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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Boschetti, Tellheim, Gindel<, und vielleicht in Bälde Minnie Hauck. Müller,
Pirk, Campe, Mayerhofer und Hablawetz ein ganz tüchtiges Ensemble. Aber
da tritt die im Eingang berührte Frage auf und verweist abermals auf ein
zweites ausschließlich der Spieloper einzuräumendes mittelgroßes Haus.

Im Orchester und Chor haben bedeutende Veränderungen stattgefunden.
Ein großer Theil der älteren Mitglieder wurde pensionirt und durch zahl¬
reiche neue Kräfte ersetzt. Die wichtigste Veränderung geschah im Orchester.
Hofcapellmeister Herd cet wurde im August 1869 "zur Theilnahme an der
Leitung der musikalischen Angelegenheiten des Hofoperntheaters" berufen und
dirigirte am 16. October vorigen Jahres in seiner neuen Eigenschaft zum
erstenmale. Eine sich von selbst ergebende Folge war, daß der verdienstvolle
bisherige erste Dirigent und musikalische Betrath, Heinrich Esser, aus Ge"
sundheitsrücksichten sich von der Leitung zurückzog und in Pension trat. Er
hat sich nun in Salzburg niedergelassen. Herbeck aber wurde, noch ehe sein
Probejahr abgelaufen war, am 18. April d. I. definitiv "zum musikalischen
Beirath und Director der Musikcapelle am k. k. Hofoperntheater" ernannt.
Die nächste Zeit wird zeigen, wie weit die Verhältnisse es gestatten, das Her¬
beck und Dingelstedt Hand in Hand gehen und wie weit die Macht des
Ersteren reicht. Herbeck hat große Verpflichtungen übernommen, denn er muß
Bedeutendes leisten, damit das Publicum einen Ersatz findet für den Verlust,
den es durch seinen Rücktritt aus dem Concertsaal erlitten hat. Möchte er
aber auch einen wohlgemeinten Warnungsruf bei Zeiten beherzigend seinen
Kräften nicht allzuviel zumuthen, denn er hat bisher, sei es nun die ein¬
fache Mignon oder die schwerwuchtenden Meistersinger, mit einer Leiden¬
schaft dirigirt, bei der auch der eisernste Körper sich vor der Zeit aus¬
reiben muß.

Ueber die Vorstadttheater, so weit sie sich mit der Oper oder Operette
befassen, ist wenig zu sagen. Es verdienen hier nur die zwei größten, das
Theater an der Wien und das Carltheater in der Leopoldstadt der Erwäh¬
nung. Beide halten zu Offenbach und ersteres zehrt fast ausschließlich von
ihm. Daselbst finden Perichole, die Großherzogin, Blaubart, die schöne
Helena, Orpheus, die Banditen noch immer ihr Publicum, und eine glänzende
Ausstattung thut das Ihrige, der großen Menge über den eigentlichen Werth
der Musik nicht viel Zeit zum Nachdenken zu lassen. Die Großherzogin
und schöne Helena haben längst schon die hundertste Vorstellung hinter sich;
jede zwanzigste Vorstellung kommt dem Componisten zu Gute. Es muß ihm
somit schon dies einzige Theater einen schönen Ertrag abwerfen. Wie be¬
scheiden klingt dagegen die Großmuth einer Direction, welche im Jahre 1812
dem herabgekommenen Emmanuel Schikaneder von der Einnahme jeder
Aufführung der Zauberflöte vier Procente aus Lebenslang bewilligte. Dies


Boschetti, Tellheim, Gindel<, und vielleicht in Bälde Minnie Hauck. Müller,
Pirk, Campe, Mayerhofer und Hablawetz ein ganz tüchtiges Ensemble. Aber
da tritt die im Eingang berührte Frage auf und verweist abermals auf ein
zweites ausschließlich der Spieloper einzuräumendes mittelgroßes Haus.

Im Orchester und Chor haben bedeutende Veränderungen stattgefunden.
Ein großer Theil der älteren Mitglieder wurde pensionirt und durch zahl¬
reiche neue Kräfte ersetzt. Die wichtigste Veränderung geschah im Orchester.
Hofcapellmeister Herd cet wurde im August 1869 „zur Theilnahme an der
Leitung der musikalischen Angelegenheiten des Hofoperntheaters" berufen und
dirigirte am 16. October vorigen Jahres in seiner neuen Eigenschaft zum
erstenmale. Eine sich von selbst ergebende Folge war, daß der verdienstvolle
bisherige erste Dirigent und musikalische Betrath, Heinrich Esser, aus Ge»
sundheitsrücksichten sich von der Leitung zurückzog und in Pension trat. Er
hat sich nun in Salzburg niedergelassen. Herbeck aber wurde, noch ehe sein
Probejahr abgelaufen war, am 18. April d. I. definitiv „zum musikalischen
Beirath und Director der Musikcapelle am k. k. Hofoperntheater" ernannt.
Die nächste Zeit wird zeigen, wie weit die Verhältnisse es gestatten, das Her¬
beck und Dingelstedt Hand in Hand gehen und wie weit die Macht des
Ersteren reicht. Herbeck hat große Verpflichtungen übernommen, denn er muß
Bedeutendes leisten, damit das Publicum einen Ersatz findet für den Verlust,
den es durch seinen Rücktritt aus dem Concertsaal erlitten hat. Möchte er
aber auch einen wohlgemeinten Warnungsruf bei Zeiten beherzigend seinen
Kräften nicht allzuviel zumuthen, denn er hat bisher, sei es nun die ein¬
fache Mignon oder die schwerwuchtenden Meistersinger, mit einer Leiden¬
schaft dirigirt, bei der auch der eisernste Körper sich vor der Zeit aus¬
reiben muß.

