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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Wie noch mehr seine hydrographischen Verhältnisse sind, denen selbst durch
das complicirteste Canalisationssystem einige ihrer Grundfehler nicht ausgetilgt
werden könnten, oder, daß in Hinsicht auf die landwirthschaftliche Ausnutzung
des Bodens Deutschland im Vergleich mit jedem andern europäischen Lande,
die skandinavische Halbinsel ausgenommen, entschieden im Nachtheil ist. Man
gehe nur rings um unsere Grenzen herum und man wird sich über¬
zeugen, fast aller in dieser Hinsicht preiswürdige oder besonders umfangreiche
Boden gehört nicht uns, sondern unsern Nachbarn. Die Lombardei im Ver¬
hältniß zu Tirol, Ungarn im Vergleich mit den südöstlichen Küstenländern
der deutschen Alpen, ja ganz entschieden sogar Galizien und Polen neben
Schlesien und vollends neben Altpreußen, oder im Westen ganz Frank¬
reich in seiner Osthälfte selbst neben dem doch in vieler Hinsicht am meisten
begünstigten Westabschnitt unseres Vaterlandes bieten handgreifliche Belege
dafür. Und dabei kommt noch in Betracht, daß unsere relativ am reichsten
von der Natur ausgestatteten Landschaften fast ausnahmslos eben gerade jene
Grenzlandschaften sind. Würde man die inneren mit der Fremde vergleichen,
so würde das Ergebniß noch ungünstiger sein. Denn was will, um sofort
das Beste zu nennen, die natürliche Ausstattung des thüringischen oder
fränkischen Bodens im Vergleich mit dem ungarischen, lombardischen oder
auch galizischen besagen? Seltsam genug spielt auch noch ein historisches
Verhängnis) zu unseren Ungunsten mit hinein. Wir meinen nicht den an
sich so mißlichen Umstand, daß unsere relativ werthvollsten Besitzungen an
der Grenze und an welch schutzloser von Natur liegen, so daß sie, wie der
Elsaß bezeugt, sehr leicht ein Raub der Nachbarn oder mindestens ihr stets
offenes Plünderungsobject werden können, sondern daß die beiden geographisch
so fest in Deutschland eingefügten Landschaften, welche unter allen am meisten
sich der günstigeren Bodenausstattung unserer Nachbarländer nähern, Böhmen
und Mähren durch schwere politische Versäumnisse und Thorheiten mindestens
"in sehr bestrittenes Eigenthum des deutschen Volkes sind.

Eine weitere Classe von Büchern, denn hier reicht ein einziges nicht aus,
deren NichtVorhandensein wir als eine sehr übele Lücke in unserer Literatur
empfinden, wären systematische und dem jetzigen Standpunkt der Wissenschaft
entsprechende statistische Werke über ganz Deutschland. Wir wissen recht
Wohl, daß in dieser und jener Form eine Menge von Vorarbeiten sich finden,
aber es hat noch Niemand unternommen, daraus etwas Ganzes zu machen.
Und selbst diese Vorarbeiten sind nicht bloß, wie es die politische Zer¬
splitterung unserer Zustände mit sich brachte und bringt, sehr ungleichförmig
und selbst wieder gleichsam nur einzelne Maschen, die ohne Plan und Ruck,
ficht auf das ganze Gewebe, willkürlich und eigensinnig, wie alles derartige,
zu Stande gekommen sind, sondern sie haben auch einige der wesentlichsten


Wie noch mehr seine hydrographischen Verhältnisse sind, denen selbst durch
das complicirteste Canalisationssystem einige ihrer Grundfehler nicht ausgetilgt
werden könnten, oder, daß in Hinsicht auf die landwirthschaftliche Ausnutzung
des Bodens Deutschland im Vergleich mit jedem andern europäischen Lande,
die skandinavische Halbinsel ausgenommen, entschieden im Nachtheil ist. Man
gehe nur rings um unsere Grenzen herum und man wird sich über¬
zeugen, fast aller in dieser Hinsicht preiswürdige oder besonders umfangreiche
Boden gehört nicht uns, sondern unsern Nachbarn. Die Lombardei im Ver¬
hältniß zu Tirol, Ungarn im Vergleich mit den südöstlichen Küstenländern
der deutschen Alpen, ja ganz entschieden sogar Galizien und Polen neben
Schlesien und vollends neben Altpreußen, oder im Westen ganz Frank¬
reich in seiner Osthälfte selbst neben dem doch in vieler Hinsicht am meisten
begünstigten Westabschnitt unseres Vaterlandes bieten handgreifliche Belege
dafür. Und dabei kommt noch in Betracht, daß unsere relativ am reichsten
von der Natur ausgestatteten Landschaften fast ausnahmslos eben gerade jene
Grenzlandschaften sind. Würde man die inneren mit der Fremde vergleichen,
so würde das Ergebniß noch ungünstiger sein. Denn was will, um sofort
das Beste zu nennen, die natürliche Ausstattung des thüringischen oder
fränkischen Bodens im Vergleich mit dem ungarischen, lombardischen oder
auch galizischen besagen? Seltsam genug spielt auch noch ein historisches
Verhängnis) zu unseren Ungunsten mit hinein. Wir meinen nicht den an
sich so mißlichen Umstand, daß unsere relativ werthvollsten Besitzungen an
der Grenze und an welch schutzloser von Natur liegen, so daß sie, wie der
Elsaß bezeugt, sehr leicht ein Raub der Nachbarn oder mindestens ihr stets
offenes Plünderungsobject werden können, sondern daß die beiden geographisch
so fest in Deutschland eingefügten Landschaften, welche unter allen am meisten
sich der günstigeren Bodenausstattung unserer Nachbarländer nähern, Böhmen
und Mähren durch schwere politische Versäumnisse und Thorheiten mindestens
«in sehr bestrittenes Eigenthum des deutschen Volkes sind.

