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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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nicht blos kraft dieser rechtlich geltenden Bestimmung dem Volke die ein¬
geführten Veränderungen zur Abstimmung vorzulegen, sondern auch jenes
Appellationsrecht selbst in der neuen Verfassung ausdrücklich aufrecht zu er¬
halten. Hierüber brach der Zwiespalt im Ministerium aus, welcher mit dem
Rücktritt von Daru und Büffet endete. auf denen der konstitutionelle Nimbus
des Cabinets allein geruht hatte. Ollivier, der in seinem Buche "I^v 18
^Älivisr" das Plebiscit eine Farce genannt hatte, blieb und schrieb einen
Brief nach dem andern über die Wichtigkeit dieses großen Aktes an seine
Wähler. Eine Farce nun verdient das Plebiscit insofern zwar keineswegs
genannt zu werden, als es den größten Einfluß auf die ganze Situation
geübt hat, aber ebenso sicher ist andererseits, daß damit die Illusionen über
die liberale Wiedergeburt des Kaiserreichs gründlich beseitigt sind. Die In-
stitution des Plebiscits, welche sich durch die neueste Verfassungsveränderung
im französischen Staatsrecht befestigt hat, ist in der unabhängigen deutschen
und englischen Presse hinreichend gewürdigt. So viel darf als feststehend
angenommen werden, daß das plebiscitarische Regime nicht blos mit parla¬
mentarischem im strengem Sinne, sondern mit dem repräsentativen überhaupt
unvereinbar ist, und darauf beruht auch das unverhohlene Wohlgefallen, mit
dem der Kreuzzeitung und norddeutsche Allgemeine das neueste napoleonische
Experiment und die Niederlage der französischen Liberalen begleitet haben.
Wer beim Plebiscit die Frage stellt, beantwortet sie bereits
thatsächlich, das Volk hat keine Initiative, sondern kann nur eine Sanction
geben. Dies hat sich in Frankreich auf das schlagendste gezeigt. Die Formel
des Plebiscits war: "Das Volk billigt die liberalen Reformen, die in die
Verfassung seit 1860 durch den Kaiser unter Mitwirkung der großen Staats¬
körper aufgenommen sind und bestätigt das senatus-Consult vom 20. April
1870." Wir wollen von der factischen Unrichtigkeit dieser Formel absehen,
die darin liegt, daß bei jenen Veränderungen grade dem hauptsächlichsten der
großen Staatskörper, der gewählten Kammer, keine gesetzliche Mitwirkung
gegeben war, daß sie vielmehr lediglich vom Kaiser ausgegangen und
von dem willenlosen Senat bestätigt waren. Das bezeichnende des Plebis-
cits war, daß thatsächlich gar nicht über die Frage abgestimmt ward, die es
stellte. Das ministerielle Wahlcircular sprach nur von den liberalen Refor¬
men, welche die Abstimmung bestätigen sollte, der Kaiser aber in seiner
Proklamation stellte die persönliche Vertrauens- und Thronfrage, knüpfte an
die früheren Plebiscite an, welche ihm die Gewalt übertragen, erinnerte an
seine Verdienste um das Land und forderte Erneuerung seiner Vollmachten,
die nicht bestritten waren. Demgemäß erklärte auch das Rouher'sche Public:
"Die Ratification des senatus-Consules (welches jede Verfassungsverände-
rung dem Plebiscit vorbehält) wird die Antwort des Landes sein auf die


nicht blos kraft dieser rechtlich geltenden Bestimmung dem Volke die ein¬
geführten Veränderungen zur Abstimmung vorzulegen, sondern auch jenes
Appellationsrecht selbst in der neuen Verfassung ausdrücklich aufrecht zu er¬
halten. Hierüber brach der Zwiespalt im Ministerium aus, welcher mit dem
Rücktritt von Daru und Büffet endete. auf denen der konstitutionelle Nimbus
des Cabinets allein geruht hatte. Ollivier, der in seinem Buche „I^v 18
^Älivisr" das Plebiscit eine Farce genannt hatte, blieb und schrieb einen
Brief nach dem andern über die Wichtigkeit dieses großen Aktes an seine
Wähler. Eine Farce nun verdient das Plebiscit insofern zwar keineswegs
genannt zu werden, als es den größten Einfluß auf die ganze Situation
geübt hat, aber ebenso sicher ist andererseits, daß damit die Illusionen über
die liberale Wiedergeburt des Kaiserreichs gründlich beseitigt sind. Die In-
stitution des Plebiscits, welche sich durch die neueste Verfassungsveränderung
im französischen Staatsrecht befestigt hat, ist in der unabhängigen deutschen
und englischen Presse hinreichend gewürdigt. So viel darf als feststehend
angenommen werden, daß das plebiscitarische Regime nicht blos mit parla¬
mentarischem im strengem Sinne, sondern mit dem repräsentativen überhaupt
unvereinbar ist, und darauf beruht auch das unverhohlene Wohlgefallen, mit
dem der Kreuzzeitung und norddeutsche Allgemeine das neueste napoleonische
Experiment und die Niederlage der französischen Liberalen begleitet haben.
Wer beim Plebiscit die Frage stellt, beantwortet sie bereits
thatsächlich, das Volk hat keine Initiative, sondern kann nur eine Sanction
geben. Dies hat sich in Frankreich auf das schlagendste gezeigt. Die Formel
des Plebiscits war: „Das Volk billigt die liberalen Reformen, die in die
Verfassung seit 1860 durch den Kaiser unter Mitwirkung der großen Staats¬
körper aufgenommen sind und bestätigt das senatus-Consult vom 20. April
1870." Wir wollen von der factischen Unrichtigkeit dieser Formel absehen,
die darin liegt, daß bei jenen Veränderungen grade dem hauptsächlichsten der
großen Staatskörper, der gewählten Kammer, keine gesetzliche Mitwirkung
gegeben war, daß sie vielmehr lediglich vom Kaiser ausgegangen und
von dem willenlosen Senat bestätigt waren. Das bezeichnende des Plebis-
cits war, daß thatsächlich gar nicht über die Frage abgestimmt ward, die es
stellte. Das ministerielle Wahlcircular sprach nur von den liberalen Refor¬
men, welche die Abstimmung bestätigen sollte, der Kaiser aber in seiner
Proklamation stellte die persönliche Vertrauens- und Thronfrage, knüpfte an
die früheren Plebiscite an, welche ihm die Gewalt übertragen, erinnerte an
seine Verdienste um das Land und forderte Erneuerung seiner Vollmachten,
die nicht bestritten waren. Demgemäß erklärte auch das Rouher'sche Public:
„Die Ratification des senatus-Consules (welches jede Verfassungsverände-
rung dem Plebiscit vorbehält) wird die Antwort des Landes sein auf die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/476>, abgerufen am 01.09.2024.