Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

unterschiedslosen drei Kreuze verdrängt. Endlich wird, u. a. bei Häusern
und Bauerhöfen, die den Beamten bequemere Zahl an die Stelle der "Hiero¬
glyphen" gesetzt. Seit Menschengedenken nimmt man noch deutlicher die
Weise des Schwindens wahr. Die schreibenskundige jüngere Generation ver¬
schmäht das alte Handzeichen; die Theilung der Gemeinweiden und -Wiesen
überhebt des besondern Martens des Viehes, macht die Loosstäbchen zum
jährlichen Verkaveln entbehrlich. Beim Umbau stellt man das mystische
Zeichen am Hausbällen nicht wieder her; das Wegbrechen der Frontgiebel,
der Wangelsteine vor den Thüren, die Entfernung der Grabsteine aus den
Kirchen verwischt das Andenken auch der früheren Sitte.

Dennoch zeigen selbst heutigen Tages und zwar auch in deutschen
Landen nicht wenige Orte die Spuren vormaligen Gebrauches. Die Bau¬
werke des Mittelalters, die Dome zu Freiburg, Halberstadt, Hildesheim,
Magdeburg, Merseburg, Regensburg, Strasburg; Palatia wie die Kaiser¬
pfalz bei Gelnhausen, die Moritzburg bei Halle; Brücken gleich der über die
Moldau in Prag, über die Mosel bei Coblenz bieten uns noch Baumeister¬
oder Steinmetzzeichen bis zu Hunderten dar. Die Gänge der Kirchen z. B.
von Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund, Greifswald, Danzig sind noch
mit Hausmarken auf den Leichensteinen bedeckt; alte Häuser in Hildesheim,
Zürich, Göttingen, Erfurt, Goslar, Münster, Osnabrück tragen sie gleich¬
falls.

Ja der zähere Sinn unsers Landvolks hat die Sitte der Vorfahren,
wenn auch dem flüchtigern Beobachter verborgen, noch in bewußter frischer
Uebung erhalten. So lebt sie in vielen Thälern der Schweiz bis in den
Berner Jura hinein, selbst in dem deutschen Alagna südlich vom Monte-
rosa, in Tirol, Steiermark, dem bayerischen Hochgebirge; andrerseits auf
den nördlichen Eilanden von Rums bei Riga bis zur Küste Schleswigs.
Den Bauerhöfen in der Umgebung von Danzig und Elbing dient die Hof¬
marke noch zur Bezeichnung des todten und lebendigen Inventars, ferner
des Kirchenstuhls und der Erbbegräbnisse; in der Gegend von Mewe wird
das Hofzeichen zu den Hypothekenakten vermerkt. Die 16 Bauerhöfe zu
Praust bei Danzig haben folgende Marken mit Formen ältern und neuern
Stils ö^^8S5^5^- - Zwischen
Danzig und Marienburg sowie auf den Dohna'schen Gütern (Kreis Holland)
regulirt eine Tafel der sämmtlichen Hofmarken beim Schulzen die Gemeinde¬
leistungen (Zechen), ähnlich zu Schweinschied bei Meisenheim und zu Münster
in Overwallis die Gemeindenuyungen. Auf der Rügianischen Halbinsel
Mönchgut sieht man das Hauszeichen nicht nur an dem Fischergercith, son¬
dern auch auf Urkunden neuester Zeit. Die Bauermarken tragen hier meist
noch die Form von Binderunen, z. B. ^ 1^ ^ ^ ^ 5- -- In Mentler-


unterschiedslosen drei Kreuze verdrängt. Endlich wird, u. a. bei Häusern
und Bauerhöfen, die den Beamten bequemere Zahl an die Stelle der „Hiero¬
glyphen" gesetzt. Seit Menschengedenken nimmt man noch deutlicher die
Weise des Schwindens wahr. Die schreibenskundige jüngere Generation ver¬
schmäht das alte Handzeichen; die Theilung der Gemeinweiden und -Wiesen
überhebt des besondern Martens des Viehes, macht die Loosstäbchen zum
jährlichen Verkaveln entbehrlich. Beim Umbau stellt man das mystische
Zeichen am Hausbällen nicht wieder her; das Wegbrechen der Frontgiebel,
der Wangelsteine vor den Thüren, die Entfernung der Grabsteine aus den
Kirchen verwischt das Andenken auch der früheren Sitte.

Dennoch zeigen selbst heutigen Tages und zwar auch in deutschen
Landen nicht wenige Orte die Spuren vormaligen Gebrauches. Die Bau¬
werke des Mittelalters, die Dome zu Freiburg, Halberstadt, Hildesheim,
Magdeburg, Merseburg, Regensburg, Strasburg; Palatia wie die Kaiser¬
pfalz bei Gelnhausen, die Moritzburg bei Halle; Brücken gleich der über die
Moldau in Prag, über die Mosel bei Coblenz bieten uns noch Baumeister¬
oder Steinmetzzeichen bis zu Hunderten dar. Die Gänge der Kirchen z. B.
von Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund, Greifswald, Danzig sind noch
mit Hausmarken auf den Leichensteinen bedeckt; alte Häuser in Hildesheim,
Zürich, Göttingen, Erfurt, Goslar, Münster, Osnabrück tragen sie gleich¬
falls.

