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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Mit Ur. beginnt diese Zeitschrift ein neues Quartal,
welches durch alle Buchhandlungen und Postämter zu be¬
ziehen ist.
Leipzig, im März 1870.Die Verlagshandlung.

Der Streit um die beiden Madonnen von Holliein*).

Wer hätte noch vor wenigen Jahren denken sollen, daß eins der beiden
Kleinode der Dresdener Gemäldegallerie, die vor allen beigetragen haben,
diese Gallerie selbst zum Kleinode des Landes zu machen, unsere allbekannte
und allbeliebte Holbein'sche Madonna eines Vertheidigers ihrer Aechtheit und
ihrer Schönheit bedürfen sollte, und doch ist es so. Die Schönheit zwar
möchte sich genügend selbst vertheidigen, mit der Aechtheit ist es anders;
beide Fragen aber spielen in den Verhandlungen darüber so sehr in ein¬
ander, daß sie fast nur wie eine Frage erscheinen. Doch soll es sich hier
vorzugsweise um die Aechtheit handeln. Unter Aechtheit unseres Bildes
verstehe ich hier, wie in Folgendem immer, die früher nie bezweifelte Autor¬
schaft desjenigen Künstlers, dessen Name sich von jeher an das Bild geknüpft
hat, des Hauptes der alten schwäbischen Malerschule, des jüngeren Holbein,
gegenüber der neuerdings aufgetretenen und mit Gründen, die nicht einfach
zu ignoriren sind, vertretenen Behauptung, das Bild sei nur die späte Copie
von fremder Hand nach einem anderen, wirklich ächt Holbein'schen Werke, dem
nach seinem jetzigen Aufstellungsorte sogenannten Darmstädter Exemplar der
Holbein'schen Madonna, einem erst seit etwa 40 Jahren bekannt gewordenen
Bilde, das bei wichtigen Abweichungen in der Ausführung im Hauptinhalt
mit dem Dresdener übereinstimmt und nicht selten mit ihm gemeinsam unter
dem Namen der "Meier'schen Madonna" zusammengefaßt wird, da die in
beiden vor der Madonna knieend dargestellte Familie die des Baseler Bürger¬
meister Meier ist, welche um den Anfang des 16. Jahrhunderts lebte.

Vor Auftreten dieses Darmstädter Exemplares war von einer Aechtheits-
frage bezüglich des Dresdener überhaupt noch gar nicht die Rede; seine Aecht¬
heit stand außer Frage. War es doch von Algarotti in Venedig als Holbein-
sches Bild für Dresden angekauft worden. Alte Nachrichten, von Fesch und



') Da im folgenden Aufsatz nur die Hauptpunkte der sehr verwickelten Frage übersichtlich vor-
geführt werden sollten. .0 behält sich der Verfasser eine monographische Behandlung derselben mit
den Unterlagen zu einer gründlichen Beurtheilung für ein besonderes Schriftchen vor.
Grenzboten II. 1870. 6

Mit Ur. beginnt diese Zeitschrift ein neues Quartal,
welches durch alle Buchhandlungen und Postämter zu be¬
ziehen ist.
Leipzig, im März 1870.Die Verlagshandlung.

Der Streit um die beiden Madonnen von Holliein*).

Wer hätte noch vor wenigen Jahren denken sollen, daß eins der beiden
Kleinode der Dresdener Gemäldegallerie, die vor allen beigetragen haben,
diese Gallerie selbst zum Kleinode des Landes zu machen, unsere allbekannte
und allbeliebte Holbein'sche Madonna eines Vertheidigers ihrer Aechtheit und
ihrer Schönheit bedürfen sollte, und doch ist es so. Die Schönheit zwar
möchte sich genügend selbst vertheidigen, mit der Aechtheit ist es anders;
beide Fragen aber spielen in den Verhandlungen darüber so sehr in ein¬
ander, daß sie fast nur wie eine Frage erscheinen. Doch soll es sich hier
vorzugsweise um die Aechtheit handeln. Unter Aechtheit unseres Bildes
verstehe ich hier, wie in Folgendem immer, die früher nie bezweifelte Autor¬
schaft desjenigen Künstlers, dessen Name sich von jeher an das Bild geknüpft
hat, des Hauptes der alten schwäbischen Malerschule, des jüngeren Holbein,
gegenüber der neuerdings aufgetretenen und mit Gründen, die nicht einfach
zu ignoriren sind, vertretenen Behauptung, das Bild sei nur die späte Copie
von fremder Hand nach einem anderen, wirklich ächt Holbein'schen Werke, dem
nach seinem jetzigen Aufstellungsorte sogenannten Darmstädter Exemplar der
Holbein'schen Madonna, einem erst seit etwa 40 Jahren bekannt gewordenen
Bilde, das bei wichtigen Abweichungen in der Ausführung im Hauptinhalt
mit dem Dresdener übereinstimmt und nicht selten mit ihm gemeinsam unter
dem Namen der „Meier'schen Madonna" zusammengefaßt wird, da die in
beiden vor der Madonna knieend dargestellte Familie die des Baseler Bürger¬
meister Meier ist, welche um den Anfang des 16. Jahrhunderts lebte.

