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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Jahre. Den höchsten Staatsämtern hielt man ihn für gewachsen und be¬
drängte Könige sorgten unruhig darum, ob sein Urtheil über ihre Fehlgriffe
ein mildes sei. Zu seinen Füßen lauschte, wenn er lehrte, andächtig die
Blüthe der deutschen Jugend und seine Geschichte Dänemarks galt gerade
den Fachgenossen für einen besonders großartigen und tiefgeschöpften Gewinn-
Dennoch wird dem jüngeren Geschlecht leicht, ihn als Politiker und als Ge¬
lehrten zu übersehen. Poetische Empfindung mischte sich ihm noch anders in
Willen und Gedanken, als uns erlaubt ist. Es war ein politischer Fehler,
daß er die Verwerfung des schlechten Waffenstillstandes von Malmö zu Frank¬
furt durchsetzte und dann planlos vor der Unmöglichkeit stillstand, ein Mi¬
nisterium seiner Wahl zu bilden; auch seine besten historischen Werke erweisen
ein sehr eigenthümlich herrisches Schalten mit dem überlieferten Stoff, wobei
kräftige dichterische Anschauung ihm Farbe und Combination allzusehr be¬
stimmen. Die Kenntniß des historischen Details ist seit ihm unermeßlich
größer, die Methode historischer Construction unvergleichlich strenger gewor¬
den. Das ist bei einer Nation von aufsteigender Lebenskraft natürlich. Die
Alten irren, damit die Jüngeren von ihnen lernen, andere Thorheiten zu
begehen. Aber solche Schätzung nach dem Maßstab unsrer Zeit nimmt diesem
Mann keinen Bruchtheil seines Werthes für unser Geschlecht und für alle
Zukunft.

Denn was ist es doch, was einen Mann den Herzen seiner Zeitgenossen
theuer macht, den spätern Geschlechtern werth erhält? Zunächst freilich, daß
er nach dem Maße seiner Zeit gut gearbeitet hat für solche Zwecke, welche
der Nation dauernden Werth haben. Davon hängt seine geschichtliche Be¬
rechtigung ab. Aber was er auch schafft, seine Arbeit an sich ist's in der Regel
nicht, deren Dauer sein Gedächtniß dauerhaft macht. Die Ordnungen des
weisesten Staatsmannes überleben selten die nächste Generation. Was
besteht noch von dem Regierungssystem Friedrich II., das wir erhalten wünsch¬
ten? sogar die größten lebenspendenden Ideen, die er seiner Zeit zuerst praktisch
machte, sind uns entweder selbstverständlicher Besitz, bei dem wir wenig seiner
gedenken, oder sie mögen von uns oder unsern Nachfahren gar widerlegt wer¬
den. Es ist sehr zweifelhaft geworden, ob der Staat seinen Bürgern noch er¬
lauben kann, ganz nach ihrer Fa?on selig zu werden, sobald irgendwo ein Alter
vom Berge sich zum unfehlbaren Beherrscher ihrer Gedanken und Fäuste macht.
Und ebenso wird dem Gelehrten das scharfsinnigste Geisteswerk durch weitere
Arbeit von Tausenden umgeformt, eingeengt, widerlegt. Nur wenige große
Erfinder und Künstler haben den Vorzug, daß ihre Werke abgelöst von ihnen
unverändert fortleben in den Seelen späterer Geschlechter und selbstthätig in
ihrer Eigenart noch dann der Menschheit dienen, wenn die Person des Ur¬
hebers gänzlich verschwunden ist bis auf wenige unsichere Erinnerungen.


Jahre. Den höchsten Staatsämtern hielt man ihn für gewachsen und be¬
drängte Könige sorgten unruhig darum, ob sein Urtheil über ihre Fehlgriffe
ein mildes sei. Zu seinen Füßen lauschte, wenn er lehrte, andächtig die
Blüthe der deutschen Jugend und seine Geschichte Dänemarks galt gerade
den Fachgenossen für einen besonders großartigen und tiefgeschöpften Gewinn-
Dennoch wird dem jüngeren Geschlecht leicht, ihn als Politiker und als Ge¬
lehrten zu übersehen. Poetische Empfindung mischte sich ihm noch anders in
Willen und Gedanken, als uns erlaubt ist. Es war ein politischer Fehler,
daß er die Verwerfung des schlechten Waffenstillstandes von Malmö zu Frank¬
furt durchsetzte und dann planlos vor der Unmöglichkeit stillstand, ein Mi¬
nisterium seiner Wahl zu bilden; auch seine besten historischen Werke erweisen
ein sehr eigenthümlich herrisches Schalten mit dem überlieferten Stoff, wobei
kräftige dichterische Anschauung ihm Farbe und Combination allzusehr be¬
stimmen. Die Kenntniß des historischen Details ist seit ihm unermeßlich
größer, die Methode historischer Construction unvergleichlich strenger gewor¬
den. Das ist bei einer Nation von aufsteigender Lebenskraft natürlich. Die
Alten irren, damit die Jüngeren von ihnen lernen, andere Thorheiten zu
begehen. Aber solche Schätzung nach dem Maßstab unsrer Zeit nimmt diesem
Mann keinen Bruchtheil seines Werthes für unser Geschlecht und für alle
Zukunft.

Denn was ist es doch, was einen Mann den Herzen seiner Zeitgenossen
theuer macht, den spätern Geschlechtern werth erhält? Zunächst freilich, daß
er nach dem Maße seiner Zeit gut gearbeitet hat für solche Zwecke, welche
der Nation dauernden Werth haben. Davon hängt seine geschichtliche Be¬
rechtigung ab. Aber was er auch schafft, seine Arbeit an sich ist's in der Regel
nicht, deren Dauer sein Gedächtniß dauerhaft macht. Die Ordnungen des
weisesten Staatsmannes überleben selten die nächste Generation. Was
besteht noch von dem Regierungssystem Friedrich II., das wir erhalten wünsch¬
ten? sogar die größten lebenspendenden Ideen, die er seiner Zeit zuerst praktisch
machte, sind uns entweder selbstverständlicher Besitz, bei dem wir wenig seiner
gedenken, oder sie mögen von uns oder unsern Nachfahren gar widerlegt wer¬
den. Es ist sehr zweifelhaft geworden, ob der Staat seinen Bürgern noch er¬
lauben kann, ganz nach ihrer Fa?on selig zu werden, sobald irgendwo ein Alter
vom Berge sich zum unfehlbaren Beherrscher ihrer Gedanken und Fäuste macht.
Und ebenso wird dem Gelehrten das scharfsinnigste Geisteswerk durch weitere
Arbeit von Tausenden umgeformt, eingeengt, widerlegt. Nur wenige große
Erfinder und Künstler haben den Vorzug, daß ihre Werke abgelöst von ihnen
unverändert fortleben in den Seelen späterer Geschlechter und selbstthätig in
ihrer Eigenart noch dann der Menschheit dienen, wenn die Person des Ur¬
hebers gänzlich verschwunden ist bis auf wenige unsichere Erinnerungen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/410>, abgerufen am 18.12.2024.