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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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der Spitze von drei Beamten naturwissenschaftlicher Sammlungen, die bei der
allgemeinen Reducirung im Jahre 1867 hart betroffen wurden (von 14.000
auf 4000 si.!) in einer Audienz beim Kaiser betteln muß, daß diese barbari¬
sche Verfügung zurückgenommen werde.

Noch in seinen Flittermonaten erlitt der Verein einen schweren Verlust:
Hofkapellmeister Herd cet, der treffliche Leiter der Concerte, dem dieselben zu¬
gleich ihren schönsten Schmuck, "den Singverein" verdanken, legte am Ende
der Saison den Dirigentenstab nieder, um seine Kräfte fortan nur der Oper
und der Kirche zu widmen. -- Ueber die diesjährigen Gesellschafts-Concerte
gestattet der Raum nur wenig zu sagen. Zur Aufführung kamen Symphonien
von Beethoven (O-woll), Haydn (S-moIl), Mendelssohn (üetormat.), Schubert
(lZ-moll); Clavierphantasie von Rubinstein und dessen geistliche Oper "der
Thurm zu Babel"; Fantasie für Clavier und Chor von Beethoven (von
Epstein vortrefflich gespielt), einige Vocalchöre, Mendelssohns 43. Psalm,
"Paradies und Perl" von Schumann und "Elias" von Mendelssohn. Ru¬
binstein spielte selbst meisterhaft sein effectvolles Concert und dirigirte sein,
durch manche Schönheiten sich auszeichnendes Werk. Der große und kleine
Saal, beide in ihren Raumverhältnissen den jetzigen Anforderungen ent¬
sprechend, bewährten bei allen Concertaufführungen eine vorzügliche Akustik,
die jedenfalls ihren schönsten Schmuck bildet; die Ventilation ist dagegen bei
beiden nicht die beste.

Das Conservatorium, Jahrzehnte eingepfercht in unpassende Loca-
litäten, sieht sich nun seiner Fesseln entledigt und hat begonnen, sich reicher
zu entfalten. Es wirken an demselben im Augenblick 29 Professoren; durch
die zuletzt Eingetretenen ist nun auch die Harfe. Orgel, Geschichte der Musik
sowie Declamation und Mimik vertreten. Die Ergänzung einer tüchtigen
Kraft im Gesangsfache wäre dem Institute sehr zu wünschen, dagegen eine
theilweise Beschränkung in den unteren Clavier-Classen. Auffallend ist der
fortwährende Mangel an Leistungen in Gesangscompositionen. Die Zahl
der Schüler beträgt gegenwärtig über 800, unter ihnen manches vielverspre¬
chende Talent. Die Zöglinge gaben unlängst unter Leitung ihres Directors
Josef Hellmesberger in zwei Concerten (die eigentlichen Prüfungen finden erst
später statt) Zeugniß ihrer Fähigkeiten und bewiesen namentlich im Orchester-
Zusammenspiel auch dieses Jahr eine achtungswerthe Tüchtigkeit. Im Solo¬
spiel war nur das Clavier durch einen Schüler vertreten. Der Chorgesang
wird wohl in der Folge nicht fehlen. Der erste Versuch mit Vorstellungen
von Opern-Fragmenten mit Scenerie und im Costüm fiel sehr befriedigend
aus. In Scenen aus Freischütz lernten die Zuhörer einige begabte Schüle¬
rinnen kennen. Engagement-Anträge für Bühnen werden hier nicht lange auf
sich warten lasse". Ueber die gegenwärtige Einrichtung des Instituts gibt


der Spitze von drei Beamten naturwissenschaftlicher Sammlungen, die bei der
allgemeinen Reducirung im Jahre 1867 hart betroffen wurden (von 14.000
auf 4000 si.!) in einer Audienz beim Kaiser betteln muß, daß diese barbari¬
sche Verfügung zurückgenommen werde.

Noch in seinen Flittermonaten erlitt der Verein einen schweren Verlust:
Hofkapellmeister Herd cet, der treffliche Leiter der Concerte, dem dieselben zu¬
gleich ihren schönsten Schmuck, „den Singverein" verdanken, legte am Ende
der Saison den Dirigentenstab nieder, um seine Kräfte fortan nur der Oper
und der Kirche zu widmen. — Ueber die diesjährigen Gesellschafts-Concerte
gestattet der Raum nur wenig zu sagen. Zur Aufführung kamen Symphonien
von Beethoven (O-woll), Haydn (S-moIl), Mendelssohn (üetormat.), Schubert
(lZ-moll); Clavierphantasie von Rubinstein und dessen geistliche Oper „der
Thurm zu Babel"; Fantasie für Clavier und Chor von Beethoven (von
Epstein vortrefflich gespielt), einige Vocalchöre, Mendelssohns 43. Psalm,
„Paradies und Perl" von Schumann und „Elias" von Mendelssohn. Ru¬
binstein spielte selbst meisterhaft sein effectvolles Concert und dirigirte sein,
durch manche Schönheiten sich auszeichnendes Werk. Der große und kleine
Saal, beide in ihren Raumverhältnissen den jetzigen Anforderungen ent¬
sprechend, bewährten bei allen Concertaufführungen eine vorzügliche Akustik,
die jedenfalls ihren schönsten Schmuck bildet; die Ventilation ist dagegen bei
beiden nicht die beste.

Das Conservatorium, Jahrzehnte eingepfercht in unpassende Loca-
litäten, sieht sich nun seiner Fesseln entledigt und hat begonnen, sich reicher
zu entfalten. Es wirken an demselben im Augenblick 29 Professoren; durch
die zuletzt Eingetretenen ist nun auch die Harfe. Orgel, Geschichte der Musik
sowie Declamation und Mimik vertreten. Die Ergänzung einer tüchtigen
Kraft im Gesangsfache wäre dem Institute sehr zu wünschen, dagegen eine
theilweise Beschränkung in den unteren Clavier-Classen. Auffallend ist der
fortwährende Mangel an Leistungen in Gesangscompositionen. Die Zahl
der Schüler beträgt gegenwärtig über 800, unter ihnen manches vielverspre¬
chende Talent. Die Zöglinge gaben unlängst unter Leitung ihres Directors
Josef Hellmesberger in zwei Concerten (die eigentlichen Prüfungen finden erst
später statt) Zeugniß ihrer Fähigkeiten und bewiesen namentlich im Orchester-
Zusammenspiel auch dieses Jahr eine achtungswerthe Tüchtigkeit. Im Solo¬
spiel war nur das Clavier durch einen Schüler vertreten. Der Chorgesang
wird wohl in der Folge nicht fehlen. Der erste Versuch mit Vorstellungen
von Opern-Fragmenten mit Scenerie und im Costüm fiel sehr befriedigend
aus. In Scenen aus Freischütz lernten die Zuhörer einige begabte Schüle¬
rinnen kennen. Engagement-Anträge für Bühnen werden hier nicht lange auf
sich warten lasse«. Ueber die gegenwärtige Einrichtung des Instituts gibt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/460>, abgerufen am 18.12.2024.