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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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sondern die Colonialregierungen machen sich finsterer Thaten schuldig, die in
Europa wegen des Abscheus, den sie hervorrufen würden, geradezu unmög¬
lich sind. Und dennoch geschieht dergleichen nicht im Geheimen, sondern
ganz öffentlich, und die Zeitungen erzählen davon, als ob es gewöhnliche
Dinge wären.

Vielleicht nicht am grausamsten aber am kaltblütigsten gehen die Hollän¬
der in ihren überseeischen Besitzungen zu Werke. Die Relationen der Mord-
und Verntchtungszüge -- die man Kriegsverrichtungen zu nennen beliebt --
werden von der Regierung mit Behagen öffentlich bekannt gemacht. Auf
den verschiedenen Inseln des ostindischen Archipels finden fast jährlich Expe¬
ditionen gegen die Eingebornen statt, deren gewöhnliches Ergebniß sich in
wenigen Worten zusammenfassen läßt. Die Eingebornen fliehen aus ihren
Dörfern in die Wälder, Dschungel und Gebirge, die Kriegsmacht der civili-
sirten Nation metzelt die Fliehenden, wenn sie dieselben noch erreichen kann,
nieder, verwüstet die Felder und verbrennt die Häuser und Hütten der Be¬
wohner, unbekümmert ob noch ein lebendes Wesen darin verborgen ist, und
führt die wenigen zurückgebliebenen Habseligkeiten als Beute mit. Wird zu¬
weilen von den Angegriffenen ein kurzer, vergeblicher Widerstand geleistet,
dann kehren die Sieger als Helden mit Ruhm beladen zurück.

Und warum werden solche Expeditionen unternommen? Meist weil irgend
ein Volksstamm die ihm aufgedrungene europäische Oberhoheit nicht aner¬
kennen will, eine Herrschaft, die sich nur durch solche barbarischen Mittel zu
behaupten weiß; oder die drohende Haltung eines Volkstammes jenseit unserer
Grenzen, seine Diebereien, Gewaltthaten, die Plünderung eines gestrandeten
Schiffs sollen bestraft werden, -- gerade der letztere Frevel bleibt -- nebenbei
bemerkt -- an der europäischen Küste Hollands häufig unbestraft. Ein solcher
Fall aus den Colonien, der in den holländischen Zeitungen vielfach besprochen
wurde, möge zum Beispiel dienen.

Vor einigen Jahren schloß England mit den Niederlanden einen Ver¬
trag wegen eines Gebietsaustausches an der Küste von Guinea um die beider¬
seitigen Besitzungen: Se. George d'Elmina und Cape Coast Castle abzurun¬
den. Dadurch trat England an Holland den Landstrich Commendah gegen
ein anderes Areal ab. Die Commendesen waren inzwischen mit diesem
Wechsel nicht zufrieden und wünschten unter englischer Herrschaft zu bleiben.
Die Holländer aber pflanzten ihre Flagge zum Zeichen der Besitzergreifung
auf ein kleines verlassenes Fort in Commendah, das als einziger Ueberrest die
frühere Anwesenheit der Europäer bezeugte. Die Neger rissen die Flagge
herunter, nachdem die Holländer sich entfernt hatten. Diese That der Em¬
pörung gegen die ihnen aufgedrungene Herrschaft wurde von den Holländern
damit beantwortet, daß sie eine Expedition ins Land Commendah unter-


sondern die Colonialregierungen machen sich finsterer Thaten schuldig, die in
Europa wegen des Abscheus, den sie hervorrufen würden, geradezu unmög¬
lich sind. Und dennoch geschieht dergleichen nicht im Geheimen, sondern
ganz öffentlich, und die Zeitungen erzählen davon, als ob es gewöhnliche
Dinge wären.

Vielleicht nicht am grausamsten aber am kaltblütigsten gehen die Hollän¬
der in ihren überseeischen Besitzungen zu Werke. Die Relationen der Mord-
und Verntchtungszüge — die man Kriegsverrichtungen zu nennen beliebt —
werden von der Regierung mit Behagen öffentlich bekannt gemacht. Auf
den verschiedenen Inseln des ostindischen Archipels finden fast jährlich Expe¬
ditionen gegen die Eingebornen statt, deren gewöhnliches Ergebniß sich in
wenigen Worten zusammenfassen läßt. Die Eingebornen fliehen aus ihren
Dörfern in die Wälder, Dschungel und Gebirge, die Kriegsmacht der civili-
sirten Nation metzelt die Fliehenden, wenn sie dieselben noch erreichen kann,
nieder, verwüstet die Felder und verbrennt die Häuser und Hütten der Be¬
wohner, unbekümmert ob noch ein lebendes Wesen darin verborgen ist, und
führt die wenigen zurückgebliebenen Habseligkeiten als Beute mit. Wird zu¬
weilen von den Angegriffenen ein kurzer, vergeblicher Widerstand geleistet,
dann kehren die Sieger als Helden mit Ruhm beladen zurück.

Und warum werden solche Expeditionen unternommen? Meist weil irgend
ein Volksstamm die ihm aufgedrungene europäische Oberhoheit nicht aner¬
kennen will, eine Herrschaft, die sich nur durch solche barbarischen Mittel zu
behaupten weiß; oder die drohende Haltung eines Volkstammes jenseit unserer
Grenzen, seine Diebereien, Gewaltthaten, die Plünderung eines gestrandeten
Schiffs sollen bestraft werden, — gerade der letztere Frevel bleibt — nebenbei
bemerkt — an der europäischen Küste Hollands häufig unbestraft. Ein solcher
Fall aus den Colonien, der in den holländischen Zeitungen vielfach besprochen
wurde, möge zum Beispiel dienen.

Vor einigen Jahren schloß England mit den Niederlanden einen Ver¬
trag wegen eines Gebietsaustausches an der Küste von Guinea um die beider¬
seitigen Besitzungen: Se. George d'Elmina und Cape Coast Castle abzurun¬
den. Dadurch trat England an Holland den Landstrich Commendah gegen
ein anderes Areal ab. Die Commendesen waren inzwischen mit diesem
Wechsel nicht zufrieden und wünschten unter englischer Herrschaft zu bleiben.
Die Holländer aber pflanzten ihre Flagge zum Zeichen der Besitzergreifung
auf ein kleines verlassenes Fort in Commendah, das als einziger Ueberrest die
frühere Anwesenheit der Europäer bezeugte. Die Neger rissen die Flagge
herunter, nachdem die Holländer sich entfernt hatten. Diese That der Em¬
pörung gegen die ihnen aufgedrungene Herrschaft wurde von den Holländern
damit beantwortet, daß sie eine Expedition ins Land Commendah unter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/402>, abgerufen am 27.07.2024.