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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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dem wahren Künstler etwas werth ist; nur beim Loslegen und endlosen
Aushalten einzelner Töne läßt der gröbere Haufen sich noch zu lautem Bei¬
fall herbei. -- Indem man einzelnen Vorstellungen besondere Sorgfalt zu¬
wendet, kommen Abende vor, wie sie Theater zweiten und dritten Rangs
kaum zu bieten wagen würden; ich denke z. B. an Freischütz (im alten Haus
mit Pirk und Hrabaneck), Nachtwandlerin (mit Frau Bognar), Fra Diavolo.
Auch der Prophet, seit zehn Jahren eine Schattenpartie dieser Bühne, gehört
hierher. Trotz dem großen Personale, mit dem viele Rollen zwei- und drei¬
mal besetzt werden können, hat man es seit Jahren nicht dazu gebracht,
einen Barbier von Sevilla, oder einen Rienzi ausführen zu können. Manche
Componisten wie Marschner, Spohr, Boieldieu, Cherubini scheinen ganz
vergessen; auch hat Weber noch andere Opern als den Freischütz geschrieben.
Die Entführung aus dem Serail, Hans Helling, Wasserträger, fliegender
Holländer (letzten drei mit Beck) wurden zwar in Aussicht gestellt, kamen
aber nicht. Medea. auf welche von mehreren Seiten wiederholt aufmerksam
gemacht wurde, wird in London nun seit Jahren mit großem Beifall auf¬
geführt; sie würde der ganzen jetzt lebenden Generation wie eine neue
Oper entgegentreten und könnte vortrefflich besetzt werden. Ein Institut,
das sich ein kaiserliches nennt, sollte auch von Zeit zu Zeit dem guten Ge¬
schmack ein Opfer bringen durch Opern, die, wenn sie auch nicht die Casse
füllen, doch indirect ihr Gutes wirken, denn auch auf die Sänger muß das
ewige Einerlei des Programms nachtheilig wirken. Sie alle würden eine
größere Abwechslung einer verblaßten Norma oder Martha vorziehen. Novi¬
täten gehören nachgerade zu den Seltenheiten. Seit Beginn 1867 wurden
in langen Zwischenräumen nur Romeo, Mignon, das Landhaus und die
Meistersinger aufgeführt. Nun betrachte man dagegen z. B. Leipzig, das in
Einem Jahre Idomeneo, Hamlet, Mignon, Rienzi, Medea. König Manfred.
Haideschacht brachte. Auch die Wiener Oper hatte ihre guten Zeiten. So
wurden in dem einzigen Jahre 1849 unter Holbeins Direction neu ge¬
geben: Templer und Juden. Krondiamanten, Hernani (nat. 1844), Linda
(nat. 1842), die Barcarole, Maria von Rohan (nat. 1843), der schwarze
Domino, der Blitz, die Zigeunerin, Hayde'e, Jolanthe, Macbeth, nebst drei
neuen Balletten, und wurde auch noch Titus neu in Scene gesetzt -- eine
Ausbeute, die nach heutigem Muster mindestens auf fünf Jahre ausreichen
müßte. (Staudigl und Draxler waren damals die einzigen Bassisten, Ander
und Erl die ersten Tenoristen). -- Seit Jahren kränkelt die große Spieloper,
einzelne Anläufe brachten sie nicht weiter. Mignon, Fra Diavolo, der Po¬
stillon, Martha, die lustigen Weiber waren die ganze Ausbeute der letzten
Jahre. Das Personale wäre bald ergänzt. Einstweilen böten Rabatinskv,


Grenzboten II. 1870, 67

dem wahren Künstler etwas werth ist; nur beim Loslegen und endlosen
Aushalten einzelner Töne läßt der gröbere Haufen sich noch zu lautem Bei¬
fall herbei. — Indem man einzelnen Vorstellungen besondere Sorgfalt zu¬
wendet, kommen Abende vor, wie sie Theater zweiten und dritten Rangs
kaum zu bieten wagen würden; ich denke z. B. an Freischütz (im alten Haus
mit Pirk und Hrabaneck), Nachtwandlerin (mit Frau Bognar), Fra Diavolo.
Auch der Prophet, seit zehn Jahren eine Schattenpartie dieser Bühne, gehört
hierher. Trotz dem großen Personale, mit dem viele Rollen zwei- und drei¬
mal besetzt werden können, hat man es seit Jahren nicht dazu gebracht,
einen Barbier von Sevilla, oder einen Rienzi ausführen zu können. Manche
Componisten wie Marschner, Spohr, Boieldieu, Cherubini scheinen ganz
vergessen; auch hat Weber noch andere Opern als den Freischütz geschrieben.
Die Entführung aus dem Serail, Hans Helling, Wasserträger, fliegender
Holländer (letzten drei mit Beck) wurden zwar in Aussicht gestellt, kamen
aber nicht. Medea. auf welche von mehreren Seiten wiederholt aufmerksam
gemacht wurde, wird in London nun seit Jahren mit großem Beifall auf¬
geführt; sie würde der ganzen jetzt lebenden Generation wie eine neue
Oper entgegentreten und könnte vortrefflich besetzt werden. Ein Institut,
das sich ein kaiserliches nennt, sollte auch von Zeit zu Zeit dem guten Ge¬
schmack ein Opfer bringen durch Opern, die, wenn sie auch nicht die Casse
füllen, doch indirect ihr Gutes wirken, denn auch auf die Sänger muß das
ewige Einerlei des Programms nachtheilig wirken. Sie alle würden eine
größere Abwechslung einer verblaßten Norma oder Martha vorziehen. Novi¬
täten gehören nachgerade zu den Seltenheiten. Seit Beginn 1867 wurden
in langen Zwischenräumen nur Romeo, Mignon, das Landhaus und die
Meistersinger aufgeführt. Nun betrachte man dagegen z. B. Leipzig, das in
Einem Jahre Idomeneo, Hamlet, Mignon, Rienzi, Medea. König Manfred.
Haideschacht brachte. Auch die Wiener Oper hatte ihre guten Zeiten. So
wurden in dem einzigen Jahre 1849 unter Holbeins Direction neu ge¬
geben: Templer und Juden. Krondiamanten, Hernani (nat. 1844), Linda
(nat. 1842), die Barcarole, Maria von Rohan (nat. 1843), der schwarze
Domino, der Blitz, die Zigeunerin, Hayde'e, Jolanthe, Macbeth, nebst drei
neuen Balletten, und wurde auch noch Titus neu in Scene gesetzt — eine
Ausbeute, die nach heutigem Muster mindestens auf fünf Jahre ausreichen
müßte. (Staudigl und Draxler waren damals die einzigen Bassisten, Ander
und Erl die ersten Tenoristen). — Seit Jahren kränkelt die große Spieloper,
einzelne Anläufe brachten sie nicht weiter. Mignon, Fra Diavolo, der Po¬
stillon, Martha, die lustigen Weiber waren die ganze Ausbeute der letzten
Jahre. Das Personale wäre bald ergänzt. Einstweilen böten Rabatinskv,


Grenzboten II. 1870, 67
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/455>, abgerufen am 01.09.2024.