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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Werk leicht seine Schönheit, wenn es seinen Meister verliert. Ja, was
unser Bild in dieser Hinsicht zu besorgen hat, läßt sich aus dem schließen,
was es schon erfahren mußte. Bei Woltmann. dem neuesten deutschen Holbein-
Monographen. der jetzt in Holbeins Sachen die Hauptstimme.sührt, ist der
Enthusiasmus sür die Schönheiten unseres Dresdener Bildes auf einmal tief
herabgestimmt, nachdem er erst durch äußere Gründe dahin geführt worden
war. es sür unächt zu halten, so sehr, daß er sogar Vorzüge desselben, die er früher
selbst als solche anerkannte, da er es noch sür ächt hielt, jetzt als Mängel gegen
die Aechtheit geltend macht. Dies eclatante Beispiel wird Nachfolge finden.
Denn Woltmanns Stimme ist überhaupt nicht blos als einzelne zu schätzen.
Er ist Professor im Kunstfache zu Karlsruhe und seinem Werke über Holbein
sind Huldigungen wie wenig anderen kunsthistorischen Werken zu Theil ge-
worden. Zu diesem Einflüsse auf das Urtheil Deutschlands tritt Wornum,
der englische Holbein-Monograph. Inspektor der Nationalgallerie zu London,
mit einem gleichwiegenden Einflüsse auf das Urtheil Englands hinzu, das
früher in Bewunderung unserer Madonna mit Deutschland wetteiferte. Noch
vor Woltmann nämlich hat Wornum sich zugleich als Gegner der Aechtheit
und der Schönheit unseres Bildes ausgesprochen, nur daß er umgekehrt als
Woltmann zu feiner ungünstigen Aechtheitsansicht hauptsächlich durch seine
ungünstige Schönheitsansicht geführt worden ist. Immer geht doch Eins mit
dem Anderen; nur daß bald das Eine, bald das Andere den Vortritt hat.

Diesen entschiedenen Gegnern der Aechtheit unseres Bildes reihen sich
noch weiter mindestens als starke Zweifler, die den Gegnern beinahe gleich
zu achten sind, an: Kinkel und ein nur mit C. unterzeichneter Beurtheiler
in den Grenzboten*), in welchem man jedoch leicht einen sehr geschätzten Kunst-
forscher erkennt. Und auch letzerem gilt das minder ächte Werk als das min-
der schöne. --

Gewinne das Urtheil dieser oberen Kunstinstanzen Verbreitung und Be¬
stand, so steht unsere Madonna fortan nur noch auf den Ruinen ihres alten
Ruchmes und das Kind in ihren Armen hat Recht, so trübselig dreinzuschauen.
Dresden ist dann um eine seiner größten Kostbarkeiten ärmer; denn wer be¬
zahlt für die Copie eines alten guten Bildes auch nur ein Zehntel so viel
als für das Original, und nach der äußeren Schätzung richtet sich nur zu
sehr die innere.

Also gleichgiltig ist die Aechtheitsfrage bezüglich unseres Bildes nicht;
vielmehr sie ist zu einer brennenden Kunstfrage geworden, vor der sogar die
Deutungsfrage, die sich noch vor Kurzem lebhaft genug rührte, jetzt ganz in
den Hintergrund tritt. Es ist wie der Streit um ein KunstpaÄadium.
Nun besteht aber die Frage von vorn herein nicht blos bezüglich des Dreh-



") S. Grenzboten Jahrg. 136V, Heft Ur. 40.
^

Werk leicht seine Schönheit, wenn es seinen Meister verliert. Ja, was
unser Bild in dieser Hinsicht zu besorgen hat, läßt sich aus dem schließen,
was es schon erfahren mußte. Bei Woltmann. dem neuesten deutschen Holbein-
Monographen. der jetzt in Holbeins Sachen die Hauptstimme.sührt, ist der
Enthusiasmus sür die Schönheiten unseres Dresdener Bildes auf einmal tief
herabgestimmt, nachdem er erst durch äußere Gründe dahin geführt worden
war. es sür unächt zu halten, so sehr, daß er sogar Vorzüge desselben, die er früher
selbst als solche anerkannte, da er es noch sür ächt hielt, jetzt als Mängel gegen
die Aechtheit geltend macht. Dies eclatante Beispiel wird Nachfolge finden.
Denn Woltmanns Stimme ist überhaupt nicht blos als einzelne zu schätzen.
Er ist Professor im Kunstfache zu Karlsruhe und seinem Werke über Holbein
sind Huldigungen wie wenig anderen kunsthistorischen Werken zu Theil ge-
worden. Zu diesem Einflüsse auf das Urtheil Deutschlands tritt Wornum,
der englische Holbein-Monograph. Inspektor der Nationalgallerie zu London,
mit einem gleichwiegenden Einflüsse auf das Urtheil Englands hinzu, das
früher in Bewunderung unserer Madonna mit Deutschland wetteiferte. Noch
vor Woltmann nämlich hat Wornum sich zugleich als Gegner der Aechtheit
und der Schönheit unseres Bildes ausgesprochen, nur daß er umgekehrt als
Woltmann zu feiner ungünstigen Aechtheitsansicht hauptsächlich durch seine
ungünstige Schönheitsansicht geführt worden ist. Immer geht doch Eins mit
dem Anderen; nur daß bald das Eine, bald das Andere den Vortritt hat.