Ja der zähere Sinn unsers Landvolks hat die Sitte der Vorfahren,
wenn auch dem flüchtigern Beobachter verborgen, noch in bewußter frischer
Uebung erhalten. So lebt sie in vielen Thälern der Schweiz bis in den
Berner Jura hinein, selbst in dem deutschen Alagna südlich vom Monte-
rosa, in Tirol, Steiermark, dem bayerischen Hochgebirge; andrerseits auf
den nördlichen Eilanden von Rums bei Riga bis zur Küste Schleswigs.
Den Bauerhöfen in der Umgebung von Danzig und Elbing dient die Hof¬
marke noch zur Bezeichnung des todten und lebendigen Inventars, ferner
des Kirchenstuhls und der Erbbegräbnisse; in der Gegend von Mewe wird
das Hofzeichen zu den Hypothekenakten vermerkt. Die 16 Bauerhöfe zu
Praust bei Danzig haben folgende Marken mit Formen ältern und neuern
Stils ö^^8S5^5^- - Zwischen
Danzig und Marienburg sowie auf den Dohna'schen Gütern (Kreis Holland)
regulirt eine Tafel der sämmtlichen Hofmarken beim Schulzen die Gemeinde¬
leistungen (Zechen), ähnlich zu Schweinschied bei Meisenheim und zu Münster
in Overwallis die Gemeindenuyungen. Auf der Rügianischen Halbinsel
Mönchgut sieht man das Hauszeichen nicht nur an dem Fischergercith, son¬
dern auch auf Urkunden neuester Zeit. Die Bauermarken tragen hier meist
noch die Form von Binderunen, z. B. ^ 1^ ^ ^ ^ 5- — In Mentler-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0450" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124070"/>
          <p xml:id="ID_1353" prev="#ID_1352"> unterschiedslosen drei Kreuze verdrängt. Endlich wird, u. a. bei Häusern<lb/>
und Bauerhöfen, die den Beamten bequemere Zahl an die Stelle der &#x201E;Hiero¬<lb/>
glyphen" gesetzt. Seit Menschengedenken nimmt man noch deutlicher die<lb/>
Weise des Schwindens wahr. Die schreibenskundige jüngere Generation ver¬<lb/>
schmäht das alte Handzeichen; die Theilung der Gemeinweiden und -Wiesen<lb/>
überhebt des besondern Martens des Viehes, macht die Loosstäbchen zum<lb/>
jährlichen Verkaveln entbehrlich. Beim Umbau stellt man das mystische<lb/>
Zeichen am Hausbällen nicht wieder her; das Wegbrechen der Frontgiebel,<lb/>
der Wangelsteine vor den Thüren, die Entfernung der Grabsteine aus den<lb/>
Kirchen verwischt das Andenken auch der früheren Sitte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1354"> Dennoch zeigen selbst heutigen Tages und zwar auch in deutschen<lb/>
Landen nicht wenige Orte die Spuren vormaligen Gebrauches. Die Bau¬<lb/>
werke des Mittelalters, die Dome zu Freiburg, Halberstadt, Hildesheim,<lb/>
Magdeburg, Merseburg, Regensburg, Strasburg; Palatia wie die Kaiser¬<lb/>
pfalz bei Gelnhausen, die Moritzburg bei Halle; Brücken gleich der über die<lb/>
Moldau in Prag, über die Mosel bei Coblenz bieten uns noch Baumeister¬<lb/>
oder Steinmetzzeichen bis zu Hunderten dar. Die Gänge der Kirchen z. B.<lb/>
von Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund, Greifswald, Danzig sind noch<lb/>
mit Hausmarken auf den Leichensteinen bedeckt; alte Häuser in Hildesheim,<lb/>
Zürich, Göttingen, Erfurt, Goslar, Münster, Osnabrück tragen sie gleich¬<lb/>
falls.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1355" next="#ID_1356"> Ja der zähere Sinn unsers Landvolks hat die Sitte der Vorfahren,<lb/>
wenn auch dem flüchtigern Beobachter verborgen, noch in bewußter frischer<lb/>
Uebung erhalten. So lebt sie in vielen Thälern der Schweiz bis in den<lb/>
Berner Jura hinein, selbst in dem deutschen Alagna südlich vom Monte-<lb/>
rosa, in Tirol, Steiermark, dem bayerischen Hochgebirge; andrerseits auf<lb/>
den nördlichen Eilanden von Rums bei Riga bis zur Küste Schleswigs.<lb/>
Den Bauerhöfen in der Umgebung von Danzig und Elbing dient die Hof¬<lb/>
marke noch zur Bezeichnung des todten und lebendigen Inventars, ferner<lb/>
