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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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charmos, der wenigstens im zartesten Alter nach Megara kam und dort, später
in Syrakus lebte, und der, mögen auch die dunkelsten Anfänge der Komödie
in dem Mutterlande Megara zu suchen sein, doch hier im sicilischen Megara
der älteste Lustspieldichter der Griechen wurde, nachdem ihm schon Aristoxenos
aus Selinunt, Megara's Pflanzstadt, vorgearbeitet hatte. Ihm schließen sich
für dieselbe Gattung an Phormis und Deinolochos, ferner der Mtmendichter
Sophron, alle aus Syrakus. Unter den Poeten des Mutterlandes, die wenig¬
stens für kürzere Zeit schon früher Sicilien besuchten, werden angeführt
Arion, Sappho, Theognis; der fürstlichen Einladung Hierons folgten die
Dichterheroen Simonides, Bacchylides, besonders aber Pindar, der mit dem
erhabenen Schwung seiner Muse das Glück, den Reichthum und die Gast¬
freundschaft der gesegneten Insel preist, während zugleich Aeschylos seine
Perser in dem neu erbauten Theater zu Syrakus aufführte. Dieses reiche
Wehen griechischen Geistes offenbart sich auch in den Werken der bildenden
Künste, und während die literarischen Kunstdenkmäler meist vom Sturme der
Zeiten dahin gerafft sind, hat das feste Gefüge des Kalksteines, den die ein¬
heimischen Baumeister zu prächtigen Hochbauten verbanden, der zerstörenden
Witterung besser widerstanden. Den Reisenden sind wohl bekannt die herr¬
liche Reihe finnischer Tempel in Egesta, Selinunt, Girgenti, Syrakus, an
30 meist wohlerhaltene Gebäude, alle von dorischem Stil und edlem Ge¬
schmack, fast mehr als in allen übrigen Ländern zusammen jetzt noch existiren,
zum Theil mit sculptischen Bildwerken geschmückt, serner die Theater in Egesta,
Syrakus, Catania und Taormina; dazu kommen die bürgerlichen Bauten,
wie die großartigen unterirdischen Wasserleitungen z. B. in Syrakus, Akra-
gas, erst durch neuere Forschung ans Licht gezogen, und die Grabmonu¬
mente mannichfaltigen Charakters. Unter den kleineren Denkmälern sind es
besonders die Münzen, in deren Bearbeitung die übrigen Griechen von den
Sikelioten übertroffen wurden. Sie zeichnen sich nicht nur durch die Rein¬
heit des Metalls und durch ihr Vollgewicht, sondern auch durch die Mannich-
faltigkeit und Sinnigkeit der Typen und durch die künstlerische Vollendung
des Stempels aus und bilden jetzt überall die glanzvollsten Abtheilungen der
numismatischen Sammlungen. Auch für bemalte Vasen ist Sicilien ein
äußerst ergiebiger Fundort geworden, doch bleibt es zweifelhaft, ob diese als
einheimisches Fabrikat aufzufassen sind oder nicht vielmehr als Import¬
artikel aus Korinth und Athen. In dieser Kunstthätigkeit erschöpfte sich,
wie es scheint, die Industrie der Sikelioten, die sonst über die Beschaffung
der täglichen Bedürfnisse wohl nicht hinausgegangen ist; der blühende Wohl¬
stand entstammte immer der Pflege des Ackerbaus und der Viehzucht, auch
der Seehandel beschränkte sich aus die Ausnutzung der gewonnenen Acker-


charmos, der wenigstens im zartesten Alter nach Megara kam und dort, später
in Syrakus lebte, und der, mögen auch die dunkelsten Anfänge der Komödie
in dem Mutterlande Megara zu suchen sein, doch hier im sicilischen Megara
der älteste Lustspieldichter der Griechen wurde, nachdem ihm schon Aristoxenos
aus Selinunt, Megara's Pflanzstadt, vorgearbeitet hatte. Ihm schließen sich
für dieselbe Gattung an Phormis und Deinolochos, ferner der Mtmendichter
Sophron, alle aus Syrakus. Unter den Poeten des Mutterlandes, die wenig¬
stens für kürzere Zeit schon früher Sicilien besuchten, werden angeführt
Arion, Sappho, Theognis; der fürstlichen Einladung Hierons folgten die
Dichterheroen Simonides, Bacchylides, besonders aber Pindar, der mit dem
erhabenen Schwung seiner Muse das Glück, den Reichthum und die Gast¬
freundschaft der gesegneten Insel preist, während zugleich Aeschylos seine
Perser in dem neu erbauten Theater zu Syrakus aufführte. Dieses reiche
Wehen griechischen Geistes offenbart sich auch in den Werken der bildenden
Künste, und während die literarischen Kunstdenkmäler meist vom Sturme der
Zeiten dahin gerafft sind, hat das feste Gefüge des Kalksteines, den die ein¬
heimischen Baumeister zu prächtigen Hochbauten verbanden, der zerstörenden
Witterung besser widerstanden. Den Reisenden sind wohl bekannt die herr¬
liche Reihe finnischer Tempel in Egesta, Selinunt, Girgenti, Syrakus, an