Ueber die Vorstadttheater, so weit sie sich mit der Oper oder Operette
befassen, ist wenig zu sagen. Es verdienen hier nur die zwei größten, das
Theater an der Wien und das Carltheater in der Leopoldstadt der Erwäh¬
nung. Beide halten zu Offenbach und ersteres zehrt fast ausschließlich von
ihm. Daselbst finden Perichole, die Großherzogin, Blaubart, die schöne
Helena, Orpheus, die Banditen noch immer ihr Publicum, und eine glänzende
Ausstattung thut das Ihrige, der großen Menge über den eigentlichen Werth
der Musik nicht viel Zeit zum Nachdenken zu lassen. Die Großherzogin
und schöne Helena haben längst schon die hundertste Vorstellung hinter sich;
jede zwanzigste Vorstellung kommt dem Componisten zu Gute. Es muß ihm
somit schon dies einzige Theater einen schönen Ertrag abwerfen. Wie be¬
scheiden klingt dagegen die Großmuth einer Direction, welche im Jahre 1812
dem herabgekommenen Emmanuel Schikaneder von der Einnahme jeder
Aufführung der Zauberflöte vier Procente aus Lebenslang bewilligte. Dies


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[0456] Boschetti, Tellheim, Gindel<, und vielleicht in Bälde Minnie Hauck. Müller, Pirk, Campe, Mayerhofer und Hablawetz ein ganz tüchtiges Ensemble. Aber da tritt die im Eingang berührte Frage auf und verweist abermals auf ein zweites ausschließlich der Spieloper einzuräumendes mittelgroßes Haus. Im Orchester und Chor haben bedeutende Veränderungen stattgefunden. Ein großer Theil der älteren Mitglieder wurde pensionirt und durch zahl¬ reiche neue Kräfte ersetzt. Die wichtigste Veränderung geschah im Orchester. Hofcapellmeister Herd cet wurde im August 1869 „zur Theilnahme an der Leitung der musikalischen Angelegenheiten des Hofoperntheaters" berufen und dirigirte am 16. October vorigen Jahres in seiner neuen Eigenschaft zum erstenmale. Eine sich von selbst ergebende Folge war, daß der verdienstvolle bisherige erste Dirigent und musikalische Betrath, Heinrich Esser, aus Ge» sundheitsrücksichten sich von der Leitung zurückzog und in Pension trat. Er hat sich nun in Salzburg niedergelassen. Herbeck aber wurde, noch ehe sein Probejahr abgelaufen war, am 18. April d. I. definitiv „zum musikalischen Beirath und Director der Musikcapelle am k. k. Hofoperntheater" ernannt. Die nächste Zeit wird zeigen, wie weit die Verhältnisse es gestatten, das Her¬ beck und Dingelstedt Hand in Hand gehen und wie weit die Macht des Ersteren reicht. Herbeck hat große Verpflichtungen übernommen, denn er muß Bedeutendes leisten, damit das Publicum einen Ersatz findet für den Verlust, den es durch seinen Rücktritt aus dem Concertsaal erlitten hat. Möchte er aber auch einen wohlgemeinten Warnungsruf bei Zeiten beherzigend seinen Kräften nicht allzuviel zumuthen, denn er hat bisher, sei es nun die ein¬ fache Mignon oder die schwerwuchtenden Meistersinger, mit einer Leiden¬ schaft dirigirt, bei der auch der eisernste Körper sich vor der Zeit aus¬ reiben muß. Ueber die Vorstadttheater, so weit sie sich mit der Oper oder Operette befassen, ist wenig zu sagen. Es verdienen hier nur die zwei größten, das Theater an der Wien und das Carltheater in der Leopoldstadt der Erwäh¬ nung. Beide halten zu Offenbach und ersteres zehrt fast ausschließlich von ihm. Daselbst finden Perichole, die Großherzogin, Blaubart, die schöne Helena, Orpheus, die Banditen noch immer ihr Publicum, und eine glänzende Ausstattung thut das Ihrige, der großen Menge über den eigentlichen Werth der Musik nicht viel Zeit zum Nachdenken zu lassen. Die Großherzogin und schöne Helena haben längst schon die hundertste Vorstellung hinter sich; jede zwanzigste Vorstellung kommt dem Componisten zu Gute. Es muß ihm somit schon dies einzige Theater einen schönen Ertrag abwerfen. Wie be¬ scheiden klingt dagegen die Großmuth einer Direction, welche im Jahre 1812 dem herabgekommenen Emmanuel Schikaneder von der Einnahme jeder Aufführung der Zauberflöte vier Procente aus Lebenslang bewilligte. Dies

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/456>, abgerufen am 18.12.2024.