des Kirchenstuhls und der Erbbegräbnisse; in der Gegend von Mewe wird<lb/>
das Hofzeichen zu den Hypothekenakten vermerkt. Die 16 Bauerhöfe zu<lb/>
Praust bei Danzig haben folgende Marken mit Formen ältern und neuern<lb/>
Stils ö^^8S5^5^- - Zwischen<lb/>
Danzig und Marienburg sowie auf den Dohna'schen Gütern (Kreis Holland)<lb/>
regulirt eine Tafel der sämmtlichen Hofmarken beim Schulzen die Gemeinde¬<lb/>
leistungen (Zechen), ähnlich zu Schweinschied bei Meisenheim und zu Münster<lb/>
in Overwallis die Gemeindenuyungen. Auf der Rügianischen Halbinsel<lb/>
Mönchgut sieht man das Hauszeichen nicht nur an dem Fischergercith, son¬<lb/>
dern auch auf Urkunden neuester Zeit. Die Bauermarken tragen hier meist<lb/>
noch die Form von Binderunen, z. B. ^ 1^ ^ ^ ^ 5- &#x2014; In Mentler-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0450] unterschiedslosen drei Kreuze verdrängt. Endlich wird, u. a. bei Häusern und Bauerhöfen, die den Beamten bequemere Zahl an die Stelle der „Hiero¬ glyphen" gesetzt. Seit Menschengedenken nimmt man noch deutlicher die Weise des Schwindens wahr. Die schreibenskundige jüngere Generation ver¬ schmäht das alte Handzeichen; die Theilung der Gemeinweiden und -Wiesen überhebt des besondern Martens des Viehes, macht die Loosstäbchen zum jährlichen Verkaveln entbehrlich. Beim Umbau stellt man das mystische Zeichen am Hausbällen nicht wieder her; das Wegbrechen der Frontgiebel, der Wangelsteine vor den Thüren, die Entfernung der Grabsteine aus den Kirchen verwischt das Andenken auch der früheren Sitte. Dennoch zeigen selbst heutigen Tages und zwar auch in deutschen Landen nicht wenige Orte die Spuren vormaligen Gebrauches. Die Bau¬ werke des Mittelalters, die Dome zu Freiburg, Halberstadt, Hildesheim, Magdeburg, Merseburg, Regensburg, Strasburg; Palatia wie die Kaiser¬ pfalz bei Gelnhausen, die Moritzburg bei Halle; Brücken gleich der über die Moldau in Prag, über die Mosel bei Coblenz bieten uns noch Baumeister¬ oder Steinmetzzeichen bis zu Hunderten dar. Die Gänge der Kirchen z. B. von Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund, Greifswald, Danzig sind noch mit Hausmarken auf den Leichensteinen bedeckt; alte Häuser in Hildesheim, Zürich, Göttingen, Erfurt, Goslar, Münster, Osnabrück tragen sie gleich¬ falls. Ja der zähere Sinn unsers Landvolks hat die Sitte der Vorfahren, wenn auch dem flüchtigern Beobachter verborgen, noch in bewußter frischer Uebung erhalten. So lebt sie in vielen Thälern der Schweiz bis in den Berner Jura hinein, selbst in dem deutschen Alagna südlich vom Monte- rosa, in Tirol, Steiermark, dem bayerischen Hochgebirge; andrerseits auf den nördlichen Eilanden von Rums bei Riga bis zur Küste Schleswigs. Den Bauerhöfen in der Umgebung von Danzig und Elbing dient die Hof¬ marke noch zur Bezeichnung des todten und lebendigen Inventars, ferner des Kirchenstuhls und der Erbbegräbnisse; in der Gegend von Mewe wird das Hofzeichen zu den Hypothekenakten vermerkt. Die 16 Bauerhöfe zu Praust bei Danzig haben folgende Marken mit Formen ältern und neuern Stils ö^^8S5^5^- - Zwischen Danzig und Marienburg sowie auf den Dohna'schen Gütern (Kreis Holland) regulirt eine Tafel der sämmtlichen Hofmarken beim Schulzen die Gemeinde¬ leistungen (Zechen), ähnlich zu Schweinschied bei Meisenheim und zu Münster in Overwallis die Gemeindenuyungen. Auf der Rügianischen Halbinsel Mönchgut sieht man das Hauszeichen nicht nur an dem Fischergercith, son¬ dern auch auf Urkunden neuester Zeit. Die Bauermarken tragen hier meist noch die Form von Binderunen, z. B. ^ 1^ ^ ^ ^ 5- — In Mentler-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/450
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/450>, abgerufen am 27.07.2024.