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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Ja, er war ein deutscher Professor auch als Politiker. Er war nicht
geschult in parlamentarischen Kämpfen, er hatte den Staat sich in Gedanken
construirt aus dem Wesen der Deutschen, wie er es mit feiner Empfindung
aus dem Leben und der Geschichte faßte, und aus fremden Zuständen,
welche ihm die Beobachtung nahe legte. Er war nicht gewöhnt als thätiger
Politiker zu handeln, obwohl grade er um politische Interessen zweier Land¬
schaften geschäftlich mehr zu sorgen hatte, als andere Gelehrte seiner Zeit.
Er war so unschuldig und bei allem Scharfsinn doch unbehilflich in stürmi¬
schem Drang der Ereignisse. Aber er war auch darin ein schönes Bild
unserer politischen Jugend, daß er jeden Conflict der Pflicht, alle großen
Fragen, welche in sein friedliches Leben drangen, tief innerlich als schwere Ge¬
wissenssache durchkämpfte, und daß sein Urtheil und Wille nur gerichtet
wurde durch das lautere Rechtsgefühl und das hohe Ethos seines Wesens.
So war er zuletzt immer ganz er selbst, fest nach außen, von sicher beherrsch¬
ter Bewegung, einig mit sich und dabei von unzerstörbarem Vertrauen zu
der Güte menschlicher Natur und zu dem hohen Beruf seines Volkes.

Seitdem ist andere Zeit gekommen. Wir sind vielleicht nicht fester, aber
härter und entschlossener im Handeln, wir haben uns gewöhnt, entweder eigensin¬
nig zu beharren oder verständig uns zu fügen. Wir steuern gewandter und in
Vielem sicherer durch politische Sturmfluth. Auch das Verständniß unserer
Staatsbedürfnisse, die Einsicht in das Detail der Reformen sind weit größer
geworden, als sie vor vierzig, zwanzig Jahren waren. Aber mit der größe¬
ren Erfahrung und der höheren Geltung unserer Thätigkeit für den Staat
sind uns auch neue Versuchungen gekommen. Die Macht des Geldes, der
Einfluß der Parteien setzen unsere Politiker der Gefahr aus, Urtheil und Ge¬
wissen unmännlich gefangen zu geben. -- --

Möge darum das Bild Dahlmann's in den Herzen der Lebenden recht
fest haften. So waren die Guten zur Zeit der Väter. Sorgen wir dafür,
daß wir die stolze Redlichkeit, die Verachtung des anspruchsvollen Scheins,
und die opferbereite Hingabe an den Staat, das deutsche Erbe, welches sie
uns hinterließen, auch unsern Nachkommen wohlbewahrt überliefern.


G. F.


Ja, er war ein deutscher Professor auch als Politiker. Er war nicht
geschult in parlamentarischen Kämpfen, er hatte den Staat sich in Gedanken
construirt aus dem Wesen der Deutschen, wie er es mit feiner Empfindung
aus dem Leben und der Geschichte faßte, und aus fremden Zuständen,
welche ihm die Beobachtung nahe legte. Er war nicht gewöhnt als thätiger
Politiker zu handeln, obwohl grade er um politische Interessen zweier Land¬
schaften geschäftlich mehr zu sorgen hatte, als andere Gelehrte seiner Zeit.
Er war so unschuldig und bei allem Scharfsinn doch unbehilflich in stürmi¬
schem Drang der Ereignisse. Aber er war auch darin ein schönes Bild
unserer politischen Jugend, daß er jeden Conflict der Pflicht, alle großen
Fragen, welche in sein friedliches Leben drangen, tief innerlich als schwere Ge¬
wissenssache durchkämpfte, und daß sein Urtheil und Wille nur gerichtet
wurde durch das lautere Rechtsgefühl und das hohe Ethos seines Wesens.
So war er zuletzt immer ganz er selbst, fest nach außen, von sicher beherrsch¬
ter Bewegung, einig mit sich und dabei von unzerstörbarem Vertrauen zu
der Güte menschlicher Natur und zu dem hohen Beruf seines Volkes.

