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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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daß ein Bund zwischen Kaiserthum^und Freiheit unmöglich sei, daß man
Napoleon nicht trauen dürfe. Sie hielt sich im Anfang des Ministeriums
Ollivier ziemlich ruhig, der Ausgang aber hat gezeigt, daß ihr Jnsttnct richtig
war und daß sie schärfer gesehen hat, als die Liberalen, welche an das frei¬
sinnig gewordene Kaiserthum glaubten. Die Linke hat wieder einen gemein¬
samen Boden gewonnen in der bewiesenen Unvereinbarkeit des Bonapartis¬
mus mit der Freiheit in irgend welcher Form. Aber die Linke wird in ihrem
Kampfe auch auf eine Verstärkung durch eine bedeutende Section der libe¬
ralen Partei rechnen können. Die letztere, welche vor allen durch das Ple¬
biscit betroffen wurde, ist eben durch diese Niederlage von der hemmenden
Allianz mit dem Kaiserreich befreit. Sie wandte sich von den Orleans ab,
als sie glaubte, mit Napoleon ein Abkommen schließen zu können, ihre alten
Größen traten aus der bisherigen Zurückgezogenheit hervor und boten dem
Ministerium die Hand, welches Daru und Büffet als Bürgen seiner liberalen
Absichten zählte. Das Band der unabhängigen Liberalen mit dem Kaiser¬
thum ist jetzt zerschnitten, die energischeren unter ihnen mögen zu der Ansicht
neigen, daß die Republik doch unter den bewandten Umständen die beste
Form sei, um Frankreich die Entscheidung über sein Schicksal wiederzugeben,
die anderen werden ihre alten Verbindungen mit den Orleans wieder an¬
knüpfen. Die ganze Partei aber wird schwerlich ein Zusammenwirken mit
der Linken in dem Punkte abweisen, welcher die entscheidende Frage geworden
ist, nämlich in Bekämpfung des wiederhergestellten persönlichen Regiments.
Diese Allianz mag nicht sehr weit gehen, aber sie hat augenblicklich offenbar
große Bedeutung und auf dies Gefühl der gemeinsamen Operation gegen
die Regierung sind auch offenbar die Versuche neuer Parteibildungen, wie
Ptcard's constituttonelle Linke, zurückzuführen. Andererseits sehen auch die
Radikalen ein, welche Waffe der Appell an die Massen für den Kaiser ist,
und Gambetta hat bezeichnender Weise in seiner letzten Rede an seine Wähler
gerathen, sich versöhnlich zu den Mittelclassen zu stellen. Diese Gemeinsam¬
keit der Opposition wird dazu noch sehr unterstützt durch die vollendete Un¬
geschicklichkeit, mit der Ollivier operirte. Der oberflächliche liberale Firniß
seiner Politik ist ziemlich abgestreift, er spricht noch von seinen Versprechungen,
wenn es ihm paßt, aber erklärt, er habe fünf Jahre für sich, um sein Pro-
gramm auszuführen; von Wahlreform und Auflösung ist also nicht mehr
die Rede. Bald hochfahrend gereizt, bald kleinmüthig verzagt, spielt er gegen
jede Opposition den Trumpf, die Cabinetsfrage, so widersinnig aus, daß er von
dem Führer der Rechten, Baron David, eine Belehrung über die parlamen¬
tarische Zulässigkeit der Cabinetsfrage unter dem Beifall der ganzen Versamm¬
lung hinnehmen mußte. Die Rechte, welche fühlt, daß das Ministerium den
Booen unter den Füßen verloren und rasch die schiefe Ebene hinabgleitet,


Grenzboten II. 1870. 60

daß ein Bund zwischen Kaiserthum^und Freiheit unmöglich sei, daß man
Napoleon nicht trauen dürfe. Sie hielt sich im Anfang des Ministeriums
Ollivier ziemlich ruhig, der Ausgang aber hat gezeigt, daß ihr Jnsttnct richtig
war und daß sie schärfer gesehen hat, als die Liberalen, welche an das frei¬
sinnig gewordene Kaiserthum glaubten. Die Linke hat wieder einen gemein¬
samen Boden gewonnen in der bewiesenen Unvereinbarkeit des Bonapartis¬
mus mit der Freiheit in irgend welcher Form. Aber die Linke wird in ihrem
Kampfe auch auf eine Verstärkung durch eine bedeutende Section der libe¬
ralen Partei rechnen können. Die letztere, welche vor allen durch das Ple¬
biscit betroffen wurde, ist eben durch diese Niederlage von der hemmenden
Allianz mit dem Kaiserreich befreit. Sie wandte sich von den Orleans ab,
als sie glaubte, mit Napoleon ein Abkommen schließen zu können, ihre alten
Größen traten aus der bisherigen Zurückgezogenheit hervor und boten dem
Ministerium die Hand, welches Daru und Büffet als Bürgen seiner liberalen
Absichten zählte. Das Band der unabhängigen Liberalen mit dem Kaiser¬
thum ist jetzt zerschnitten, die energischeren unter ihnen mögen zu der Ansicht
neigen, daß die Republik doch unter den bewandten Umständen die beste
Form sei, um Frankreich die Entscheidung über sein Schicksal wiederzugeben,
die anderen werden ihre alten Verbindungen mit den Orleans wieder an¬
knüpfen. Die ganze Partei aber wird schwerlich ein Zusammenwirken mit
der Linken in dem Punkte abweisen, welcher die entscheidende Frage geworden
ist, nämlich in Bekämpfung des wiederhergestellten persönlichen Regiments.
Diese Allianz mag nicht sehr weit gehen, aber sie hat augenblicklich offenbar
große Bedeutung und auf dies Gefühl der gemeinsamen Operation gegen
die Regierung sind auch offenbar die Versuche neuer Parteibildungen, wie
Ptcard's constituttonelle Linke, zurückzuführen. Andererseits sehen auch die
Radikalen ein, welche Waffe der Appell an die Massen für den Kaiser ist,
und Gambetta hat bezeichnender Weise in seiner letzten Rede an seine Wähler
gerathen, sich versöhnlich zu den Mittelclassen zu stellen. Diese Gemeinsam¬
keit der Opposition wird dazu noch sehr unterstützt durch die vollendete Un¬
geschicklichkeit, mit der Ollivier operirte. Der oberflächliche liberale Firniß
seiner Politik ist ziemlich abgestreift, er spricht noch von seinen Versprechungen,
wenn es ihm paßt, aber erklärt, er habe fünf Jahre für sich, um sein Pro-
gramm auszuführen; von Wahlreform und Auflösung ist also nicht mehr
die Rede. Bald hochfahrend gereizt, bald kleinmüthig verzagt, spielt er gegen
jede Opposition den Trumpf, die Cabinetsfrage, so widersinnig aus, daß er von
dem Führer der Rechten, Baron David, eine Belehrung über die parlamen¬
tarische Zulässigkeit der Cabinetsfrage unter dem Beifall der ganzen Versamm¬
lung hinnehmen mußte. Die Rechte, welche fühlt, daß das Ministerium den
Booen unter den Füßen verloren und rasch die schiefe Ebene hinabgleitet,


