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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Für die große Politik haben die Ferien bereits begonnen, Regenten
und Minister machen Reisepläne; auch die wohlhabende Bevölkerung der
Städte rüstet sich auf das Land zu ziehen, mit jedem Jahre wächst die Stärke
dieser periodischen Wanderung, welche in den nächsten Jahrzehnten dem ge-
sammten Geschäststreiben der großen Städte in Deutschland ein ganz neues
Aussehen zu geben verheißt.

Freilich ist die Befriedigung, mit welcher der Deutsche aus die letzten
Wochen der Bundesarbeit zurücksieht, nicht ohne heimliche Sorge. Es ist
noch einmal unter starken Anstrengungen gelungen, den bisherigen Organis¬
mus des Zollparlaments und Reichstags zu einem großen Fortschritt zu be-
nutzen, aber selbst dieser Fortschritt trägt dazu bei, die Aufgaben der nächsten
Zukunft schwieriger zu machen; die Probe, wie weit die Verfassung des Bun¬
des den Dynastien unvermeidlich, den Völkern ein Segen geworden, soll bet
den nächsten Wahlen abgelegt werden; und ob bei der oberen Leitung des
Bundes in dieser Krisis ein sicherer, planvoller, stetiger Wille vorhanden ist,
suchen wir unsicher.

In Wahrheit haben wir durchaus keinen Zweifel an der Dauerhaftig¬
keit der neuen Bundeswirthschaft, ja wir halten dieselbe grade darum für
sehr fest und hoffnungsvoll, weil keiner mehr recht zu sagen vermag, was
daraus werden wird. Denn diese Unsicherheit der Zeitgenossen ist ein Be¬
weis, daß die Erfindung eines einzelnen Mannes bereits ein Übermensch'
liebes Leben gewonnen hat und ein lebendiges Stück unseres Volksthums ge¬
worden ist, dessen Gedeihen und Fortbildung nicht mehr von einem Indi¬
viduum überherrscht werden kann, sondern seine Lebensgesetze sich selbst ge¬
bieterisch fordert. Durch drei Jahre war Graf Bismarck der Meister, und er
hat uns alle gezwungen, als seine Gesellen an selner Idee zu arbeiten. Jetzt
regt sich in dem Werke ein eigenes Leben, jedes Organ, welches ihm nach
dem Plan zugefügt wurde, fordert sich gebieterisch neue Organe und Spiel"
rann zur Thätigkeit. Der Bundesstaat fängt an sich durch seine eigenen Corse
quenzen weiter zu bilden. Weder die ihn zuerst gewollt, noch irgendwelche
seiner Anhänger und Gegner vermögen dieses junge Leben in der Hauptsache
zu hindern. Und die Frage ist jetzt nur, ob unser Volk die Gesundheit,
Tüchtigkeit und die bescheidene Hingabe besitzt, ferner daran zu helfen. Darauf
gibt es eine frohe Antwort. Und wir citiren zum Schluß dafür die guten
Worte eines heimgekehrten Abgeordneten in Leipzig: "Wir wissen, daß wir
Alle in Gefahr sind, Opfer zu werden der gehäuften Arbeit, aber was liegt
an dem Einzelnen bei der Arbeit für das große nationale Werk!"


?


Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freytag.
Verlag vou F. L. Hcrbig. -- Druck von Hüthel Si Segler in Leipzig.

Für die große Politik haben die Ferien bereits begonnen, Regenten
und Minister machen Reisepläne; auch die wohlhabende Bevölkerung der
Städte rüstet sich auf das Land zu ziehen, mit jedem Jahre wächst die Stärke
dieser periodischen Wanderung, welche in den nächsten Jahrzehnten dem ge-
sammten Geschäststreiben der großen Städte in Deutschland ein ganz neues
Aussehen zu geben verheißt.

Freilich ist die Befriedigung, mit welcher der Deutsche aus die letzten
Wochen der Bundesarbeit zurücksieht, nicht ohne heimliche Sorge. Es ist
noch einmal unter starken Anstrengungen gelungen, den bisherigen Organis¬
mus des Zollparlaments und Reichstags zu einem großen Fortschritt zu be-
nutzen, aber selbst dieser Fortschritt trägt dazu bei, die Aufgaben der nächsten
Zukunft schwieriger zu machen; die Probe, wie weit die Verfassung des Bun¬
des den Dynastien unvermeidlich, den Völkern ein Segen geworden, soll bet
den nächsten Wahlen abgelegt werden; und ob bei der oberen Leitung des
Bundes in dieser Krisis ein sicherer, planvoller, stetiger Wille vorhanden ist,
suchen wir unsicher.

