzichtete, und von nun an gab es keine im canonischen Recht den
Bischöfen beigelegte Befugniß mehr, die sie nicht mit Hilfe der Regierung
wieder auszuüben versucht hätten. Ein Beispiel, welches vielleicht den Gipfel¬
punkt einerseits der hierarchischen Prätensionen, andererseits der Nachgiebig¬
keit des Staates bezeichnet, möge hier seinen Platz finden. Es ist nicht viel
über ein Decennium her, daß die Regierung keinen Anstand nahm, auf die
Requisition eines Bischofs, der sich hierbei auf sein geistliches Corrections-
recht berief, bei einem Katholiken durch die Polizei Haussuchung nach einer
deutschen Bibel vornehmen und dieselbe der requirirenden geistlichen Behörde
einliefern ließ. Rechnet man zu solchen Vorkommnissen noch, daß die Nuntia-
tur in München sich fortwährend als päpstliche Behörde gerirte, die beispiels¬
weise bei allen Disciplinaruntersuchungen über Geistliche die dritte Instanz
entweder selbst bildete oder die Richter hierzu delegirte, so muß man ge¬
stehen: der erste Artikel des Concordats war zur Wahrheit geworden, die
katholische Kirche genoß in der That alle Rechte und Prärogativen, "die sie
nach den canonischen Satzungen zu genießen hat."

So blieb das Verhältniß des Staates zur Kirche bis zu dem Augenblick,
wo das Ministerium v. d. Pfordten dem Druck der liberalen Opposition zu
weichen gezwungen war und damit die Reaction ein Ende hatte. Zwar wußte
der bisherige Cultusminister Herr v. Zwehl seinen Platz auch im Ministerium
Neumayer zu behaupten, aber zu weiteren Concessionen kam es von nun an
nicht mehr. Anfangs des Jahres 1864 zog sein Nachfolger Herr v. Koch,
bisher Regierungspräsident von Oberfranken, im Cultusministerium ein und


zeilichen Zwangsmittel in entwürdigender Weise der religiösen Verfolgungs-
sucht zur Verfügung gestellt.

Die Bischöfe zeigten, obwohl ihre Ernennung — die einzige Errungen¬
schaft des Staates aus dem Concordat — vom König erfolgte, nur Sinn
für die Machterweiterung des römischen Stuhls und ihre Hand ruhte schwer
auf dem niedern Clerus, ohne daß dieser je eine Abhilfe hiergegen von
Seiten des Staats erwarten durfte. Insbesondere blieb er der willkürlichen
Besteuerung durch seine Oberhirten nach wie vor hilflos unterworfen. Bis
zu welcher Ausdehnung dieses verfassungswidrige angebliche Besteuerungs¬
recht vom Staate zugelassen wurde, geht daraus hervor, daß der Bischof noch
heute von jeder Verlassenschaft eines Geistlichen S Procent für seine Casse
einzieht, ja selbst für die Erlaubniß, ein Testament machen zu dürfen, eine
bedeutende Abgabe erhält.

Dem unablässigen Drängen des Episcopates auf Vollzug des Connor>
bath weichend ließ das Ministerium in einer Verordnung vom 8. April 1852
weitere durch das Religionsedict noch gewahrte Kron- und Regierungsrechte
von großer Wichtigkeit fallen, indem es auf die Ausübung derselben ein für
alle Male verzichtete, und von nun an gab es keine im canonischen Recht den
Bischöfen beigelegte Befugniß mehr, die sie nicht mit Hilfe der Regierung
wieder auszuüben versucht hätten. Ein Beispiel, welches vielleicht den Gipfel¬
punkt einerseits der hierarchischen Prätensionen, andererseits der Nachgiebig¬
keit des Staates bezeichnet, möge hier seinen Platz finden. Es ist nicht viel
über ein Decennium her, daß die Regierung keinen Anstand nahm, auf die
Requisition eines Bischofs, der sich hierbei auf sein geistliches Corrections-
recht berief, bei einem Katholiken durch die Polizei Haussuchung nach einer
deutschen Bibel vornehmen und dieselbe der requirirenden geistlichen Behörde
einliefern ließ. Rechnet man zu solchen Vorkommnissen noch, daß die Nuntia-
tur in München sich fortwährend als päpstliche Behörde gerirte, die beispiels¬
weise bei allen Disciplinaruntersuchungen über Geistliche die dritte Instanz
entweder selbst bildete oder die Richter hierzu delegirte, so muß man ge¬
stehen: der erste Artikel des Concordats war zur Wahrheit geworden, die
katholische Kirche genoß in der That alle Rechte und Prärogativen, „die sie
nach den canonischen Satzungen zu genießen hat."

