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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Ferne durch Uebertragung mittelst Nachbildungen stets etwas sehr Unvoll¬
kommenes, und so ist der Wunsch immer dringender geworden, daß doch ein¬
mal eine unmittelbare Zusammenstellung beider zu Stande kommen möchte.
Jetzt ist Hoffnung vorhanden, daß eine solche nächsten Herbst stattfinden
wird. Unstreitig werden sich da manche Vergleichspunkte, über die bisher
nicht recht ins Reine zu kommen war. fester stellen; fraglich nur. ob der
Streit über das Schönheits- und AechtheitsverlMniß beider Bilder damit
abnehmen oder wachsen wird. Jedenfalls kann er dadurch ein sicheres Fun¬
dament erhalten.

Insoweit sich überhaupt ein Vergleich nach Nachbildungen ziehen läßt,
stehen für das Dresdener Exemplar der bekannte Steinla'sche Kupferstich
und die Brockmann'sche Photographie nach der Zeichnung von Schurig.
für das Darmstädter die Photographie nach der Zeichnung von Feising zu
Gebote; auch gewährt für die allgemeinsten Compositionsverhältnisse beider
Bilder die Zusammenstellung ihrer Umrißzeichnungen in einem aus dem Archiv
für die zeichnenden Künste besonders abgedruckten Schriftchen A. von Zahn's
(das Darmstädter Exemplar der Holbein'schen Madonna. Lpzg. 1865) einen
brauchbaren Anhalt, welches Schriftchen überhaupt das Ausführlichste und
Gründlichste enthält.' was bisher über den Vergleich beider Bilder vorliegt. --
Wenn wir den handgreiflichsten Unterschieden zwischen beiden Bildern nach¬
gehen, an die sich der Streit über ihr Aechtheits- und Schönheiesverhältniß
hauptsächlich geknüpft hat. so dürften es etwa folgende sein:

Das Darmstädter Bild erscheint für den ersten Anblick wie ein altes, etwas
verlebtes, das Dresdener fast wie ein neues Bild, was aber nur davon abhängt,
daß das Darmstädter noch mit einem, durchs Alter gelb gewordenen Firniß über¬
zogen ist. der beim Dresdener durch eine im Jahre 1840 vorgenommene Re-
stauration entfernt wurde. Der Nachtheil, in welchem hierdurch das Darmstädter
Exemplar gegen das Dresdener steht, wird aber wenigstens bis zu gewissen Gren¬
zen sür die Anschauung, wenn auch nicht für das kunsthistorische Interesse, da¬
durch ausgeglichen, daß das Colortt des Darmstädter Exemplars durch jenen
Ueberzug eine wohlthuende einheitliche Haltung den etwas grellen Contrasten des
Dresdener gegenüber erhält, welche übrigens wahrscheinlich nur durch ein star¬
kes nachdunkeln der Gewandmasfen den Heller gebliebenen Gesichtern gegenüber
verschuldet sein mögen*). -- Das Darmstädter Bild ist nach allen Dirnen-



") Lassen wir die Darmstädter Madonna sprechen-
"Wenn ich könnte, wie ich wollte,
Wenn ich könnte, wie ich sollte,
streift' ich ab den alten Graus;
Kühner dann, in frischem Glänze
Strebt' ich nach dem Siegeskranze;
Ach! wie führ' ich's endlich aus?

Ferne durch Uebertragung mittelst Nachbildungen stets etwas sehr Unvoll¬
kommenes, und so ist der Wunsch immer dringender geworden, daß doch ein¬
mal eine unmittelbare Zusammenstellung beider zu Stande kommen möchte.
Jetzt ist Hoffnung vorhanden, daß eine solche nächsten Herbst stattfinden
wird. Unstreitig werden sich da manche Vergleichspunkte, über die bisher
nicht recht ins Reine zu kommen war. fester stellen; fraglich nur. ob der
Streit über das Schönheits- und AechtheitsverlMniß beider Bilder damit
abnehmen oder wachsen wird. Jedenfalls kann er dadurch ein sicheres Fun¬
dament erhalten.

Insoweit sich überhaupt ein Vergleich nach Nachbildungen ziehen läßt,
stehen für das Dresdener Exemplar der bekannte Steinla'sche Kupferstich
und die Brockmann'sche Photographie nach der Zeichnung von Schurig.
für das Darmstädter die Photographie nach der Zeichnung von Feising zu
Gebote; auch gewährt für die allgemeinsten Compositionsverhältnisse beider
Bilder die Zusammenstellung ihrer Umrißzeichnungen in einem aus dem Archiv
für die zeichnenden Künste besonders abgedruckten Schriftchen A. von Zahn's
(das Darmstädter Exemplar der Holbein'schen Madonna. Lpzg. 1865) einen
brauchbaren Anhalt, welches Schriftchen überhaupt das Ausführlichste und
Gründlichste enthält.' was bisher über den Vergleich beider Bilder vorliegt. —
Wenn wir den handgreiflichsten Unterschieden zwischen beiden Bildern nach¬
gehen, an die sich der Streit über ihr Aechtheits- und Schönheiesverhältniß
hauptsächlich geknüpft hat. so dürften es etwa folgende sein:

