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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Es., galt hier eben nicht blos eine Sache des Cultus, sondern auch eine öco-
nomische Angelegenheit. Von der Aufhebung der Klöster und der Einziehung
der'Kirchengüter wurde nicht allein das Herz, sondern auch der Magen der
Sicilianer berührt. Die nachgeborenen Söhne und unverheiratheten Töchter
des Adels fanden in den reichen Benedictinerklöstern eine stattliche Unter¬
kunft; Theatiner. Dominikaner u. s. w. boten den Mittelclassen ein gleiches
Asyl, und wer in den unteren Volkskreisen viele Geschwister zählte oder durch
einen regeren Geist sich auszeichnete, erhob den Blick zu den Brüdern des
heiligen Franciscus und hoffte auf Aufnahme in ihren Häusern. Die Mönche
und Nonnen blieben auf Sieilien in enger Verbindung mit ihren Familien,
bewahrten in Vorstellungen und Sitten das heimische Wesen. Die Unab¬
hängigkeit Siciliens fand unter ihnen mehr und eifrigere Anhänger als die
Macht des Papstes. Eben deshalb erschien die Klosteraufhebung hier nicht
in dem liberalen Lichte wie etwa in Mittelitalien. Es schwand nicht allein
die Aussicht auf eine bequeme Versorgung nachgeborener Kinder, Viele, die
man schon versorgt und gut aufgehoben glaubte, kamen aus den Klöstern
wieder heraus und verlangten am Familientische wieder mitzusitzen. Bei der
geringen Zahl von Erwerbsquellen und der noch geringeren Arbeitslust wirkte
die Klosteraufhebung wie in industriellen Ländern eine Handelskrisis. Die
24 Nonnenklöster in Palermo nährten nach einer zuverlässigen Angabe bei¬
nahe 1000 Familien (919 rechnete der Präfect in seiner Rede in der Pro-
vinzialversammlung am 3. September 1866) und brachten jährlich 327,000
Livre in Umlauf. Man begreift, daß diese plötzlich der Nahrung beraubten
Leute der Regierung nicht hold wurden und ein Revolutionscomite', wenn
ein solches in Rom bestand, in den verjagten Mönchen einen Generalstab der
Revolution fertig vorfand. Bekanntlich haben die Behörden den Mönchen
von Monreale einen großen Antheil an dem Septemberaufstand zugeschrieben.
Es fehlte jedenfalls nicht an Leitern der Bewegung von höherem und nie¬
derem Grade, es mangelte aber auch nicht an gemeinen Soldaten der Re¬
volution. Sie recrutirten sich aus echten und falschen Garibaldianern, aus
Deserteuren, aus einer großen Zahl von Landleuten, welche sich aus Plün¬
derungslust den Kämpfen anschlössen und endlich aus den Furchtsamen, welche
nicht den Muth besaßen, den revolutionären Schreiern zu widerstreben, in
Folge der zahlreichen früheren Aufstände, der mannigfachen politischen Wechsel
das sittliche Urtheil verloren hatten.

Ueber die moralischen Zustände, auf Sicilien unterrichtet am besten der
Proceß, welcher im Frühlinge 1868 der Bande des Angelo Pugliese, auch
Don Peppino oder it Lombards genannt, gemacht wurde. Die Verhand¬
lungen wurden stenographirt und dann im Drucke veröffentlicht. Der Pugliese,
übrigens kein eingeborener Sicilianer, war als junger Bursche bereits 1857


Es., galt hier eben nicht blos eine Sache des Cultus, sondern auch eine öco-
nomische Angelegenheit. Von der Aufhebung der Klöster und der Einziehung
der'Kirchengüter wurde nicht allein das Herz, sondern auch der Magen der
Sicilianer berührt. Die nachgeborenen Söhne und unverheiratheten Töchter
des Adels fanden in den reichen Benedictinerklöstern eine stattliche Unter¬
kunft; Theatiner. Dominikaner u. s. w. boten den Mittelclassen ein gleiches
Asyl, und wer in den unteren Volkskreisen viele Geschwister zählte oder durch
einen regeren Geist sich auszeichnete, erhob den Blick zu den Brüdern des
heiligen Franciscus und hoffte auf Aufnahme in ihren Häusern. Die Mönche
und Nonnen blieben auf Sieilien in enger Verbindung mit ihren Familien,
bewahrten in Vorstellungen und Sitten das heimische Wesen. Die Unab¬
hängigkeit Siciliens fand unter ihnen mehr und eifrigere Anhänger als die
Macht des Papstes. Eben deshalb erschien die Klosteraufhebung hier nicht
in dem liberalen Lichte wie etwa in Mittelitalien. Es schwand nicht allein
die Aussicht auf eine bequeme Versorgung nachgeborener Kinder, Viele, die
man schon versorgt und gut aufgehoben glaubte, kamen aus den Klöstern
wieder heraus und verlangten am Familientische wieder mitzusitzen. Bei der
geringen Zahl von Erwerbsquellen und der noch geringeren Arbeitslust wirkte
die Klosteraufhebung wie in industriellen Ländern eine Handelskrisis. Die
24 Nonnenklöster in Palermo nährten nach einer zuverlässigen Angabe bei¬
nahe 1000 Familien (919 rechnete der Präfect in seiner Rede in der Pro-
vinzialversammlung am 3. September 1866) und brachten jährlich 327,000
Livre in Umlauf. Man begreift, daß diese plötzlich der Nahrung beraubten
Leute der Regierung nicht hold wurden und ein Revolutionscomite', wenn
ein solches in Rom bestand, in den verjagten Mönchen einen Generalstab der
Revolution fertig vorfand. Bekanntlich haben die Behörden den Mönchen
von Monreale einen großen Antheil an dem Septemberaufstand zugeschrieben.
Es fehlte jedenfalls nicht an Leitern der Bewegung von höherem und nie¬
derem Grade, es mangelte aber auch nicht an gemeinen Soldaten der Re¬
volution. Sie recrutirten sich aus echten und falschen Garibaldianern, aus
Deserteuren, aus einer großen Zahl von Landleuten, welche sich aus Plün¬
derungslust den Kämpfen anschlössen und endlich aus den Furchtsamen, welche
nicht den Muth besaßen, den revolutionären Schreiern zu widerstreben, in
Folge der zahlreichen früheren Aufstände, der mannigfachen politischen Wechsel
das sittliche Urtheil verloren hatten.

