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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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der neueste "Lehrplan" und das "Grundverfassungs-Statut sammt Vollzugs¬
vorschrift" die nähere Aufklärung.

Reicher Besuch und Beifall lohnte auch in dieser Saison die trefflichen
Leitungen der Philharmoniker, die wie alljährlich acht Concerte unter
Otto Dessosf's tüchtiger Leitung veranstalteten. Unter den Ouvertüren er¬
weckten Benvenuto Cellini, Leonore Ur. 1 und Iwan IV. besonderes Interesse.
Erstere ist in Berlioz' bekannter raffinirter Weise aufgebaut; Beethovens erste
Leonoren-Ouverture ruhte hier seit der ersten Aufführung im I. 1803, bis
sie die lüonoerts spiritusls im I. 1845 wieder hervorsuchten. Iwan IV., ein
musikalisches Charakterbild von Rubinstein, ist mit Aufgebot aller neueren
Orchestermittel etwas gedehnt aber effectvoll gearbeitet. Wohl die meisten
Zuhörer mögen neugierig im Leben dieses russischen Tyrannen dem Commen-
tar zu dieser starkgewürzten Composition nachgespürt' haben. Das Feld
der Symphonien behaupteten Haydn (L-aur). Mozart (6-mvlI), Beethoven
(5. u. 7.) Mendelssohn (^-nur), Schumann (2. 4. u. die Lsätzige), Rubinstein
und Bruch. Haydn's "1a reine as ?rares^ ist eine der sechs für die Pariser
Ooneerts as 1a loZs olMMuk componirter Symphonien. Rubinsteins
"Ocean-Symphonie", zum zweitenmal hier aufgeführt, sprach nur theilweise
an. Neu war das Werk von Bruch, dem aber diesmal kein günstiger Stern
leuchtete. Lachners Suite Ur. S kommt ihren Vorgängern nicht gleich^ eine
Serenade in v-aur von Brahms (der selbst dirigirte) fand sehr warme Auf¬
nahme. Man kann ihr ein starkes Anlehnen an Beethovens Pastorat-Sym-
phonie und ein mitunter grübelndes Sichgehenlassen vorwerfen, im Ganzen
aber bietet sie eine reiche Ausbeute an feinen geistreichen Zügen. Zwei Con¬
certe für Streichorchester von Händel und Bach, Werke voll urwüchsiger Kraft,
packten gewaltig. Bach's Passacaglia, von Esser instrumentirt. und Webers
"Aufforderung zum Tanz" wurden glänzend ausgeführt. (Daß man bei
Letzteren dem heftigen Daeaporuf nicht Folge leistete, zeigte von richtigem
Tact.) Der edle Vortrag des Violineoncerts von Beethoven brachte dem
wackern, jetzt meist in England lebenden Virtuosen L.Strauß, einem Wiener
und Schüler Böhm's reichlichen Beifall. Nicht minder gefiel der Wiener
Pianist A. Door, jetzt Professor am Conservatorium, durch seinen frischen
brillanten Vortrag des Hiller'schen ^is-moll Concerts. Dagegen vermocht
Besektrski, ein Virtuos aus der französischen Schule, mit Bruch's Violincon¬
cert nicht durchzugreisen.

Eine unerwartete Concurrenz drohte den Philharmonikern in dieser Saison
im eigenen Hause, zu der sie sich noch selber ausspielen mußten. Die Direk¬
tion des Operntheaters hatte zur Förderung des Privatpensionsfonds vier
Abonnement-Concerte unter Herbecks Leitung angeordnet und obendrein
im neuen Gebäude. Ein mehrseitig erwarteter Abfall des Publicums von


der neueste „Lehrplan" und das „Grundverfassungs-Statut sammt Vollzugs¬
vorschrift" die nähere Aufklärung.

Reicher Besuch und Beifall lohnte auch in dieser Saison die trefflichen
Leitungen der Philharmoniker, die wie alljährlich acht Concerte unter
Otto Dessosf's tüchtiger Leitung veranstalteten. Unter den Ouvertüren er¬
weckten Benvenuto Cellini, Leonore Ur. 1 und Iwan IV. besonderes Interesse.
Erstere ist in Berlioz' bekannter raffinirter Weise aufgebaut; Beethovens erste
Leonoren-Ouverture ruhte hier seit der ersten Aufführung im I. 1803, bis
sie die lüonoerts spiritusls im I. 1845 wieder hervorsuchten. Iwan IV., ein
musikalisches Charakterbild von Rubinstein, ist mit Aufgebot aller neueren
Orchestermittel etwas gedehnt aber effectvoll gearbeitet. Wohl die meisten
Zuhörer mögen neugierig im Leben dieses russischen Tyrannen dem Commen-
tar zu dieser starkgewürzten Composition nachgespürt' haben. Das Feld
der Symphonien behaupteten Haydn (L-aur). Mozart (6-mvlI), Beethoven
(5. u. 7.) Mendelssohn (^-nur), Schumann (2. 4. u. die Lsätzige), Rubinstein
und Bruch. Haydn's „1a reine as ?rares^ ist eine der sechs für die Pariser
Ooneerts as 1a loZs olMMuk componirter Symphonien. Rubinsteins
„Ocean-Symphonie", zum zweitenmal hier aufgeführt, sprach nur theilweise
an. Neu war das Werk von Bruch, dem aber diesmal kein günstiger Stern
leuchtete. Lachners Suite Ur. S kommt ihren Vorgängern nicht gleich^ eine
Serenade in v-aur von Brahms (der selbst dirigirte) fand sehr warme Auf¬
nahme. Man kann ihr ein starkes Anlehnen an Beethovens Pastorat-Sym-
phonie und ein mitunter grübelndes Sichgehenlassen vorwerfen, im Ganzen
aber bietet sie eine reiche Ausbeute an feinen geistreichen Zügen. Zwei Con¬
certe für Streichorchester von Händel und Bach, Werke voll urwüchsiger Kraft,
packten gewaltig. Bach's Passacaglia, von Esser instrumentirt. und Webers
„Aufforderung zum Tanz" wurden glänzend ausgeführt. (Daß man bei
Letzteren dem heftigen Daeaporuf nicht Folge leistete, zeigte von richtigem
Tact.) Der edle Vortrag des Violineoncerts von Beethoven brachte dem
wackern, jetzt meist in England lebenden Virtuosen L.Strauß, einem Wiener
und Schüler Böhm's reichlichen Beifall. Nicht minder gefiel der Wiener
Pianist A. Door, jetzt Professor am Conservatorium, durch seinen frischen
brillanten Vortrag des Hiller'schen ^is-moll Concerts. Dagegen vermocht
Besektrski, ein Virtuos aus der französischen Schule, mit Bruch's Violincon¬
cert nicht durchzugreisen.

