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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Controversen über die Artikel 13 und 43 d. h. über das Recht des Kaisers,
an das Volk zu appelliren. Das Volk wird demnach die Aufrechthaltung
des dem Kaiserthum ursprünglichen Rechtes ratificiren, und indem es den
vom Kaiser realtsirten Reformen beistimme, Protest einlegen gegen die Ver¬
suche, den eigentlichen Charakter des Werkes von 1832 umzugestalten."

Vom Gesichtspunkt des Kaisers läßt sich dieser Zwiespalt zwischen seiner
Proclamation und dem ministeriellen Circular wohl erklären. Je nach dem
Erfolg des Plebiscits konnte die kaiserliche oder ministerielle Auffassung her¬
vorgekehrt werden. War der Erfolg glänzend, so wurde das Plebiscit als
persönliches Vertrauensvotum ausgelegt, war es ungenügend, so ward dies
davon hergeleitet, daß das Volk auf die Reformen keinen Werth lege und
dem alten absoluten Kaiserthum von 1852 den Vorzug gebe. Aber wie soll
man von den Ministern denken, die sich eine derartige widerspruchsvolle Zwei¬
deutigkeit gefallen ließen?

Bei der Abstimmung trat es denn klar zu Tage, daß es sich nicht mehr
um die homöopathischen Reformen der neuen Verfassung, sondern um das
Kaiserthum selbst handelte und die Agitation der Radicalen, welche dies deut¬
lich fühlten, diente zur Bestätigung. Daher kann auch der schärfste Gegner
Napoleons nicht bezweifeln, daß das Resultat der Abstimmung die Ansichten
der Majorität des Volkes repräsentirt, welches die Ruhe des Absolutismus
der Agitation des Liberalismus vorzieht, eben weil das souveräne Volk sou¬
verän unwissend ist. Und dieser Situation entspricht vollständig die Antwort
des Kaisers auf die flache Schmeichelrede, mit welcher Präsident Schneider
das Resultat des Plebiscits überbrachte. Wir finden vollkommen den alten
Stil Napoleons wieder, die Versassungsreformen, welche einziger Gegenstand
des Plebiscits nach der Formel desselben sein sollten, werden mit einer vor¬
übergehenden Erwähnung bei Seite geschoben, das Kaiserthum ist nicht um¬
gestaltet, sondern in seinen Grundlagen befestigt. Der beharrliche Wille des
Volkes, das Kaiserreich aufrecht zur erhalten, bestätigt die Machtvollkommen¬
heit, welche durch das Votum von 1831 dem Staatsoberhaupt gegeben ward,
die Gegner opponiren nicht etwa gegen die Reformen, wie man nach dem
Wortlattt des Plebiscits glauben sollte, sondern sind persönliche Feinde des
Kaiserthums und der socialen Ordnung. Daher die Bedeutung der imposan¬
ten Majorität des Plebiscits. Wenn die Wähler ihre Stimme direct abgeben,
erheben sie sich triumphirend über die kleinlichen Streitereien ihrer nomineller
Vertreter, welche das Avertissement erhalten, daß der Kaiser sie beschützen
werde, so lange sie sich in ihrer Sphäre halten, aber ihnen gegenüber dem
Nationalwillen Nachdruck zu verschaffen wissen werde, wenn sie sich auf feind¬
liche Manöver einlassen. Vom Ministerium ist absolut nicht mehr die Rede,
der Kaiser allein spricht, er versichert, daß seine Regierung nicht von dem


Controversen über die Artikel 13 und 43 d. h. über das Recht des Kaisers,
an das Volk zu appelliren. Das Volk wird demnach die Aufrechthaltung
des dem Kaiserthum ursprünglichen Rechtes ratificiren, und indem es den
vom Kaiser realtsirten Reformen beistimme, Protest einlegen gegen die Ver¬
suche, den eigentlichen Charakter des Werkes von 1832 umzugestalten."

Vom Gesichtspunkt des Kaisers läßt sich dieser Zwiespalt zwischen seiner
Proclamation und dem ministeriellen Circular wohl erklären. Je nach dem
Erfolg des Plebiscits konnte die kaiserliche oder ministerielle Auffassung her¬
vorgekehrt werden. War der Erfolg glänzend, so wurde das Plebiscit als
persönliches Vertrauensvotum ausgelegt, war es ungenügend, so ward dies
davon hergeleitet, daß das Volk auf die Reformen keinen Werth lege und
dem alten absoluten Kaiserthum von 1852 den Vorzug gebe. Aber wie soll
man von den Ministern denken, die sich eine derartige widerspruchsvolle Zwei¬
deutigkeit gefallen ließen?

Bei der Abstimmung trat es denn klar zu Tage, daß es sich nicht mehr
um die homöopathischen Reformen der neuen Verfassung, sondern um das
Kaiserthum selbst handelte und die Agitation der Radicalen, welche dies deut¬
lich fühlten, diente zur Bestätigung. Daher kann auch der schärfste Gegner
Napoleons nicht bezweifeln, daß das Resultat der Abstimmung die Ansichten
der Majorität des Volkes repräsentirt, welches die Ruhe des Absolutismus
der Agitation des Liberalismus vorzieht, eben weil das souveräne Volk sou¬
verän unwissend ist. Und dieser Situation entspricht vollständig die Antwort
des Kaisers auf die flache Schmeichelrede, mit welcher Präsident Schneider
das Resultat des Plebiscits überbrachte. Wir finden vollkommen den alten
Stil Napoleons wieder, die Versassungsreformen, welche einziger Gegenstand
des Plebiscits nach der Formel desselben sein sollten, werden mit einer vor¬
übergehenden Erwähnung bei Seite geschoben, das Kaiserthum ist nicht um¬
gestaltet, sondern in seinen Grundlagen befestigt. Der beharrliche Wille des
Volkes, das Kaiserreich aufrecht zur erhalten, bestätigt die Machtvollkommen¬
heit, welche durch das Votum von 1831 dem Staatsoberhaupt gegeben ward,
die Gegner opponiren nicht etwa gegen die Reformen, wie man nach dem
Wortlattt des Plebiscits glauben sollte, sondern sind persönliche Feinde des
Kaiserthums und der socialen Ordnung. Daher die Bedeutung der imposan¬
ten Majorität des Plebiscits. Wenn die Wähler ihre Stimme direct abgeben,
erheben sie sich triumphirend über die kleinlichen Streitereien ihrer nomineller
Vertreter, welche das Avertissement erhalten, daß der Kaiser sie beschützen
werde, so lange sie sich in ihrer Sphäre halten, aber ihnen gegenüber dem
Nationalwillen Nachdruck zu verschaffen wissen werde, wenn sie sich auf feind¬
liche Manöver einlassen. Vom Ministerium ist absolut nicht mehr die Rede,
der Kaiser allein spricht, er versichert, daß seine Regierung nicht von dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/477>, abgerufen am 01.09.2024.