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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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getragen waren, um dann zu einem Gebilde von localer Eigenthümlich¬
keit zusammen zu wachsen. In der Vorzeit begegnen wir bereits einem aus.
gedehnten Kreise von Naturgöttern, den Göttern des Meeres, der frucht¬
baren Saaten, der vulkanischen Kräfte, welche die Schicksale der Jnselbewoh¬
ner regierten, vor allen der segenspendenden Göttin Demeter, deren Cult von
dem Verfasser mit Recht schon für jene Zeiten angenommen wird. Andere
Gottheiten brachten die Phönikier mit. zugleich die ihnen eigenthümliche
Culturzweige, wie Handel und Schifffahrt, sie deuteten die Producte ener-
gischer aus, führten neue ein; sie machten die Manufacturen der Weberei,
Färberei und der Glasbereitung einheimisch. Nicht unbedeutende Anfänge
der Baukunst und der Feldbearbeitung stammen aus jener Zeit, zum Theil
an den Namen des Dacdalus anknüpfend; mächtige kyklopische Mauern und
Polygone heilige Bauten sind noch heute dn vielen Punkten sichtbar; die über
das ganze Eiland zerstreuten kunstvollen Felsgrotten, von denen die des
Thales von Jspica die bedeutendsten sind, zeugen von der Sicherheit in der
Anlage der Wohnungen und von der Ehrfurcht, welche Siciliens Urbewohner
ihren Todten bewiesen. Ueber diese vorbereitenden Ursprünge ergoß sich sodann
der Strom des reichbewegter geistigen Lebens der Hellenen, unter dem glück¬
lichen Himmel reisten die mannichfaltigsten Culturblüthen. Der klare Aether
füllte sich mit den Gestalten der olympischen Götterwelt, an ihrer Spitze
stehen die drei schon im Homer mit einander verbundenen geistigsten Götter
Zeus, Apollon und Athene, welche mit Demeter und Persophone zusammen
den Reigen der Mischen Götter führten. Speciell der Insel eigenthümlich
ist die häufige Verehrung der Fluß- und Quellgottheiten. Die ernste
Schwester der Religion, die Philosophie, wurde von den kleinasiatischen Gegen¬
den nach Sicilien verpflanzt, und zwar durch Xenophanes, der in den Stävten
der Ostküste, zuletzt am Hofe Hierorts, seine kritischen Gedichte vortrug, und
durch ihn sowie durch Pythagoras ward eine Anregung gegeben, deren emi-
nente Fruchtbarkeit sich unter Andern in dem Akragantiner Empedocles,
einem der größten und merkwürdigsten Forscher des Alterthums, zeigte. Da¬
gegen ist die Kunst der Rede von dem sür Beredsamkeit außerordentlich be-
gabten Volk der Sikelioten eigentlich erfunden worden. Tisias und Korax
aus Syrakus wurden neben Empedocles die Begründer der künstlerischen
Rhetorik und in unglaublich kurzer Zeit war diese durch den Leontiner Gor-
gias hoch ausgebildet und erfreute sich in Athen der glücklichsten Erfolge.
An Dichtern, lyrischen wie dramatischen, die theils in Sicilien geboren waren,
theils sich dort zeitweilig aushielten und in den Palästen der Tyrannen die
ehrenvollste Stellung genossen, ist wahrlich kein Mangel. Von Sternen erster
Größe sind zu nennen der große melische Chordichter Stesichoros von
Himera, durch die Pracht seiner Worte als Sicilier erkennbar, dann Evi-


getragen waren, um dann zu einem Gebilde von localer Eigenthümlich¬
keit zusammen zu wachsen. In der Vorzeit begegnen wir bereits einem aus.
gedehnten Kreise von Naturgöttern, den Göttern des Meeres, der frucht¬
baren Saaten, der vulkanischen Kräfte, welche die Schicksale der Jnselbewoh¬
ner regierten, vor allen der segenspendenden Göttin Demeter, deren Cult von
dem Verfasser mit Recht schon für jene Zeiten angenommen wird. Andere
Gottheiten brachten die Phönikier mit. zugleich die ihnen eigenthümliche
Culturzweige, wie Handel und Schifffahrt, sie deuteten die Producte ener-
gischer aus, führten neue ein; sie machten die Manufacturen der Weberei,
Färberei und der Glasbereitung einheimisch. Nicht unbedeutende Anfänge
der Baukunst und der Feldbearbeitung stammen aus jener Zeit, zum Theil
an den Namen des Dacdalus anknüpfend; mächtige kyklopische Mauern und
Polygone heilige Bauten sind noch heute dn vielen Punkten sichtbar; die über
das ganze Eiland zerstreuten kunstvollen Felsgrotten, von denen die des
Thales von Jspica die bedeutendsten sind, zeugen von der Sicherheit in der
Anlage der Wohnungen und von der Ehrfurcht, welche Siciliens Urbewohner
ihren Todten bewiesen. Ueber diese vorbereitenden Ursprünge ergoß sich sodann
der Strom des reichbewegter geistigen Lebens der Hellenen, unter dem glück¬
lichen Himmel reisten die mannichfaltigsten Culturblüthen. Der klare Aether
füllte sich mit den Gestalten der olympischen Götterwelt, an ihrer Spitze
stehen die drei schon im Homer mit einander verbundenen geistigsten Götter
Zeus, Apollon und Athene, welche mit Demeter und Persophone zusammen
den Reigen der Mischen Götter führten. Speciell der Insel eigenthümlich
ist die häufige Verehrung der Fluß- und Quellgottheiten. Die ernste
Schwester der Religion, die Philosophie, wurde von den kleinasiatischen Gegen¬
den nach Sicilien verpflanzt, und zwar durch Xenophanes, der in den Stävten
der Ostküste, zuletzt am Hofe Hierorts, seine kritischen Gedichte vortrug, und
durch ihn sowie durch Pythagoras ward eine Anregung gegeben, deren emi-
nente Fruchtbarkeit sich unter Andern in dem Akragantiner Empedocles,
einem der größten und merkwürdigsten Forscher des Alterthums, zeigte. Da¬
gegen ist die Kunst der Rede von dem sür Beredsamkeit außerordentlich be-
gabten Volk der Sikelioten eigentlich erfunden worden. Tisias und Korax
aus Syrakus wurden neben Empedocles die Begründer der künstlerischen
Rhetorik und in unglaublich kurzer Zeit war diese durch den Leontiner Gor-
gias hoch ausgebildet und erfreute sich in Athen der glücklichsten Erfolge.
