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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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mit überraschender Schnelligkeit erfolgen. Sie verhindert jede ehrliche politi¬
sche Ueberzeugung, sie hält den Fortschritt zurück und verpestet das ganze
öffentliche Leben.

Die Banden, welche im September 1866 Palermo überzogen, waren,
obgleich die Kopflosigkeit der Bewegung schon am zweiten Tage sich ent-
hüllte, dennoch im Stande, die Hauptstadt eine Woche lang zu terrorisiren,
die Nationalgarde, die viele Tausend Mann zählte, in Bann zu halten, so
daß sich kein Bürger aus dem Hause wagte, und aus den vornehmsten Krei¬
sen eine provisorische Regierung zusammenzusetzen, von welcher jedes einzelne
Mitglied die Revolution verurtheilte, jedes Mitglied, vom Principe die
Lingnaglossa angefangen bis zum Monsignor Bellavia, die Uebernahme des
Amtes mit der bloßen Furcht entschuldigte. "In gusl momsuto terridile
odbeäl allg, pistola ca al pugnalö". Mit diesem Bekenntnisse wäre bei uns
die Wirksamkeit einer politischen Persönlichkeit vernichtet, in Sicilien findet
man die Folgsamkeit, wenn die Pistole oder der Dolch winkt, ganz in der
Ordnung.

Gegenwärtig (1869) ist Sicilien für die Politiker wie für den Polizei¬
mann die langweiligste Provinz. Diese Ruhe verdankt man zuerst
der Energie des Generals Medici, dann der natürlichen Erschlaffung der
Geister nach einer sechsjährigen, selten unterbrochenen Aufregung. Die Bour-
bonisten, auf der Insel stets in der Minderzahl, haben vollends alle Wurzeln
verloren; die Partei der Independenten, welche noch 18S9 an einen selbstän¬
digen König von Sicilien, allerdings aus dem Savoyischen Hause dachte, ist
in die zahme Gruppe der Regionisten verwandelt worden, die sich schon mit
einem geringeren Maße von administrativer Centralisation zufrieden geben.
Ein Theil der Mönche hat sich bereits in sein Schicksal gefunden, nennt die
Aufhebung der Klöster seine Befreiung. Freilich wird es noch lange währen,
ehe die 24,000 Cleriker, welche Sicilien zählt, vollkommen für die neue Ord-
nung gewonnen sind, doch erwartet Niemand mehr die Rückkehr der alten
Zustände oder glaubt an die Wiederherstellung der geistlichen Macht. Und
was am meisten bezweifelt wurde: das Landvolk gewöhnt sich an das Sol-
datenthum.

Noch vor wenigen Jahren folgte jeder Recrutirung eine allgemeine Flucht
der jungen Leute in die Berge. Die meisten Briganten griffen zur Flinte,
weil sie es nicht über das Herz bringen konnten, die Muskete zu tragen.
In letztem Jahre war das Procent der Rccrutirungspflichtigen ganz unbe¬
deutend. Zum ersten Male kamen nämlich in diesem Jahre die ausgedienter
sicilianischen Soldaten zurück. Sie hatten die Welt und die Reinlichkeit
kennen gelernt, im Kriege Heldenthaten verübt und doch sich die heile Haut
gewahrt. Wenn auch noch nicht die Mütter, so überzeugten sich doch die


mit überraschender Schnelligkeit erfolgen. Sie verhindert jede ehrliche politi¬
sche Ueberzeugung, sie hält den Fortschritt zurück und verpestet das ganze
öffentliche Leben.

Die Banden, welche im September 1866 Palermo überzogen, waren,
obgleich die Kopflosigkeit der Bewegung schon am zweiten Tage sich ent-
hüllte, dennoch im Stande, die Hauptstadt eine Woche lang zu terrorisiren,
die Nationalgarde, die viele Tausend Mann zählte, in Bann zu halten, so
daß sich kein Bürger aus dem Hause wagte, und aus den vornehmsten Krei¬
sen eine provisorische Regierung zusammenzusetzen, von welcher jedes einzelne
Mitglied die Revolution verurtheilte, jedes Mitglied, vom Principe die
Lingnaglossa angefangen bis zum Monsignor Bellavia, die Uebernahme des
Amtes mit der bloßen Furcht entschuldigte. „In gusl momsuto terridile
odbeäl allg, pistola ca al pugnalö". Mit diesem Bekenntnisse wäre bei uns
die Wirksamkeit einer politischen Persönlichkeit vernichtet, in Sicilien findet
man die Folgsamkeit, wenn die Pistole oder der Dolch winkt, ganz in der
Ordnung.

Gegenwärtig (1869) ist Sicilien für die Politiker wie für den Polizei¬
mann die langweiligste Provinz. Diese Ruhe verdankt man zuerst
der Energie des Generals Medici, dann der natürlichen Erschlaffung der
Geister nach einer sechsjährigen, selten unterbrochenen Aufregung. Die Bour-
bonisten, auf der Insel stets in der Minderzahl, haben vollends alle Wurzeln
verloren; die Partei der Independenten, welche noch 18S9 an einen selbstän¬
digen König von Sicilien, allerdings aus dem Savoyischen Hause dachte, ist
in die zahme Gruppe der Regionisten verwandelt worden, die sich schon mit
einem geringeren Maße von administrativer Centralisation zufrieden geben.
Ein Theil der Mönche hat sich bereits in sein Schicksal gefunden, nennt die
Aufhebung der Klöster seine Befreiung. Freilich wird es noch lange währen,
ehe die 24,000 Cleriker, welche Sicilien zählt, vollkommen für die neue Ord-
nung gewonnen sind, doch erwartet Niemand mehr die Rückkehr der alten
Zustände oder glaubt an die Wiederherstellung der geistlichen Macht. Und
was am meisten bezweifelt wurde: das Landvolk gewöhnt sich an das Sol-
datenthum.

Noch vor wenigen Jahren folgte jeder Recrutirung eine allgemeine Flucht
der jungen Leute in die Berge. Die meisten Briganten griffen zur Flinte,
weil sie es nicht über das Herz bringen konnten, die Muskete zu tragen.
In letztem Jahre war das Procent der Rccrutirungspflichtigen ganz unbe¬
deutend. Zum ersten Male kamen nämlich in diesem Jahre die ausgedienter
sicilianischen Soldaten zurück. Sie hatten die Welt und die Reinlichkeit
kennen gelernt, im Kriege Heldenthaten verübt und doch sich die heile Haut
gewahrt. Wenn auch noch nicht die Mütter, so überzeugten sich doch die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/499>, abgerufen am 18.12.2024.