Grenzboten II. 1870. 60
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[0479] daß ein Bund zwischen Kaiserthum^und Freiheit unmöglich sei, daß man Napoleon nicht trauen dürfe. Sie hielt sich im Anfang des Ministeriums Ollivier ziemlich ruhig, der Ausgang aber hat gezeigt, daß ihr Jnsttnct richtig war und daß sie schärfer gesehen hat, als die Liberalen, welche an das frei¬ sinnig gewordene Kaiserthum glaubten. Die Linke hat wieder einen gemein¬ samen Boden gewonnen in der bewiesenen Unvereinbarkeit des Bonapartis¬ mus mit der Freiheit in irgend welcher Form. Aber die Linke wird in ihrem Kampfe auch auf eine Verstärkung durch eine bedeutende Section der libe¬ ralen Partei rechnen können. Die letztere, welche vor allen durch das Ple¬ biscit betroffen wurde, ist eben durch diese Niederlage von der hemmenden Allianz mit dem Kaiserreich befreit. Sie wandte sich von den Orleans ab, als sie glaubte, mit Napoleon ein Abkommen schließen zu können, ihre alten Größen traten aus der bisherigen Zurückgezogenheit hervor und boten dem Ministerium die Hand, welches Daru und Büffet als Bürgen seiner liberalen Absichten zählte. Das Band der unabhängigen Liberalen mit dem Kaiser¬ thum ist jetzt zerschnitten, die energischeren unter ihnen mögen zu der Ansicht neigen, daß die Republik doch unter den bewandten Umständen die beste Form sei, um Frankreich die Entscheidung über sein Schicksal wiederzugeben, die anderen werden ihre alten Verbindungen mit den Orleans wieder an¬ knüpfen. Die ganze Partei aber wird schwerlich ein Zusammenwirken mit der Linken in dem Punkte abweisen, welcher die entscheidende Frage geworden ist, nämlich in Bekämpfung des wiederhergestellten persönlichen Regiments. Diese Allianz mag nicht sehr weit gehen, aber sie hat augenblicklich offenbar große Bedeutung und auf dies Gefühl der gemeinsamen Operation gegen die Regierung sind auch offenbar die Versuche neuer Parteibildungen, wie Ptcard's constituttonelle Linke, zurückzuführen. Andererseits sehen auch die Radikalen ein, welche Waffe der Appell an die Massen für den Kaiser ist, und Gambetta hat bezeichnender Weise in seiner letzten Rede an seine Wähler gerathen, sich versöhnlich zu den Mittelclassen zu stellen. Diese Gemeinsam¬ keit der Opposition wird dazu noch sehr unterstützt durch die vollendete Un¬ geschicklichkeit, mit der Ollivier operirte. Der oberflächliche liberale Firniß seiner Politik ist ziemlich abgestreift, er spricht noch von seinen Versprechungen, wenn es ihm paßt, aber erklärt, er habe fünf Jahre für sich, um sein Pro- gramm auszuführen; von Wahlreform und Auflösung ist also nicht mehr die Rede. Bald hochfahrend gereizt, bald kleinmüthig verzagt, spielt er gegen jede Opposition den Trumpf, die Cabinetsfrage, so widersinnig aus, daß er von dem Führer der Rechten, Baron David, eine Belehrung über die parlamen¬ tarische Zulässigkeit der Cabinetsfrage unter dem Beifall der ganzen Versamm¬ lung hinnehmen mußte. Die Rechte, welche fühlt, daß das Ministerium den Booen unter den Füßen verloren und rasch die schiefe Ebene hinabgleitet, Grenzboten II. 1870. 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/479>, abgerufen am 01.09.2024.