An Dichtern, lyrischen wie dramatischen, die theils in Sicilien geboren waren,
theils sich dort zeitweilig aushielten und in den Palästen der Tyrannen die
ehrenvollste Stellung genossen, ist wahrlich kein Mangel. Von Sternen erster
Größe sind zu nennen der große melische Chordichter Stesichoros von
Himera, durch die Pracht seiner Worte als Sicilier erkennbar, dann Evi-


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[0373] getragen waren, um dann zu einem Gebilde von localer Eigenthümlich¬ keit zusammen zu wachsen. In der Vorzeit begegnen wir bereits einem aus. gedehnten Kreise von Naturgöttern, den Göttern des Meeres, der frucht¬ baren Saaten, der vulkanischen Kräfte, welche die Schicksale der Jnselbewoh¬ ner regierten, vor allen der segenspendenden Göttin Demeter, deren Cult von dem Verfasser mit Recht schon für jene Zeiten angenommen wird. Andere Gottheiten brachten die Phönikier mit. zugleich die ihnen eigenthümliche Culturzweige, wie Handel und Schifffahrt, sie deuteten die Producte ener- gischer aus, führten neue ein; sie machten die Manufacturen der Weberei, Färberei und der Glasbereitung einheimisch. Nicht unbedeutende Anfänge der Baukunst und der Feldbearbeitung stammen aus jener Zeit, zum Theil an den Namen des Dacdalus anknüpfend; mächtige kyklopische Mauern und Polygone heilige Bauten sind noch heute dn vielen Punkten sichtbar; die über das ganze Eiland zerstreuten kunstvollen Felsgrotten, von denen die des Thales von Jspica die bedeutendsten sind, zeugen von der Sicherheit in der Anlage der Wohnungen und von der Ehrfurcht, welche Siciliens Urbewohner ihren Todten bewiesen. Ueber diese vorbereitenden Ursprünge ergoß sich sodann der Strom des reichbewegter geistigen Lebens der Hellenen, unter dem glück¬ lichen Himmel reisten die mannichfaltigsten Culturblüthen. Der klare Aether füllte sich mit den Gestalten der olympischen Götterwelt, an ihrer Spitze stehen die drei schon im Homer mit einander verbundenen geistigsten Götter Zeus, Apollon und Athene, welche mit Demeter und Persophone zusammen den Reigen der Mischen Götter führten. Speciell der Insel eigenthümlich ist die häufige Verehrung der Fluß- und Quellgottheiten. Die ernste Schwester der Religion, die Philosophie, wurde von den kleinasiatischen Gegen¬ den nach Sicilien verpflanzt, und zwar durch Xenophanes, der in den Stävten der Ostküste, zuletzt am Hofe Hierorts, seine kritischen Gedichte vortrug, und durch ihn sowie durch Pythagoras ward eine Anregung gegeben, deren emi- nente Fruchtbarkeit sich unter Andern in dem Akragantiner Empedocles, einem der größten und merkwürdigsten Forscher des Alterthums, zeigte. Da¬ gegen ist die Kunst der Rede von dem sür Beredsamkeit außerordentlich be- gabten Volk der Sikelioten eigentlich erfunden worden. Tisias und Korax aus Syrakus wurden neben Empedocles die Begründer der künstlerischen Rhetorik und in unglaublich kurzer Zeit war diese durch den Leontiner Gor- gias hoch ausgebildet und erfreute sich in Athen der glücklichsten Erfolge. An Dichtern, lyrischen wie dramatischen, die theils in Sicilien geboren waren, theils sich dort zeitweilig aushielten und in den Palästen der Tyrannen die ehrenvollste Stellung genossen, ist wahrlich kein Mangel. Von Sternen erster Größe sind zu nennen der große melische Chordichter Stesichoros von Himera, durch die Pracht seiner Worte als Sicilier erkennbar, dann Evi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/373>, abgerufen am 01.09.2024.