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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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noch aus ihren eigenen Studien in der philosophischen Propädeutik oder
aus dem vollögium loxicum des Fuchsenjcchres der Universität in Besitz
haben, zu Hilft zu nehmen, um sich selbst damit durchzuhelfen. Und
doch sind es wieder nicht blos harmlose Plaudereien, bei denen man vom
Hundertsten ins Tausendste gerathen darf. Dazu ist das Schriftchen zu bon.
trinär, zu lehrhaft anspruchsvoll und fehlt dem Verfasser auch zu sehr, wie
es scheint, die Gabe, einen an sich ansprechenden Stoff durch allerlei Klein¬
künste des Stils und des Vortrags genrehaft auszuputzen. Offenbar möchte
er gern eine "eigentlich" wissenschaftliche That thun und darum scheut er sich
auch nicht, dem Leser manches zuzumuthen, dem nicht blos ein für die Unter¬
haltung schreibender Belletrist, sondern auch ein Socialpolitiker wie Riehl,
oder ein psychologischer Anatom wie Bogumil Goltz sorgsam aus dem We-ge
gegangen wäre. Dahin gehört der ganze gelehrte Apparat aus der Sprach¬
vergleichung und der historischen Grammatik. Ganz wundersam nimmt es
sich aus, wenn plötzlich in der Mitte steirischer, bayrischer, kärntnerischer
Schnadahüpfeln und volksthümlicher Schnurren die Register strengster Ge¬
lehrsamkeit gezogen werden, und wir von den Arjas und der Bedeutung ihres
Namens, von der ersten und zweiten Lautverschiebung, von dem Verhältniß
des gothischen zu hochdeutsch einerseits, niederdeutsch andererseits eine wahre
Schullection erhalten. Gründlich kann sie freilich nicht sein, das verbietet
schon der Raum, aber was noch schlimmer ist, sie ist nicht einmal so ganz
auf ächte Sachkenntniß basirt, wie es der Verfasser selbst bona, uns anzuneh¬
men scheint. Wissenschaftliche Leser, die er sich wünscht, wozu doch in diesem
Falle zuerst die zählen, welche in der allgemeinen und speciellen Linguistik
berufsmäßig zu Hause sind, werden zum mindesten öfters über die Sicherheit
in Erstaunen gerathen, mit der hier höchst problematische Dinge als voll¬
ständig bewiesen vorgetragen werden, öfters aber auch aus unleugbaren
Schnitzern abnehmen, daß guter Wille und einige Belesenheit allein noch
keine Sachkenntniß verleihen. --

Wirksamer würde jedenfalls das Buch geworden sein, wenn sein Ver¬
fasser nicht mehr hätte geben wollen, als er geben konnte. Was das ist,
laßt sich rühmend bezeichnen, nämlich scharf gesehene und mit Liebe ge¬
gezeichnete Bilder aus dem deutschen Volksleben, besonders so weit dies in
und an der Sprache, also wesentlich in der Mundart zum Ausdruck kommt.
Der Verfasser muß eine ungewöhnliche Lokalkenntniß verschiedener Theile von
Deutschland besitzen und ein fast ebenso seltenes feines Ohr und treues Ge¬
dächtniß für sprachliche Dinge. Aus den?vorhandenen Hilfsmitteln, etwa
aus unseren Dichtern und Schriftstellern im Dialect. von Hebel und Voß
bis zu Panier und Groth herab, oder aus Firmenichs Völkerstimmen und
ähnlichen Sammlungen von "Dialectproben" läßt sich eine solche Fülle


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noch aus ihren eigenen Studien in der philosophischen Propädeutik oder
aus dem vollögium loxicum des Fuchsenjcchres der Universität in Besitz
haben, zu Hilft zu nehmen, um sich selbst damit durchzuhelfen. Und
doch sind es wieder nicht blos harmlose Plaudereien, bei denen man vom
Hundertsten ins Tausendste gerathen darf. Dazu ist das Schriftchen zu bon.
trinär, zu lehrhaft anspruchsvoll und fehlt dem Verfasser auch zu sehr, wie
es scheint, die Gabe, einen an sich ansprechenden Stoff durch allerlei Klein¬
künste des Stils und des Vortrags genrehaft auszuputzen. Offenbar möchte
er gern eine „eigentlich" wissenschaftliche That thun und darum scheut er sich
auch nicht, dem Leser manches zuzumuthen, dem nicht blos ein für die Unter¬
haltung schreibender Belletrist, sondern auch ein Socialpolitiker wie Riehl,
oder ein psychologischer Anatom wie Bogumil Goltz sorgsam aus dem We-ge
gegangen wäre. Dahin gehört der ganze gelehrte Apparat aus der Sprach¬
vergleichung und der historischen Grammatik. Ganz wundersam nimmt es
sich aus, wenn plötzlich in der Mitte steirischer, bayrischer, kärntnerischer
Schnadahüpfeln und volksthümlicher Schnurren die Register strengster Ge¬
lehrsamkeit gezogen werden, und wir von den Arjas und der Bedeutung ihres
Namens, von der ersten und zweiten Lautverschiebung, von dem Verhältniß
des gothischen zu hochdeutsch einerseits, niederdeutsch andererseits eine wahre
Schullection erhalten. Gründlich kann sie freilich nicht sein, das verbietet
schon der Raum, aber was noch schlimmer ist, sie ist nicht einmal so ganz
auf ächte Sachkenntniß basirt, wie es der Verfasser selbst bona, uns anzuneh¬
men scheint. Wissenschaftliche Leser, die er sich wünscht, wozu doch in diesem
Falle zuerst die zählen, welche in der allgemeinen und speciellen Linguistik
berufsmäßig zu Hause sind, werden zum mindesten öfters über die Sicherheit
in Erstaunen gerathen, mit der hier höchst problematische Dinge als voll¬
ständig bewiesen vorgetragen werden, öfters aber auch aus unleugbaren
Schnitzern abnehmen, daß guter Wille und einige Belesenheit allein noch
keine Sachkenntniß verleihen. —