Eine weitere Classe von Büchern, denn hier reicht ein einziges nicht aus,
deren NichtVorhandensein wir als eine sehr übele Lücke in unserer Literatur
empfinden, wären systematische und dem jetzigen Standpunkt der Wissenschaft
entsprechende statistische Werke über ganz Deutschland. Wir wissen recht
Wohl, daß in dieser und jener Form eine Menge von Vorarbeiten sich finden,
aber es hat noch Niemand unternommen, daraus etwas Ganzes zu machen.
Und selbst diese Vorarbeiten sind nicht bloß, wie es die politische Zer¬
splitterung unserer Zustände mit sich brachte und bringt, sehr ungleichförmig
und selbst wieder gleichsam nur einzelne Maschen, die ohne Plan und Ruck,
ficht auf das ganze Gewebe, willkürlich und eigensinnig, wie alles derartige,
zu Stande gekommen sind, sondern sie haben auch einige der wesentlichsten


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[0437] Wie noch mehr seine hydrographischen Verhältnisse sind, denen selbst durch das complicirteste Canalisationssystem einige ihrer Grundfehler nicht ausgetilgt werden könnten, oder, daß in Hinsicht auf die landwirthschaftliche Ausnutzung des Bodens Deutschland im Vergleich mit jedem andern europäischen Lande, die skandinavische Halbinsel ausgenommen, entschieden im Nachtheil ist. Man gehe nur rings um unsere Grenzen herum und man wird sich über¬ zeugen, fast aller in dieser Hinsicht preiswürdige oder besonders umfangreiche Boden gehört nicht uns, sondern unsern Nachbarn. Die Lombardei im Ver¬ hältniß zu Tirol, Ungarn im Vergleich mit den südöstlichen Küstenländern der deutschen Alpen, ja ganz entschieden sogar Galizien und Polen neben Schlesien und vollends neben Altpreußen, oder im Westen ganz Frank¬ reich in seiner Osthälfte selbst neben dem doch in vieler Hinsicht am meisten begünstigten Westabschnitt unseres Vaterlandes bieten handgreifliche Belege dafür. Und dabei kommt noch in Betracht, daß unsere relativ am reichsten von der Natur ausgestatteten Landschaften fast ausnahmslos eben gerade jene Grenzlandschaften sind. Würde man die inneren mit der Fremde vergleichen, so würde das Ergebniß noch ungünstiger sein. Denn was will, um sofort das Beste zu nennen, die natürliche Ausstattung des thüringischen oder fränkischen Bodens im Vergleich mit dem ungarischen, lombardischen oder auch galizischen besagen? Seltsam genug spielt auch noch ein historisches Verhängnis) zu unseren Ungunsten mit hinein. Wir meinen nicht den an sich so mißlichen Umstand, daß unsere relativ werthvollsten Besitzungen an der Grenze und an welch schutzloser von Natur liegen, so daß sie, wie der Elsaß bezeugt, sehr leicht ein Raub der Nachbarn oder mindestens ihr stets offenes Plünderungsobject werden können, sondern daß die beiden geographisch so fest in Deutschland eingefügten Landschaften, welche unter allen am meisten sich der günstigeren Bodenausstattung unserer Nachbarländer nähern, Böhmen und Mähren durch schwere politische Versäumnisse und Thorheiten mindestens «in sehr bestrittenes Eigenthum des deutschen Volkes sind. Eine weitere Classe von Büchern, denn hier reicht ein einziges nicht aus, deren NichtVorhandensein wir als eine sehr übele Lücke in unserer Literatur empfinden, wären systematische und dem jetzigen Standpunkt der Wissenschaft entsprechende statistische Werke über ganz Deutschland. Wir wissen recht Wohl, daß in dieser und jener Form eine Menge von Vorarbeiten sich finden, aber es hat noch Niemand unternommen, daraus etwas Ganzes zu machen. Und selbst diese Vorarbeiten sind nicht bloß, wie es die politische Zer¬ splitterung unserer Zustände mit sich brachte und bringt, sehr ungleichförmig und selbst wieder gleichsam nur einzelne Maschen, die ohne Plan und Ruck, ficht auf das ganze Gewebe, willkürlich und eigensinnig, wie alles derartige, zu Stande gekommen sind, sondern sie haben auch einige der wesentlichsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/437>, abgerufen am 28.07.2024.