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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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des L. A. Zellner (mit hist. Progr.) und die Novitäten-Soiröe von I. P.
Gotthard erwähnt. Letzterer ist der jüngste der hier etablirten Musikalten¬
händler, ein strebsamer Mann, von dem zu erwarten steht, daß er auf das
arg verfahrene Fach des hiesigen Musikverlags wohlthätigen Einfluß üben
werde. Wien hat sich nach und nach den Selbstverlag sämmtlicher Tonheroen
entreißen lassen; Tänze, Märsche u. tgi. sind mit wenigen Ausnahmen das
Haupterzeugniß. Was sich aus Schubert machen ließ, haben in neuester Zeit
die geschmackvollen Auflagen seiner Werke im "Ausland" glänzend bewiesen.
In wenig Jahren wurde da mehr geleistet, als hier seit Anbeginn. Tobias
Haslinger hatte seinerzeit tüchtige Anläufe genommen; Mozart. Beethoven,
Scarlatti, Bach u. A. gingen aus seinem Verlag hervor. Noch früher, in
den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts, machte sich Artaria durch Her¬
ausgabe zahlreicher Werke von Haydn, Mozart und Beethoven verdient.
Dies hat Alles aufgehört. Quartette, Trio's, Symphonien, in Partituren und
Stimmen, Gesammtausgaben klassischer Werke sind eben Alle auswärts zu
suchen. Welche Masse Geld dadurch hinausgeht, wissen die Verleger am
Besten, des festgerannten Agio's nicht zu gedenken. Daß noch jetzt sich neue
Auflagen der längst bekannten Meisterwerke rentiren, beweisen die in den
letzten 20 Jahren fast gleichzeitig entstandenen schön ausgestatteten und dabei
billigen Ausgaben in Leipzig, Dresden, Berlin, Braunschweig, Offenbach,
Mainz und vielen andern Städten.

Diese Blätter haben in ihrem Musikbericht aus Wien im Jahre 1867
auch der Kirche erwähnt. Die damals erhobenen Klagen über die Indolenz
der Geistlichkeit der Kirchenmusik gegenüber, müssen bis auf den heutigen
Tag aufrecht erhalten bleiben. Ueber den Verfall der Orgeln, deren Wien ohne¬
dies wenige gute besitzt, ist nur Eine Stimme. Einer Aufmunterung an bewährte
Componisten, für die Kirche zu schreiben, begegnet man nirgends. So be¬
nutzen denn unfertige Kunstjünger und schwache Dilettanten die Gelegenheit,
die Kirche zum Tummelplatz ihrer Eitelkeit zu machen. Es ist kaum zu
glauben, was da an Schalen wässerigen Zeug verbraucht wird. Eine Bei¬
steuer zur Erhaltung des Kirchenchores leisten die wenigsten Kirchen. Die
Chorregenten erhalten in den Vorstädten einen Jahresgehalt bis herab zu 200 si.
Dafür müssen sie alle Auslagen bestreiten zur Aufführung der Kirchenmusik an
Sonn- und Feiertagen! Sie beziehen keine Quartiergelder, keine Theuerungs¬
beiträge, haben keine Pension, höchstens eine Armenpfründe zu erwarten
und können jeden Augenblick entlassen werden. Die üblichen Stiftungs- und
Stolgebühren kommen nur Einigen zu Gute; daher erklärt es sich, daß die
Geringsten unter ihnen zugleich als Meßner und Conduklansager fungiren.
Eine Ausnahme machen nur die an landesfürstlichen Pfarrkirchen von der k. k.
Statthalteret mit Dekret angestellten Regenschort der innern Stadt, welche.


des L. A. Zellner (mit hist. Progr.) und die Novitäten-Soiröe von I. P.
Gotthard erwähnt. Letzterer ist der jüngste der hier etablirten Musikalten¬
händler, ein strebsamer Mann, von dem zu erwarten steht, daß er auf das
arg verfahrene Fach des hiesigen Musikverlags wohlthätigen Einfluß üben
werde. Wien hat sich nach und nach den Selbstverlag sämmtlicher Tonheroen
entreißen lassen; Tänze, Märsche u. tgi. sind mit wenigen Ausnahmen das
Haupterzeugniß. Was sich aus Schubert machen ließ, haben in neuester Zeit
die geschmackvollen Auflagen seiner Werke im „Ausland" glänzend bewiesen.
In wenig Jahren wurde da mehr geleistet, als hier seit Anbeginn. Tobias
Haslinger hatte seinerzeit tüchtige Anläufe genommen; Mozart. Beethoven,
Scarlatti, Bach u. A. gingen aus seinem Verlag hervor. Noch früher, in
den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts, machte sich Artaria durch Her¬
ausgabe zahlreicher Werke von Haydn, Mozart und Beethoven verdient.
Dies hat Alles aufgehört. Quartette, Trio's, Symphonien, in Partituren und
Stimmen, Gesammtausgaben klassischer Werke sind eben Alle auswärts zu
suchen. Welche Masse Geld dadurch hinausgeht, wissen die Verleger am
Besten, des festgerannten Agio's nicht zu gedenken. Daß noch jetzt sich neue
Auflagen der längst bekannten Meisterwerke rentiren, beweisen die in den
letzten 20 Jahren fast gleichzeitig entstandenen schön ausgestatteten und dabei
billigen Ausgaben in Leipzig, Dresden, Berlin, Braunschweig, Offenbach,
Mainz und vielen andern Städten.