Wirksamer würde jedenfalls das Buch geworden sein, wenn sein Ver¬
fasser nicht mehr hätte geben wollen, als er geben konnte. Was das ist,
laßt sich rühmend bezeichnen, nämlich scharf gesehene und mit Liebe ge¬
gezeichnete Bilder aus dem deutschen Volksleben, besonders so weit dies in
und an der Sprache, also wesentlich in der Mundart zum Ausdruck kommt.
Der Verfasser muß eine ungewöhnliche Lokalkenntniß verschiedener Theile von
Deutschland besitzen und ein fast ebenso seltenes feines Ohr und treues Ge¬
dächtniß für sprachliche Dinge. Aus den?vorhandenen Hilfsmitteln, etwa
aus unseren Dichtern und Schriftstellern im Dialect. von Hebel und Voß
bis zu Panier und Groth herab, oder aus Firmenichs Völkerstimmen und
ähnlichen Sammlungen von „Dialectproben" läßt sich eine solche Fülle


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[0425] noch aus ihren eigenen Studien in der philosophischen Propädeutik oder aus dem vollögium loxicum des Fuchsenjcchres der Universität in Besitz haben, zu Hilft zu nehmen, um sich selbst damit durchzuhelfen. Und doch sind es wieder nicht blos harmlose Plaudereien, bei denen man vom Hundertsten ins Tausendste gerathen darf. Dazu ist das Schriftchen zu bon. trinär, zu lehrhaft anspruchsvoll und fehlt dem Verfasser auch zu sehr, wie es scheint, die Gabe, einen an sich ansprechenden Stoff durch allerlei Klein¬ künste des Stils und des Vortrags genrehaft auszuputzen. Offenbar möchte er gern eine „eigentlich" wissenschaftliche That thun und darum scheut er sich auch nicht, dem Leser manches zuzumuthen, dem nicht blos ein für die Unter¬ haltung schreibender Belletrist, sondern auch ein Socialpolitiker wie Riehl, oder ein psychologischer Anatom wie Bogumil Goltz sorgsam aus dem We-ge gegangen wäre. Dahin gehört der ganze gelehrte Apparat aus der Sprach¬ vergleichung und der historischen Grammatik. Ganz wundersam nimmt es sich aus, wenn plötzlich in der Mitte steirischer, bayrischer, kärntnerischer Schnadahüpfeln und volksthümlicher Schnurren die Register strengster Ge¬ lehrsamkeit gezogen werden, und wir von den Arjas und der Bedeutung ihres Namens, von der ersten und zweiten Lautverschiebung, von dem Verhältniß des gothischen zu hochdeutsch einerseits, niederdeutsch andererseits eine wahre Schullection erhalten. Gründlich kann sie freilich nicht sein, das verbietet schon der Raum, aber was noch schlimmer ist, sie ist nicht einmal so ganz auf ächte Sachkenntniß basirt, wie es der Verfasser selbst bona, uns anzuneh¬ men scheint. Wissenschaftliche Leser, die er sich wünscht, wozu doch in diesem Falle zuerst die zählen, welche in der allgemeinen und speciellen Linguistik berufsmäßig zu Hause sind, werden zum mindesten öfters über die Sicherheit in Erstaunen gerathen, mit der hier höchst problematische Dinge als voll¬ ständig bewiesen vorgetragen werden, öfters aber auch aus unleugbaren Schnitzern abnehmen, daß guter Wille und einige Belesenheit allein noch keine Sachkenntniß verleihen. — Wirksamer würde jedenfalls das Buch geworden sein, wenn sein Ver¬ fasser nicht mehr hätte geben wollen, als er geben konnte. Was das ist, laßt sich rühmend bezeichnen, nämlich scharf gesehene und mit Liebe ge¬ gezeichnete Bilder aus dem deutschen Volksleben, besonders so weit dies in und an der Sprache, also wesentlich in der Mundart zum Ausdruck kommt. Der Verfasser muß eine ungewöhnliche Lokalkenntniß verschiedener Theile von Deutschland besitzen und ein fast ebenso seltenes feines Ohr und treues Ge¬ dächtniß für sprachliche Dinge. Aus den?vorhandenen Hilfsmitteln, etwa aus unseren Dichtern und Schriftstellern im Dialect. von Hebel und Voß bis zu Panier und Groth herab, oder aus Firmenichs Völkerstimmen und ähnlichen Sammlungen von „Dialectproben" läßt sich eine solche Fülle 53 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/425>, abgerufen am 27.07.2024.