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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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wird bald genug dem halbschlächtigen Liberalen ihr "der Mohr hat seine
Pflicht gethan, der Mohr kann gehen" zurufen und das linke Centrum wird
den Minister, von dem es sich betrogen fühlt, ohne Bedauern fallen sehen,
ja selbst die Linke wird lieber ein unzweideutig absolutistisches Ministerium
acceptiren, mit dem sie weiß, woran sie ist.

Der ganze Unterschied, der noch zwischen dem Rouher'schen und dem Ollt-
vter'schen Cabinet, besteht, ist, daß letzteres bei weitem nicht die administrative
Fachcapacität hat, über die das erstere gebot. Rouher, Forcade und Magne waren
Commis des Kaisers, aber jedenfalls Commes erster Classe, was Niemand
von Hr. Chevandier de Valdrome oder Se'gris sagen kann. Die Folge ist,
daß Ollivier nur noch durch den Willen des Kaisers gehalten wird. Dem¬
selben mag ein Ministerwechsel vor der Session nicht conveniren, er mag
finden, daß die Situation für ein Cabinet Magne>Forcade noch nicht reif ist,
aber Ollivier, der es durch sein Ungeschick bereits dahin gebracht hat, mit
ungeheuerer Majorität (194 gegen 18 Stimmen) bei einem Amendement
von Hr. Duvernois geschlagen zu werden, hält sich einfach dadurch, daß er
sich an den Kaiser anklammert: ein Wink desselben und das parlamentarische
Ministerium ist gewesen. Der Kriegsminister Leboeuf, der Marineminister
Admiral Rigault und der neuernannte Minister des Aeußern, Herzog von
Grammont, dessen Bedeutung weder preußenfreundlich noch feindlich, sondern
die ist, daß der Kaiser die auswärtige Politik wieder selbst machen will, würden
bleiben und sich, da Rouher's Restauration doch wohl etwas zu stark sein
dürfte, durch Forcade-Magne und ähnliche Fachmänner ergänzen.

Aber auch für den Kaiser, der noch einmal aus dem Kampf, welcher seine
Macht zu erschüttern drohte, als Sieger hervorgegangen, hat die gegenwär¬
tige Lage schwere Bedenken. Wäre eine Verständigung Napoleons mit den
unabhängigen Liberalen gelungen, so wären dieselben nicht nur gegen ihn,
sondern auch gegen seinen Sohn gebunden gewesen. Es wäre ein stillschwei¬
gendes Einverständniß vorhanden gewesen, daß Napoleon III. sich dazu ver>>
standen hätte, ein konstitutioneller Souverän zu werden, um die Anerkennung
Napoleons IV. zu gleicher Eigenschaft zu sichern, während die nothwendige
Abhängigkeit eines jungen Kaisers von den Räthen seines Vaters dem consti-
tutionellen Ausbau günstig gewesen wäre. Diese Chance für den kaiserlichen
Prinzen ist auf immer vorbei, kein unabhäniger Liberaler hält sich ihm gegen¬
über gebunden. Der Kaiser hat die sichersten Aussichten seines Sohnes zer¬
stört, um seine eigne persönliche Macht festzuhalten, was bei einem Manne
von dynastischem Ehrgeiz nur so zu erklären ist, daß er zu wenig an constitu-
tionelle Souveränetät glaubt, um derselben selbst für die ungestörte Nachfolge
seines Sohnes ein ernstliches Opfer zu bringen. Fortan darf man es als
feststehend betrachten, daß der Tod Napoleons III. das Signal neuer er-


wird bald genug dem halbschlächtigen Liberalen ihr „der Mohr hat seine
Pflicht gethan, der Mohr kann gehen" zurufen und das linke Centrum wird
den Minister, von dem es sich betrogen fühlt, ohne Bedauern fallen sehen,
ja selbst die Linke wird lieber ein unzweideutig absolutistisches Ministerium
acceptiren, mit dem sie weiß, woran sie ist.

Der ganze Unterschied, der noch zwischen dem Rouher'schen und dem Ollt-
vter'schen Cabinet, besteht, ist, daß letzteres bei weitem nicht die administrative
Fachcapacität hat, über die das erstere gebot. Rouher, Forcade und Magne waren
Commis des Kaisers, aber jedenfalls Commes erster Classe, was Niemand
von Hr. Chevandier de Valdrome oder Se'gris sagen kann. Die Folge ist,
daß Ollivier nur noch durch den Willen des Kaisers gehalten wird. Dem¬
selben mag ein Ministerwechsel vor der Session nicht conveniren, er mag
finden, daß die Situation für ein Cabinet Magne>Forcade noch nicht reif ist,
aber Ollivier, der es durch sein Ungeschick bereits dahin gebracht hat, mit
ungeheuerer Majorität (194 gegen 18 Stimmen) bei einem Amendement
von Hr. Duvernois geschlagen zu werden, hält sich einfach dadurch, daß er
sich an den Kaiser anklammert: ein Wink desselben und das parlamentarische
Ministerium ist gewesen. Der Kriegsminister Leboeuf, der Marineminister
Admiral Rigault und der neuernannte Minister des Aeußern, Herzog von
Grammont, dessen Bedeutung weder preußenfreundlich noch feindlich, sondern
die ist, daß der Kaiser die auswärtige Politik wieder selbst machen will, würden
bleiben und sich, da Rouher's Restauration doch wohl etwas zu stark sein
dürfte, durch Forcade-Magne und ähnliche Fachmänner ergänzen.

Aber auch für den Kaiser, der noch einmal aus dem Kampf, welcher seine
Macht zu erschüttern drohte, als Sieger hervorgegangen, hat die gegenwär¬
tige Lage schwere Bedenken. Wäre eine Verständigung Napoleons mit den
unabhängigen Liberalen gelungen, so wären dieselben nicht nur gegen ihn,
sondern auch gegen seinen Sohn gebunden gewesen. Es wäre ein stillschwei¬
gendes Einverständniß vorhanden gewesen, daß Napoleon III. sich dazu ver>>
standen hätte, ein konstitutioneller Souverän zu werden, um die Anerkennung
Napoleons IV. zu gleicher Eigenschaft zu sichern, während die nothwendige
Abhängigkeit eines jungen Kaisers von den Räthen seines Vaters dem consti-
tutionellen Ausbau günstig gewesen wäre. Diese Chance für den kaiserlichen
Prinzen ist auf immer vorbei, kein unabhäniger Liberaler hält sich ihm gegen¬
über gebunden. Der Kaiser hat die sichersten Aussichten seines Sohnes zer¬
stört, um seine eigne persönliche Macht festzuhalten, was bei einem Manne
von dynastischem Ehrgeiz nur so zu erklären ist, daß er zu wenig an constitu-
tionelle Souveränetät glaubt, um derselben selbst für die ungestörte Nachfolge
seines Sohnes ein ernstliches Opfer zu bringen. Fortan darf man es als
feststehend betrachten, daß der Tod Napoleons III. das Signal neuer er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/480>, abgerufen am 01.09.2024.