Seitdem ist andere Zeit gekommen. Wir sind vielleicht nicht fester, aber
härter und entschlossener im Handeln, wir haben uns gewöhnt, entweder eigensin¬
nig zu beharren oder verständig uns zu fügen. Wir steuern gewandter und in
Vielem sicherer durch politische Sturmfluth. Auch das Verständniß unserer
Staatsbedürfnisse, die Einsicht in das Detail der Reformen sind weit größer
geworden, als sie vor vierzig, zwanzig Jahren waren. Aber mit der größe¬
ren Erfahrung und der höheren Geltung unserer Thätigkeit für den Staat
sind uns auch neue Versuchungen gekommen. Die Macht des Geldes, der
Einfluß der Parteien setzen unsere Politiker der Gefahr aus, Urtheil und Ge¬
wissen unmännlich gefangen zu geben. — —

Möge darum das Bild Dahlmann's in den Herzen der Lebenden recht
fest haften. So waren die Guten zur Zeit der Väter. Sorgen wir dafür,
daß wir die stolze Redlichkeit, die Verachtung des anspruchsvollen Scheins,
und die opferbereite Hingabe an den Staat, das deutsche Erbe, welches sie
uns hinterließen, auch unsern Nachkommen wohlbewahrt überliefern.


G. F.


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[0412] Ja, er war ein deutscher Professor auch als Politiker. Er war nicht geschult in parlamentarischen Kämpfen, er hatte den Staat sich in Gedanken construirt aus dem Wesen der Deutschen, wie er es mit feiner Empfindung aus dem Leben und der Geschichte faßte, und aus fremden Zuständen, welche ihm die Beobachtung nahe legte. Er war nicht gewöhnt als thätiger Politiker zu handeln, obwohl grade er um politische Interessen zweier Land¬ schaften geschäftlich mehr zu sorgen hatte, als andere Gelehrte seiner Zeit. Er war so unschuldig und bei allem Scharfsinn doch unbehilflich in stürmi¬ schem Drang der Ereignisse. Aber er war auch darin ein schönes Bild unserer politischen Jugend, daß er jeden Conflict der Pflicht, alle großen Fragen, welche in sein friedliches Leben drangen, tief innerlich als schwere Ge¬ wissenssache durchkämpfte, und daß sein Urtheil und Wille nur gerichtet wurde durch das lautere Rechtsgefühl und das hohe Ethos seines Wesens. So war er zuletzt immer ganz er selbst, fest nach außen, von sicher beherrsch¬ ter Bewegung, einig mit sich und dabei von unzerstörbarem Vertrauen zu der Güte menschlicher Natur und zu dem hohen Beruf seines Volkes. Seitdem ist andere Zeit gekommen. Wir sind vielleicht nicht fester, aber härter und entschlossener im Handeln, wir haben uns gewöhnt, entweder eigensin¬ nig zu beharren oder verständig uns zu fügen. Wir steuern gewandter und in Vielem sicherer durch politische Sturmfluth. Auch das Verständniß unserer Staatsbedürfnisse, die Einsicht in das Detail der Reformen sind weit größer geworden, als sie vor vierzig, zwanzig Jahren waren. Aber mit der größe¬ ren Erfahrung und der höheren Geltung unserer Thätigkeit für den Staat sind uns auch neue Versuchungen gekommen. Die Macht des Geldes, der Einfluß der Parteien setzen unsere Politiker der Gefahr aus, Urtheil und Ge¬ wissen unmännlich gefangen zu geben. — — Möge darum das Bild Dahlmann's in den Herzen der Lebenden recht fest haften. So waren die Guten zur Zeit der Väter. Sorgen wir dafür, daß wir die stolze Redlichkeit, die Verachtung des anspruchsvollen Scheins, und die opferbereite Hingabe an den Staat, das deutsche Erbe, welches sie uns hinterließen, auch unsern Nachkommen wohlbewahrt überliefern. G. F.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/412>, abgerufen am 18.12.2024.