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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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nach des Verfassers Meinung ist er es -- die gegenseitige Unbekannt-
schaft mit Land und Leuten, fortdauert. Uebrigens giebt Herr Schatzmayer
an einer anderen Stelle der Wahrheit die Ehre, indem er zugesteht, daß der
Norden den Süden viel besser kenne, als dieser jenen, womit freilich noch
nicht gesagt ist, daß das besser auch ein wirklich positives Gute voraussetze.
So lange aber selbst wohlmeinende Leute im Norden nur "künstliche Kiefer¬
wälder auf öden Sandflächen", "Lehmhütten oder dünne Wände von soge'
nannten Fachwerk" u. tgi. mehr zu sehen im Stande sind, werden sie auch
ihren süddeutschen Freunden schwerlich große Lust zu einer Entdeckungsreise
in diese grausigen Gefilde einflößen. Ohnehin reist der Süddeutsche weniger
als der norddeutsche, nicht bloß deshalb, weil er es zu Hause hübsch genug
hat. wie man sich im Süden häufig weiß macht, sondern weil ihm das
Reisen, namentlich das moderne Reisen zu unbequem ist, und weil der ganze
Zuschnitt des Lebens auch in den gebildeteren Ständen hier noch in vielen
Stücken um dreißig, vierzig Jahre -- in anderen noch viel weiter -- zurück
ist. Damals reiste man ja auch im Norden viel weniger. Setzt sich aber
der Süddeutsche einmal in Bewegung, dann liegt ihm die Schweiz, Tirol,
der Rhein, Italien, Paris so zu sagen vor der Thüre. Warum sollte er
nach Norden gehen? "Nur nicht nach Norden" ist die Parole, schon weil es
dem süddeutschen Selbstgefühl höchst unbehaglich wäre, wenn man wider
Willen eines besseren belehrt würde, daß es z. B. auch nördlich vom
Thüringer Wald noch ganz Trinkbares -- theilweise trinkbareres als in
dem classischen Bierlande Bayern selbst -- gibt, daß man auch dort nicht
gerade verhungert.

Diejenigen Süddeutschen, die durch irgend eine äußere Nöthigung oder
Zufall doch den Bann ihrer eingesogenen Vorurtheile gegen den Norden
überwinden gelernt und sich etwa dauernd in ihm angesiedelt haben, sind
gewöhnlich seine eifrigsten Verehrer geworden. Aber gegen die breite Masse
des schwatzenden und schreienden Chorus ihrer Landsleute vermögen ihre
Stimmen nichts. "Der ist halt auch verpreußt" ist schon genug, um mit
ihnen fertig zu werden. Wohlgemerkt haben wir dabei nur die sog. Gebit'
deten im Auge, die überhaupt das Reisen um seiner selbst willen oder als
Erholungs- und Belehrungsmittel betreiben. Sie wissen ja auch allein etwas
von der Existenz einer Mark Brandenburg, Pommerns, Schlesiens :c. Der
gemeine Mann in Süddeutschland, im Durchschnitt unglaublich schlecht unter¬
richtet und, mag man über seine natürliche Begabung denken wie man will,
meist mit keinem größeren Vorrath von positiven Kenntnissen ausgerüstet,
wie der gemeine Franzose und Italiener, weiß oder wußte überhaupt nichts
von dem Vorhandensein eines Landes, das nicht gerade sein Württemberg,
Bayern :c. ist. Höchstens wenn er an der Grenze wohnt und so mit eigenen


nach des Verfassers Meinung ist er es — die gegenseitige Unbekannt-
schaft mit Land und Leuten, fortdauert. Uebrigens giebt Herr Schatzmayer
an einer anderen Stelle der Wahrheit die Ehre, indem er zugesteht, daß der
Norden den Süden viel besser kenne, als dieser jenen, womit freilich noch
nicht gesagt ist, daß das besser auch ein wirklich positives Gute voraussetze.
So lange aber selbst wohlmeinende Leute im Norden nur „künstliche Kiefer¬
wälder auf öden Sandflächen", „Lehmhütten oder dünne Wände von soge'
nannten Fachwerk" u. tgi. mehr zu sehen im Stande sind, werden sie auch
ihren süddeutschen Freunden schwerlich große Lust zu einer Entdeckungsreise
in diese grausigen Gefilde einflößen. Ohnehin reist der Süddeutsche weniger
als der norddeutsche, nicht bloß deshalb, weil er es zu Hause hübsch genug
hat. wie man sich im Süden häufig weiß macht, sondern weil ihm das
Reisen, namentlich das moderne Reisen zu unbequem ist, und weil der ganze
Zuschnitt des Lebens auch in den gebildeteren Ständen hier noch in vielen
Stücken um dreißig, vierzig Jahre — in anderen noch viel weiter — zurück
ist. Damals reiste man ja auch im Norden viel weniger. Setzt sich aber
der Süddeutsche einmal in Bewegung, dann liegt ihm die Schweiz, Tirol,
der Rhein, Italien, Paris so zu sagen vor der Thüre. Warum sollte er
nach Norden gehen? „Nur nicht nach Norden" ist die Parole, schon weil es
dem süddeutschen Selbstgefühl höchst unbehaglich wäre, wenn man wider
Willen eines besseren belehrt würde, daß es z. B. auch nördlich vom
Thüringer Wald noch ganz Trinkbares — theilweise trinkbareres als in
dem classischen Bierlande Bayern selbst — gibt, daß man auch dort nicht
gerade verhungert.

Diejenigen Süddeutschen, die durch irgend eine äußere Nöthigung oder
Zufall doch den Bann ihrer eingesogenen Vorurtheile gegen den Norden
überwinden gelernt und sich etwa dauernd in ihm angesiedelt haben, sind
gewöhnlich seine eifrigsten Verehrer geworden. Aber gegen die breite Masse
des schwatzenden und schreienden Chorus ihrer Landsleute vermögen ihre
Stimmen nichts. „Der ist halt auch verpreußt" ist schon genug, um mit
ihnen fertig zu werden. Wohlgemerkt haben wir dabei nur die sog. Gebit'
deten im Auge, die überhaupt das Reisen um seiner selbst willen oder als
Erholungs- und Belehrungsmittel betreiben. Sie wissen ja auch allein etwas
von der Existenz einer Mark Brandenburg, Pommerns, Schlesiens :c. Der
gemeine Mann in Süddeutschland, im Durchschnitt unglaublich schlecht unter¬
richtet und, mag man über seine natürliche Begabung denken wie man will,
meist mit keinem größeren Vorrath von positiven Kenntnissen ausgerüstet,
wie der gemeine Franzose und Italiener, weiß oder wußte überhaupt nichts
von dem Vorhandensein eines Landes, das nicht gerade sein Württemberg,
Bayern :c. ist. Höchstens wenn er an der Grenze wohnt und so mit eigenen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/428>, abgerufen am 28.07.2024.