In Wahrheit haben wir durchaus keinen Zweifel an der Dauerhaftig¬
keit der neuen Bundeswirthschaft, ja wir halten dieselbe grade darum für
sehr fest und hoffnungsvoll, weil keiner mehr recht zu sagen vermag, was
daraus werden wird. Denn diese Unsicherheit der Zeitgenossen ist ein Be¬
weis, daß die Erfindung eines einzelnen Mannes bereits ein Übermensch'
liebes Leben gewonnen hat und ein lebendiges Stück unseres Volksthums ge¬
worden ist, dessen Gedeihen und Fortbildung nicht mehr von einem Indi¬
viduum überherrscht werden kann, sondern seine Lebensgesetze sich selbst ge¬
bieterisch fordert. Durch drei Jahre war Graf Bismarck der Meister, und er
hat uns alle gezwungen, als seine Gesellen an selner Idee zu arbeiten. Jetzt
regt sich in dem Werke ein eigenes Leben, jedes Organ, welches ihm nach
dem Plan zugefügt wurde, fordert sich gebieterisch neue Organe und Spiel"
rann zur Thätigkeit. Der Bundesstaat fängt an sich durch seine eigenen Corse
quenzen weiter zu bilden. Weder die ihn zuerst gewollt, noch irgendwelche
seiner Anhänger und Gegner vermögen dieses junge Leben in der Hauptsache
zu hindern. Und die Frage ist jetzt nur, ob unser Volk die Gesundheit,
Tüchtigkeit und die bescheidene Hingabe besitzt, ferner daran zu helfen. Darauf
gibt es eine frohe Antwort. Und wir citiren zum Schluß dafür die guten
Worte eines heimgekehrten Abgeordneten in Leipzig: „Wir wissen, daß wir
Alle in Gefahr sind, Opfer zu werden der gehäuften Arbeit, aber was liegt
an dem Einzelnen bei der Arbeit für das große nationale Werk!"


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Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freytag.
Verlag vou F. L. Hcrbig. — Druck von Hüthel Si Segler in Leipzig.
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[0406] Für die große Politik haben die Ferien bereits begonnen, Regenten und Minister machen Reisepläne; auch die wohlhabende Bevölkerung der Städte rüstet sich auf das Land zu ziehen, mit jedem Jahre wächst die Stärke dieser periodischen Wanderung, welche in den nächsten Jahrzehnten dem ge- sammten Geschäststreiben der großen Städte in Deutschland ein ganz neues Aussehen zu geben verheißt. Freilich ist die Befriedigung, mit welcher der Deutsche aus die letzten Wochen der Bundesarbeit zurücksieht, nicht ohne heimliche Sorge. Es ist noch einmal unter starken Anstrengungen gelungen, den bisherigen Organis¬ mus des Zollparlaments und Reichstags zu einem großen Fortschritt zu be- nutzen, aber selbst dieser Fortschritt trägt dazu bei, die Aufgaben der nächsten Zukunft schwieriger zu machen; die Probe, wie weit die Verfassung des Bun¬ des den Dynastien unvermeidlich, den Völkern ein Segen geworden, soll bet den nächsten Wahlen abgelegt werden; und ob bei der oberen Leitung des Bundes in dieser Krisis ein sicherer, planvoller, stetiger Wille vorhanden ist, suchen wir unsicher. In Wahrheit haben wir durchaus keinen Zweifel an der Dauerhaftig¬ keit der neuen Bundeswirthschaft, ja wir halten dieselbe grade darum für sehr fest und hoffnungsvoll, weil keiner mehr recht zu sagen vermag, was daraus werden wird. Denn diese Unsicherheit der Zeitgenossen ist ein Be¬ weis, daß die Erfindung eines einzelnen Mannes bereits ein Übermensch' liebes Leben gewonnen hat und ein lebendiges Stück unseres Volksthums ge¬ worden ist, dessen Gedeihen und Fortbildung nicht mehr von einem Indi¬ viduum überherrscht werden kann, sondern seine Lebensgesetze sich selbst ge¬ bieterisch fordert. Durch drei Jahre war Graf Bismarck der Meister, und er hat uns alle gezwungen, als seine Gesellen an selner Idee zu arbeiten. Jetzt regt sich in dem Werke ein eigenes Leben, jedes Organ, welches ihm nach dem Plan zugefügt wurde, fordert sich gebieterisch neue Organe und Spiel" rann zur Thätigkeit. Der Bundesstaat fängt an sich durch seine eigenen Corse quenzen weiter zu bilden. Weder die ihn zuerst gewollt, noch irgendwelche seiner Anhänger und Gegner vermögen dieses junge Leben in der Hauptsache zu hindern. Und die Frage ist jetzt nur, ob unser Volk die Gesundheit, Tüchtigkeit und die bescheidene Hingabe besitzt, ferner daran zu helfen. Darauf gibt es eine frohe Antwort. Und wir citiren zum Schluß dafür die guten Worte eines heimgekehrten Abgeordneten in Leipzig: „Wir wissen, daß wir Alle in Gefahr sind, Opfer zu werden der gehäuften Arbeit, aber was liegt an dem Einzelnen bei der Arbeit für das große nationale Werk!" ? Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freytag. Verlag vou F. L. Hcrbig. — Druck von Hüthel Si Segler in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/406>, abgerufen am 18.12.2024.