30 meist wohlerhaltene Gebäude, alle von dorischem Stil und edlem Ge¬
schmack, fast mehr als in allen übrigen Ländern zusammen jetzt noch existiren,
zum Theil mit sculptischen Bildwerken geschmückt, serner die Theater in Egesta,
Syrakus, Catania und Taormina; dazu kommen die bürgerlichen Bauten,
wie die großartigen unterirdischen Wasserleitungen z. B. in Syrakus, Akra-
gas, erst durch neuere Forschung ans Licht gezogen, und die Grabmonu¬
mente mannichfaltigen Charakters. Unter den kleineren Denkmälern sind es
besonders die Münzen, in deren Bearbeitung die übrigen Griechen von den
Sikelioten übertroffen wurden. Sie zeichnen sich nicht nur durch die Rein¬
heit des Metalls und durch ihr Vollgewicht, sondern auch durch die Mannich-
faltigkeit und Sinnigkeit der Typen und durch die künstlerische Vollendung
des Stempels aus und bilden jetzt überall die glanzvollsten Abtheilungen der
numismatischen Sammlungen. Auch für bemalte Vasen ist Sicilien ein
äußerst ergiebiger Fundort geworden, doch bleibt es zweifelhaft, ob diese als
einheimisches Fabrikat aufzufassen sind oder nicht vielmehr als Import¬
artikel aus Korinth und Athen. In dieser Kunstthätigkeit erschöpfte sich,
wie es scheint, die Industrie der Sikelioten, die sonst über die Beschaffung
der täglichen Bedürfnisse wohl nicht hinausgegangen ist; der blühende Wohl¬
stand entstammte immer der Pflege des Ackerbaus und der Viehzucht, auch
der Seehandel beschränkte sich aus die Ausnutzung der gewonnenen Acker-


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[0374] charmos, der wenigstens im zartesten Alter nach Megara kam und dort, später in Syrakus lebte, und der, mögen auch die dunkelsten Anfänge der Komödie in dem Mutterlande Megara zu suchen sein, doch hier im sicilischen Megara der älteste Lustspieldichter der Griechen wurde, nachdem ihm schon Aristoxenos aus Selinunt, Megara's Pflanzstadt, vorgearbeitet hatte. Ihm schließen sich für dieselbe Gattung an Phormis und Deinolochos, ferner der Mtmendichter Sophron, alle aus Syrakus. Unter den Poeten des Mutterlandes, die wenig¬ stens für kürzere Zeit schon früher Sicilien besuchten, werden angeführt Arion, Sappho, Theognis; der fürstlichen Einladung Hierons folgten die Dichterheroen Simonides, Bacchylides, besonders aber Pindar, der mit dem erhabenen Schwung seiner Muse das Glück, den Reichthum und die Gast¬ freundschaft der gesegneten Insel preist, während zugleich Aeschylos seine Perser in dem neu erbauten Theater zu Syrakus aufführte. Dieses reiche Wehen griechischen Geistes offenbart sich auch in den Werken der bildenden Künste, und während die literarischen Kunstdenkmäler meist vom Sturme der Zeiten dahin gerafft sind, hat das feste Gefüge des Kalksteines, den die ein¬ heimischen Baumeister zu prächtigen Hochbauten verbanden, der zerstörenden Witterung besser widerstanden. Den Reisenden sind wohl bekannt die herr¬ liche Reihe finnischer Tempel in Egesta, Selinunt, Girgenti, Syrakus, an 30 meist wohlerhaltene Gebäude, alle von dorischem Stil und edlem Ge¬ schmack, fast mehr als in allen übrigen Ländern zusammen jetzt noch existiren, zum Theil mit sculptischen Bildwerken geschmückt, serner die Theater in Egesta, Syrakus, Catania und Taormina; dazu kommen die bürgerlichen Bauten, wie die großartigen unterirdischen Wasserleitungen z. B. in Syrakus, Akra- gas, erst durch neuere Forschung ans Licht gezogen, und die Grabmonu¬ mente mannichfaltigen Charakters. Unter den kleineren Denkmälern sind es besonders die Münzen, in deren Bearbeitung die übrigen Griechen von den Sikelioten übertroffen wurden. Sie zeichnen sich nicht nur durch die Rein¬ heit des Metalls und durch ihr Vollgewicht, sondern auch durch die Mannich- faltigkeit und Sinnigkeit der Typen und durch die künstlerische Vollendung des Stempels aus und bilden jetzt überall die glanzvollsten Abtheilungen der numismatischen Sammlungen. Auch für bemalte Vasen ist Sicilien ein äußerst ergiebiger Fundort geworden, doch bleibt es zweifelhaft, ob diese als einheimisches Fabrikat aufzufassen sind oder nicht vielmehr als Import¬ artikel aus Korinth und Athen. In dieser Kunstthätigkeit erschöpfte sich, wie es scheint, die Industrie der Sikelioten, die sonst über die Beschaffung der täglichen Bedürfnisse wohl nicht hinausgegangen ist; der blühende Wohl¬ stand entstammte immer der Pflege des Ackerbaus und der Viehzucht, auch der Seehandel beschränkte sich aus die Ausnutzung der gewonnenen Acker-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/374>, abgerufen am 27.07.2024.