Diese Blätter haben in ihrem Musikbericht aus Wien im Jahre 1867
auch der Kirche erwähnt. Die damals erhobenen Klagen über die Indolenz
der Geistlichkeit der Kirchenmusik gegenüber, müssen bis auf den heutigen
Tag aufrecht erhalten bleiben. Ueber den Verfall der Orgeln, deren Wien ohne¬
dies wenige gute besitzt, ist nur Eine Stimme. Einer Aufmunterung an bewährte
Componisten, für die Kirche zu schreiben, begegnet man nirgends. So be¬
nutzen denn unfertige Kunstjünger und schwache Dilettanten die Gelegenheit,
die Kirche zum Tummelplatz ihrer Eitelkeit zu machen. Es ist kaum zu
glauben, was da an Schalen wässerigen Zeug verbraucht wird. Eine Bei¬
steuer zur Erhaltung des Kirchenchores leisten die wenigsten Kirchen. Die
Chorregenten erhalten in den Vorstädten einen Jahresgehalt bis herab zu 200 si.
Dafür müssen sie alle Auslagen bestreiten zur Aufführung der Kirchenmusik an
Sonn- und Feiertagen! Sie beziehen keine Quartiergelder, keine Theuerungs¬
beiträge, haben keine Pension, höchstens eine Armenpfründe zu erwarten
und können jeden Augenblick entlassen werden. Die üblichen Stiftungs- und
Stolgebühren kommen nur Einigen zu Gute; daher erklärt es sich, daß die
Geringsten unter ihnen zugleich als Meßner und Conduklansager fungiren.
Eine Ausnahme machen nur die an landesfürstlichen Pfarrkirchen von der k. k.
Statthalteret mit Dekret angestellten Regenschort der innern Stadt, welche.


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[0467] des L. A. Zellner (mit hist. Progr.) und die Novitäten-Soiröe von I. P. Gotthard erwähnt. Letzterer ist der jüngste der hier etablirten Musikalten¬ händler, ein strebsamer Mann, von dem zu erwarten steht, daß er auf das arg verfahrene Fach des hiesigen Musikverlags wohlthätigen Einfluß üben werde. Wien hat sich nach und nach den Selbstverlag sämmtlicher Tonheroen entreißen lassen; Tänze, Märsche u. tgi. sind mit wenigen Ausnahmen das Haupterzeugniß. Was sich aus Schubert machen ließ, haben in neuester Zeit die geschmackvollen Auflagen seiner Werke im „Ausland" glänzend bewiesen. In wenig Jahren wurde da mehr geleistet, als hier seit Anbeginn. Tobias Haslinger hatte seinerzeit tüchtige Anläufe genommen; Mozart. Beethoven, Scarlatti, Bach u. A. gingen aus seinem Verlag hervor. Noch früher, in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts, machte sich Artaria durch Her¬ ausgabe zahlreicher Werke von Haydn, Mozart und Beethoven verdient. Dies hat Alles aufgehört. Quartette, Trio's, Symphonien, in Partituren und Stimmen, Gesammtausgaben klassischer Werke sind eben Alle auswärts zu suchen. Welche Masse Geld dadurch hinausgeht, wissen die Verleger am Besten, des festgerannten Agio's nicht zu gedenken. Daß noch jetzt sich neue Auflagen der längst bekannten Meisterwerke rentiren, beweisen die in den letzten 20 Jahren fast gleichzeitig entstandenen schön ausgestatteten und dabei billigen Ausgaben in Leipzig, Dresden, Berlin, Braunschweig, Offenbach, Mainz und vielen andern Städten. Diese Blätter haben in ihrem Musikbericht aus Wien im Jahre 1867 auch der Kirche erwähnt. Die damals erhobenen Klagen über die Indolenz der Geistlichkeit der Kirchenmusik gegenüber, müssen bis auf den heutigen Tag aufrecht erhalten bleiben. Ueber den Verfall der Orgeln, deren Wien ohne¬ dies wenige gute besitzt, ist nur Eine Stimme. Einer Aufmunterung an bewährte Componisten, für die Kirche zu schreiben, begegnet man nirgends. So be¬ nutzen denn unfertige Kunstjünger und schwache Dilettanten die Gelegenheit, die Kirche zum Tummelplatz ihrer Eitelkeit zu machen. Es ist kaum zu glauben, was da an Schalen wässerigen Zeug verbraucht wird. Eine Bei¬ steuer zur Erhaltung des Kirchenchores leisten die wenigsten Kirchen. Die Chorregenten erhalten in den Vorstädten einen Jahresgehalt bis herab zu 200 si. Dafür müssen sie alle Auslagen bestreiten zur Aufführung der Kirchenmusik an Sonn- und Feiertagen! Sie beziehen keine Quartiergelder, keine Theuerungs¬ beiträge, haben keine Pension, höchstens eine Armenpfründe zu erwarten und können jeden Augenblick entlassen werden. Die üblichen Stiftungs- und Stolgebühren kommen nur Einigen zu Gute; daher erklärt es sich, daß die Geringsten unter ihnen zugleich als Meßner und Conduklansager fungiren. Eine Ausnahme machen nur die an landesfürstlichen Pfarrkirchen von der k. k. Statthalteret mit Dekret angestellten Regenschort der innern Stadt, welche.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/467>, abgerufen am 27.07.2024.