Ueber die moralischen Zustände, auf Sicilien unterrichtet am besten der
Proceß, welcher im Frühlinge 1868 der Bande des Angelo Pugliese, auch
Don Peppino oder it Lombards genannt, gemacht wurde. Die Verhand¬
lungen wurden stenographirt und dann im Drucke veröffentlicht. Der Pugliese,
übrigens kein eingeborener Sicilianer, war als junger Bursche bereits 1857


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[0497] Es., galt hier eben nicht blos eine Sache des Cultus, sondern auch eine öco- nomische Angelegenheit. Von der Aufhebung der Klöster und der Einziehung der'Kirchengüter wurde nicht allein das Herz, sondern auch der Magen der Sicilianer berührt. Die nachgeborenen Söhne und unverheiratheten Töchter des Adels fanden in den reichen Benedictinerklöstern eine stattliche Unter¬ kunft; Theatiner. Dominikaner u. s. w. boten den Mittelclassen ein gleiches Asyl, und wer in den unteren Volkskreisen viele Geschwister zählte oder durch einen regeren Geist sich auszeichnete, erhob den Blick zu den Brüdern des heiligen Franciscus und hoffte auf Aufnahme in ihren Häusern. Die Mönche und Nonnen blieben auf Sieilien in enger Verbindung mit ihren Familien, bewahrten in Vorstellungen und Sitten das heimische Wesen. Die Unab¬ hängigkeit Siciliens fand unter ihnen mehr und eifrigere Anhänger als die Macht des Papstes. Eben deshalb erschien die Klosteraufhebung hier nicht in dem liberalen Lichte wie etwa in Mittelitalien. Es schwand nicht allein die Aussicht auf eine bequeme Versorgung nachgeborener Kinder, Viele, die man schon versorgt und gut aufgehoben glaubte, kamen aus den Klöstern wieder heraus und verlangten am Familientische wieder mitzusitzen. Bei der geringen Zahl von Erwerbsquellen und der noch geringeren Arbeitslust wirkte die Klosteraufhebung wie in industriellen Ländern eine Handelskrisis. Die 24 Nonnenklöster in Palermo nährten nach einer zuverlässigen Angabe bei¬ nahe 1000 Familien (919 rechnete der Präfect in seiner Rede in der Pro- vinzialversammlung am 3. September 1866) und brachten jährlich 327,000 Livre in Umlauf. Man begreift, daß diese plötzlich der Nahrung beraubten Leute der Regierung nicht hold wurden und ein Revolutionscomite', wenn ein solches in Rom bestand, in den verjagten Mönchen einen Generalstab der Revolution fertig vorfand. Bekanntlich haben die Behörden den Mönchen von Monreale einen großen Antheil an dem Septemberaufstand zugeschrieben. Es fehlte jedenfalls nicht an Leitern der Bewegung von höherem und nie¬ derem Grade, es mangelte aber auch nicht an gemeinen Soldaten der Re¬ volution. Sie recrutirten sich aus echten und falschen Garibaldianern, aus Deserteuren, aus einer großen Zahl von Landleuten, welche sich aus Plün¬ derungslust den Kämpfen anschlössen und endlich aus den Furchtsamen, welche nicht den Muth besaßen, den revolutionären Schreiern zu widerstreben, in Folge der zahlreichen früheren Aufstände, der mannigfachen politischen Wechsel das sittliche Urtheil verloren hatten. Ueber die moralischen Zustände, auf Sicilien unterrichtet am besten der Proceß, welcher im Frühlinge 1868 der Bande des Angelo Pugliese, auch Don Peppino oder it Lombards genannt, gemacht wurde. Die Verhand¬ lungen wurden stenographirt und dann im Drucke veröffentlicht. Der Pugliese, übrigens kein eingeborener Sicilianer, war als junger Bursche bereits 1857

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/497>, abgerufen am 01.09.2024.