Diesen entschiedenen Gegnern der Aechtheit unseres Bildes reihen sich
noch weiter mindestens als starke Zweifler, die den Gegnern beinahe gleich
zu achten sind, an: Kinkel und ein nur mit C. unterzeichneter Beurtheiler
in den Grenzboten*), in welchem man jedoch leicht einen sehr geschätzten Kunst-
forscher erkennt. Und auch letzerem gilt das minder ächte Werk als das min-
der schöne. —

Gewinne das Urtheil dieser oberen Kunstinstanzen Verbreitung und Be¬
stand, so steht unsere Madonna fortan nur noch auf den Ruinen ihres alten
Ruchmes und das Kind in ihren Armen hat Recht, so trübselig dreinzuschauen.
Dresden ist dann um eine seiner größten Kostbarkeiten ärmer; denn wer be¬
zahlt für die Copie eines alten guten Bildes auch nur ein Zehntel so viel
als für das Original, und nach der äußeren Schätzung richtet sich nur zu
sehr die innere.

Also gleichgiltig ist die Aechtheitsfrage bezüglich unseres Bildes nicht;
vielmehr sie ist zu einer brennenden Kunstfrage geworden, vor der sogar die
Deutungsfrage, die sich noch vor Kurzem lebhaft genug rührte, jetzt ganz in
den Hintergrund tritt. Es ist wie der Streit um ein KunstpaÄadium.
Nun besteht aber die Frage von vorn herein nicht blos bezüglich des Dreh-



") S. Grenzboten Jahrg. 136V, Heft Ur. 40.
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[0049] Werk leicht seine Schönheit, wenn es seinen Meister verliert. Ja, was unser Bild in dieser Hinsicht zu besorgen hat, läßt sich aus dem schließen, was es schon erfahren mußte. Bei Woltmann. dem neuesten deutschen Holbein- Monographen. der jetzt in Holbeins Sachen die Hauptstimme.sührt, ist der Enthusiasmus sür die Schönheiten unseres Dresdener Bildes auf einmal tief herabgestimmt, nachdem er erst durch äußere Gründe dahin geführt worden war. es sür unächt zu halten, so sehr, daß er sogar Vorzüge desselben, die er früher selbst als solche anerkannte, da er es noch sür ächt hielt, jetzt als Mängel gegen die Aechtheit geltend macht. Dies eclatante Beispiel wird Nachfolge finden. Denn Woltmanns Stimme ist überhaupt nicht blos als einzelne zu schätzen. Er ist Professor im Kunstfache zu Karlsruhe und seinem Werke über Holbein sind Huldigungen wie wenig anderen kunsthistorischen Werken zu Theil ge- worden. Zu diesem Einflüsse auf das Urtheil Deutschlands tritt Wornum, der englische Holbein-Monograph. Inspektor der Nationalgallerie zu London, mit einem gleichwiegenden Einflüsse auf das Urtheil Englands hinzu, das früher in Bewunderung unserer Madonna mit Deutschland wetteiferte. Noch vor Woltmann nämlich hat Wornum sich zugleich als Gegner der Aechtheit und der Schönheit unseres Bildes ausgesprochen, nur daß er umgekehrt als Woltmann zu feiner ungünstigen Aechtheitsansicht hauptsächlich durch seine ungünstige Schönheitsansicht geführt worden ist. Immer geht doch Eins mit dem Anderen; nur daß bald das Eine, bald das Andere den Vortritt hat. Diesen entschiedenen Gegnern der Aechtheit unseres Bildes reihen sich noch weiter mindestens als starke Zweifler, die den Gegnern beinahe gleich zu achten sind, an: Kinkel und ein nur mit C. unterzeichneter Beurtheiler in den Grenzboten*), in welchem man jedoch leicht einen sehr geschätzten Kunst- forscher erkennt. Und auch letzerem gilt das minder ächte Werk als das min- der schöne. — Gewinne das Urtheil dieser oberen Kunstinstanzen Verbreitung und Be¬ stand, so steht unsere Madonna fortan nur noch auf den Ruinen ihres alten Ruchmes und das Kind in ihren Armen hat Recht, so trübselig dreinzuschauen. Dresden ist dann um eine seiner größten Kostbarkeiten ärmer; denn wer be¬ zahlt für die Copie eines alten guten Bildes auch nur ein Zehntel so viel als für das Original, und nach der äußeren Schätzung richtet sich nur zu sehr die innere. Also gleichgiltig ist die Aechtheitsfrage bezüglich unseres Bildes nicht; vielmehr sie ist zu einer brennenden Kunstfrage geworden, vor der sogar die Deutungsfrage, die sich noch vor Kurzem lebhaft genug rührte, jetzt ganz in den Hintergrund tritt. Es ist wie der Streit um ein KunstpaÄadium. Nun besteht aber die Frage von vorn herein nicht blos bezüglich des Dreh- ") S. Grenzboten Jahrg. 136V, Heft Ur. 40. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/49>, abgerufen am 27.07.2024.