Das Darmstädter Bild erscheint für den ersten Anblick wie ein altes, etwas
verlebtes, das Dresdener fast wie ein neues Bild, was aber nur davon abhängt,
daß das Darmstädter noch mit einem, durchs Alter gelb gewordenen Firniß über¬
zogen ist. der beim Dresdener durch eine im Jahre 1840 vorgenommene Re-
stauration entfernt wurde. Der Nachtheil, in welchem hierdurch das Darmstädter
Exemplar gegen das Dresdener steht, wird aber wenigstens bis zu gewissen Gren¬
zen sür die Anschauung, wenn auch nicht für das kunsthistorische Interesse, da¬
durch ausgeglichen, daß das Colortt des Darmstädter Exemplars durch jenen
Ueberzug eine wohlthuende einheitliche Haltung den etwas grellen Contrasten des
Dresdener gegenüber erhält, welche übrigens wahrscheinlich nur durch ein star¬
kes nachdunkeln der Gewandmasfen den Heller gebliebenen Gesichtern gegenüber
verschuldet sein mögen*). — Das Darmstädter Bild ist nach allen Dirnen-



") Lassen wir die Darmstädter Madonna sprechen-
„Wenn ich könnte, wie ich wollte,
Wenn ich könnte, wie ich sollte,
streift' ich ab den alten Graus;
Kühner dann, in frischem Glänze
Strebt' ich nach dem Siegeskranze;
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[0051] Ferne durch Uebertragung mittelst Nachbildungen stets etwas sehr Unvoll¬ kommenes, und so ist der Wunsch immer dringender geworden, daß doch ein¬ mal eine unmittelbare Zusammenstellung beider zu Stande kommen möchte. Jetzt ist Hoffnung vorhanden, daß eine solche nächsten Herbst stattfinden wird. Unstreitig werden sich da manche Vergleichspunkte, über die bisher nicht recht ins Reine zu kommen war. fester stellen; fraglich nur. ob der Streit über das Schönheits- und AechtheitsverlMniß beider Bilder damit abnehmen oder wachsen wird. Jedenfalls kann er dadurch ein sicheres Fun¬ dament erhalten. Insoweit sich überhaupt ein Vergleich nach Nachbildungen ziehen läßt, stehen für das Dresdener Exemplar der bekannte Steinla'sche Kupferstich und die Brockmann'sche Photographie nach der Zeichnung von Schurig. für das Darmstädter die Photographie nach der Zeichnung von Feising zu Gebote; auch gewährt für die allgemeinsten Compositionsverhältnisse beider Bilder die Zusammenstellung ihrer Umrißzeichnungen in einem aus dem Archiv für die zeichnenden Künste besonders abgedruckten Schriftchen A. von Zahn's (das Darmstädter Exemplar der Holbein'schen Madonna. Lpzg. 1865) einen brauchbaren Anhalt, welches Schriftchen überhaupt das Ausführlichste und Gründlichste enthält.' was bisher über den Vergleich beider Bilder vorliegt. — Wenn wir den handgreiflichsten Unterschieden zwischen beiden Bildern nach¬ gehen, an die sich der Streit über ihr Aechtheits- und Schönheiesverhältniß hauptsächlich geknüpft hat. so dürften es etwa folgende sein: Das Darmstädter Bild erscheint für den ersten Anblick wie ein altes, etwas verlebtes, das Dresdener fast wie ein neues Bild, was aber nur davon abhängt, daß das Darmstädter noch mit einem, durchs Alter gelb gewordenen Firniß über¬ zogen ist. der beim Dresdener durch eine im Jahre 1840 vorgenommene Re- stauration entfernt wurde. Der Nachtheil, in welchem hierdurch das Darmstädter Exemplar gegen das Dresdener steht, wird aber wenigstens bis zu gewissen Gren¬ zen sür die Anschauung, wenn auch nicht für das kunsthistorische Interesse, da¬ durch ausgeglichen, daß das Colortt des Darmstädter Exemplars durch jenen Ueberzug eine wohlthuende einheitliche Haltung den etwas grellen Contrasten des Dresdener gegenüber erhält, welche übrigens wahrscheinlich nur durch ein star¬ kes nachdunkeln der Gewandmasfen den Heller gebliebenen Gesichtern gegenüber verschuldet sein mögen*). — Das Darmstädter Bild ist nach allen Dirnen- ") Lassen wir die Darmstädter Madonna sprechen- „Wenn ich könnte, wie ich wollte, Wenn ich könnte, wie ich sollte, streift' ich ab den alten Graus; Kühner dann, in frischem Glänze Strebt' ich nach dem Siegeskranze; Ach! wie führ' ich's endlich aus?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/51>, abgerufen am 01.09.2024.