So blieb das Verhältniß des Staates zur Kirche bis zu dem Augenblick,
wo das Ministerium v. d. Pfordten dem Druck der liberalen Opposition zu
weichen gezwungen war und damit die Reaction ein Ende hatte. Zwar wußte
der bisherige Cultusminister Herr v. Zwehl seinen Platz auch im Ministerium
Neumayer zu behaupten, aber zu weiteren Concessionen kam es von nun an
nicht mehr. Anfangs des Jahres 1864 zog sein Nachfolger Herr v. Koch,
bisher Regierungspräsident von Oberfranken, im Cultusministerium ein und


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[0518] zeilichen Zwangsmittel in entwürdigender Weise der religiösen Verfolgungs- sucht zur Verfügung gestellt. Die Bischöfe zeigten, obwohl ihre Ernennung — die einzige Errungen¬ schaft des Staates aus dem Concordat — vom König erfolgte, nur Sinn für die Machterweiterung des römischen Stuhls und ihre Hand ruhte schwer auf dem niedern Clerus, ohne daß dieser je eine Abhilfe hiergegen von Seiten des Staats erwarten durfte. Insbesondere blieb er der willkürlichen Besteuerung durch seine Oberhirten nach wie vor hilflos unterworfen. Bis zu welcher Ausdehnung dieses verfassungswidrige angebliche Besteuerungs¬ recht vom Staate zugelassen wurde, geht daraus hervor, daß der Bischof noch heute von jeder Verlassenschaft eines Geistlichen S Procent für seine Casse einzieht, ja selbst für die Erlaubniß, ein Testament machen zu dürfen, eine bedeutende Abgabe erhält. Dem unablässigen Drängen des Episcopates auf Vollzug des Connor> bath weichend ließ das Ministerium in einer Verordnung vom 8. April 1852 weitere durch das Religionsedict noch gewahrte Kron- und Regierungsrechte von großer Wichtigkeit fallen, indem es auf die Ausübung derselben ein für alle Male verzichtete, und von nun an gab es keine im canonischen Recht den Bischöfen beigelegte Befugniß mehr, die sie nicht mit Hilfe der Regierung wieder auszuüben versucht hätten. Ein Beispiel, welches vielleicht den Gipfel¬ punkt einerseits der hierarchischen Prätensionen, andererseits der Nachgiebig¬ keit des Staates bezeichnet, möge hier seinen Platz finden. Es ist nicht viel über ein Decennium her, daß die Regierung keinen Anstand nahm, auf die Requisition eines Bischofs, der sich hierbei auf sein geistliches Corrections- recht berief, bei einem Katholiken durch die Polizei Haussuchung nach einer deutschen Bibel vornehmen und dieselbe der requirirenden geistlichen Behörde einliefern ließ. Rechnet man zu solchen Vorkommnissen noch, daß die Nuntia- tur in München sich fortwährend als päpstliche Behörde gerirte, die beispiels¬ weise bei allen Disciplinaruntersuchungen über Geistliche die dritte Instanz entweder selbst bildete oder die Richter hierzu delegirte, so muß man ge¬ stehen: der erste Artikel des Concordats war zur Wahrheit geworden, die katholische Kirche genoß in der That alle Rechte und Prärogativen, „die sie nach den canonischen Satzungen zu genießen hat." So blieb das Verhältniß des Staates zur Kirche bis zu dem Augenblick, wo das Ministerium v. d. Pfordten dem Druck der liberalen Opposition zu weichen gezwungen war und damit die Reaction ein Ende hatte. Zwar wußte der bisherige Cultusminister Herr v. Zwehl seinen Platz auch im Ministerium Neumayer zu behaupten, aber zu weiteren Concessionen kam es von nun an nicht mehr. Anfangs des Jahres 1864 zog sein Nachfolger Herr v. Koch, bisher Regierungspräsident von Oberfranken, im Cultusministerium ein und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/518>, abgerufen am 01.09.2024.