Eine unerwartete Concurrenz drohte den Philharmonikern in dieser Saison
im eigenen Hause, zu der sie sich noch selber ausspielen mußten. Die Direk¬
tion des Operntheaters hatte zur Förderung des Privatpensionsfonds vier
Abonnement-Concerte unter Herbecks Leitung angeordnet und obendrein
im neuen Gebäude. Ein mehrseitig erwarteter Abfall des Publicums von


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[0461] der neueste „Lehrplan" und das „Grundverfassungs-Statut sammt Vollzugs¬ vorschrift" die nähere Aufklärung. Reicher Besuch und Beifall lohnte auch in dieser Saison die trefflichen Leitungen der Philharmoniker, die wie alljährlich acht Concerte unter Otto Dessosf's tüchtiger Leitung veranstalteten. Unter den Ouvertüren er¬ weckten Benvenuto Cellini, Leonore Ur. 1 und Iwan IV. besonderes Interesse. Erstere ist in Berlioz' bekannter raffinirter Weise aufgebaut; Beethovens erste Leonoren-Ouverture ruhte hier seit der ersten Aufführung im I. 1803, bis sie die lüonoerts spiritusls im I. 1845 wieder hervorsuchten. Iwan IV., ein musikalisches Charakterbild von Rubinstein, ist mit Aufgebot aller neueren Orchestermittel etwas gedehnt aber effectvoll gearbeitet. Wohl die meisten Zuhörer mögen neugierig im Leben dieses russischen Tyrannen dem Commen- tar zu dieser starkgewürzten Composition nachgespürt' haben. Das Feld der Symphonien behaupteten Haydn (L-aur). Mozart (6-mvlI), Beethoven (5. u. 7.) Mendelssohn (^-nur), Schumann (2. 4. u. die Lsätzige), Rubinstein und Bruch. Haydn's „1a reine as ?rares^ ist eine der sechs für die Pariser Ooneerts as 1a loZs olMMuk componirter Symphonien. Rubinsteins „Ocean-Symphonie", zum zweitenmal hier aufgeführt, sprach nur theilweise an. Neu war das Werk von Bruch, dem aber diesmal kein günstiger Stern leuchtete. Lachners Suite Ur. S kommt ihren Vorgängern nicht gleich^ eine Serenade in v-aur von Brahms (der selbst dirigirte) fand sehr warme Auf¬ nahme. Man kann ihr ein starkes Anlehnen an Beethovens Pastorat-Sym- phonie und ein mitunter grübelndes Sichgehenlassen vorwerfen, im Ganzen aber bietet sie eine reiche Ausbeute an feinen geistreichen Zügen. Zwei Con¬ certe für Streichorchester von Händel und Bach, Werke voll urwüchsiger Kraft, packten gewaltig. Bach's Passacaglia, von Esser instrumentirt. und Webers „Aufforderung zum Tanz" wurden glänzend ausgeführt. (Daß man bei Letzteren dem heftigen Daeaporuf nicht Folge leistete, zeigte von richtigem Tact.) Der edle Vortrag des Violineoncerts von Beethoven brachte dem wackern, jetzt meist in England lebenden Virtuosen L.Strauß, einem Wiener und Schüler Böhm's reichlichen Beifall. Nicht minder gefiel der Wiener Pianist A. Door, jetzt Professor am Conservatorium, durch seinen frischen brillanten Vortrag des Hiller'schen ^is-moll Concerts. Dagegen vermocht Besektrski, ein Virtuos aus der französischen Schule, mit Bruch's Violincon¬ cert nicht durchzugreisen. Eine unerwartete Concurrenz drohte den Philharmonikern in dieser Saison im eigenen Hause, zu der sie sich noch selber ausspielen mußten. Die Direk¬ tion des Operntheaters hatte zur Förderung des Privatpensionsfonds vier Abonnement-Concerte unter Herbecks Leitung angeordnet und obendrein im neuen Gebäude. Ein mehrseitig erwarteter Abfall des Publicums von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/461>, abgerufen am 18.12.2024.