Vor Auftreten dieses Darmstädter Exemplares war von einer Aechtheits-
frage bezüglich des Dresdener überhaupt noch gar nicht die Rede; seine Aecht¬
heit stand außer Frage. War es doch von Algarotti in Venedig als Holbein-
sches Bild für Dresden angekauft worden. Alte Nachrichten, von Fesch und



') Da im folgenden Aufsatz nur die Hauptpunkte der sehr verwickelten Frage übersichtlich vor-
geführt werden sollten. .0 behält sich der Verfasser eine monographische Behandlung derselben mit
den Unterlagen zu einer gründlichen Beurtheilung für ein besonderes Schriftchen vor.
Grenzboten II. 1870. 6
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[0047] Mit Ur. beginnt diese Zeitschrift ein neues Quartal, welches durch alle Buchhandlungen und Postämter zu be¬ ziehen ist. Leipzig, im März 1870.Die Verlagshandlung. Der Streit um die beiden Madonnen von Holliein*). Wer hätte noch vor wenigen Jahren denken sollen, daß eins der beiden Kleinode der Dresdener Gemäldegallerie, die vor allen beigetragen haben, diese Gallerie selbst zum Kleinode des Landes zu machen, unsere allbekannte und allbeliebte Holbein'sche Madonna eines Vertheidigers ihrer Aechtheit und ihrer Schönheit bedürfen sollte, und doch ist es so. Die Schönheit zwar möchte sich genügend selbst vertheidigen, mit der Aechtheit ist es anders; beide Fragen aber spielen in den Verhandlungen darüber so sehr in ein¬ ander, daß sie fast nur wie eine Frage erscheinen. Doch soll es sich hier vorzugsweise um die Aechtheit handeln. Unter Aechtheit unseres Bildes verstehe ich hier, wie in Folgendem immer, die früher nie bezweifelte Autor¬ schaft desjenigen Künstlers, dessen Name sich von jeher an das Bild geknüpft hat, des Hauptes der alten schwäbischen Malerschule, des jüngeren Holbein, gegenüber der neuerdings aufgetretenen und mit Gründen, die nicht einfach zu ignoriren sind, vertretenen Behauptung, das Bild sei nur die späte Copie von fremder Hand nach einem anderen, wirklich ächt Holbein'schen Werke, dem nach seinem jetzigen Aufstellungsorte sogenannten Darmstädter Exemplar der Holbein'schen Madonna, einem erst seit etwa 40 Jahren bekannt gewordenen Bilde, das bei wichtigen Abweichungen in der Ausführung im Hauptinhalt mit dem Dresdener übereinstimmt und nicht selten mit ihm gemeinsam unter dem Namen der „Meier'schen Madonna" zusammengefaßt wird, da die in beiden vor der Madonna knieend dargestellte Familie die des Baseler Bürger¬ meister Meier ist, welche um den Anfang des 16. Jahrhunderts lebte. Vor Auftreten dieses Darmstädter Exemplares war von einer Aechtheits- frage bezüglich des Dresdener überhaupt noch gar nicht die Rede; seine Aecht¬ heit stand außer Frage. War es doch von Algarotti in Venedig als Holbein- sches Bild für Dresden angekauft worden. Alte Nachrichten, von Fesch und ') Da im folgenden Aufsatz nur die Hauptpunkte der sehr verwickelten Frage übersichtlich vor- geführt werden sollten. .0 behält sich der Verfasser eine monographische Behandlung derselben mit den Unterlagen zu einer gründlichen Beurtheilung für ein besonderes Schriftchen vor. Grenzboten II. 1870. 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/47>, abgerufen am 27.07.2024.