Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

edle Städte sterben dahin, und zu gleicher Zeit wuchert fast überall das
charakteristische Uebel Siciliens, das Gifttrank der Tyrannis, auf Unter¬
drückung und Grausamkeit gegründet. Aus dieser Zeit der Währung und
des Wirrwarrs entwickeln sich aber herrliche Blüthen der Machtstellung und
einzelne prachtvolle Momente patriotischer Begeisterung; der karthagische
Reichsfeind, zwar von verrätherischen einheimischen Fürsten gerufen, wird
durch das fast ganz geeinigte griechische Sicilien eben so glänzend zurück^
geworfen, wie der prahlerische Perser an demselben Tage aus dem helleni¬
schen Mutterlande, und die Könige von Syrakus und Akragas, obgleich sie
ihre Herrschaft auf den Trümmern der Volksfreiheit errichteten, versuchten
doch Größeres an deren Stelle zu setzen und gaben ein seltenes Beispiel
freundschaftlichen gemeinsamen Wirkens. Ein nationales Westreich sollte ge¬
gründet werden, daher wurde ein Heer und eine Flotte geschaffen, ein
Staatsschatz gegründet; die stolze Seemacht bewährte sich in der Unter¬
drückung der tyrrhenischen Piratensegler; die Fühlung mit den großen
östlichen Centren des Griechenthums, mit Delphi und Olympia, wurde
gepflegt, die königlichen Rosse siegten in den größten Nationalspielen am
Ufer des Alpheios, die Städte wurden zu mächtigen Capitälen vergrößert
und neue gegründet, und damit all dieser Machtentfaltung und Schau¬
stellung die Weihe der Musen nicht fehle, zog man die größten Dichter und
Weisen der Nation aus der Nähe und Ferne heran, die Musenhöfe Hierons
von Syrakus und Therons von Akragas sind' das Großartigste, was das
unabhängige Griechenland in dieser Art gesehen hat. Doch der freie Bürger-
sinn ertrug auch die glänzendste Herrschaft nicht, die Tyrannen wurden ver¬
jagt und es folgt eine Zeit der Sammlung, durch größere Ereignisse nicht
ausgezeichnet; daß aber die Kräfte nicht brach lagen, zeigt der Heldensinn,
der in dem großen Trauerspiel der athenischen Expedition den schwierigen
Feind bezwang. Diese Katastrophe wird den Anfang des zweiten Theiles
bilden, mit dem der Verfasser nicht allzulange zögern möge.

Vielleicht den interessantesten Theil der Geschichte Altsiciliens bildet der
culturhistorische Inhalt derselben, den Herr Holm gleichfalls mit großer Sorg¬
falt bearbeitet hat. Das Material, welches sich zusammensetzt aus den Nach¬
richten der Alten und aus den bis heut erhaltenen Denkmälern und Resten
in Stein, Schrift, Metall und Thon liegt hier ganz besonders reichlich und
nach einigen wichtigen Richtungen sind die Sikelioten Erfinder oder größte
Vollender, Eigenschaften, die allein schon genügen, ihnen einen bedeutenden
Rang in der Geschichte der Menschheit anzuweisen. In sechs inhaltsreichen
Capiteln wird uns für drei Perioden, für die älteste, die erste griechische
und die jüngere Blüthezeit, das farbenreiche Bild der geistigen Strebungen
vorgeführt, zu denen die Keime aus allen Ländern des Mittelmeeres herzu-


edle Städte sterben dahin, und zu gleicher Zeit wuchert fast überall das
charakteristische Uebel Siciliens, das Gifttrank der Tyrannis, auf Unter¬
drückung und Grausamkeit gegründet. Aus dieser Zeit der Währung und
des Wirrwarrs entwickeln sich aber herrliche Blüthen der Machtstellung und
einzelne prachtvolle Momente patriotischer Begeisterung; der karthagische
Reichsfeind, zwar von verrätherischen einheimischen Fürsten gerufen, wird
durch das fast ganz geeinigte griechische Sicilien eben so glänzend zurück^
geworfen, wie der prahlerische Perser an demselben Tage aus dem helleni¬
schen Mutterlande, und die Könige von Syrakus und Akragas, obgleich sie
ihre Herrschaft auf den Trümmern der Volksfreiheit errichteten, versuchten
doch Größeres an deren Stelle zu setzen und gaben ein seltenes Beispiel
freundschaftlichen gemeinsamen Wirkens. Ein nationales Westreich sollte ge¬
gründet werden, daher wurde ein Heer und eine Flotte geschaffen, ein
Staatsschatz gegründet; die stolze Seemacht bewährte sich in der Unter¬
drückung der tyrrhenischen Piratensegler; die Fühlung mit den großen
östlichen Centren des Griechenthums, mit Delphi und Olympia, wurde
gepflegt, die königlichen Rosse siegten in den größten Nationalspielen am
Ufer des Alpheios, die Städte wurden zu mächtigen Capitälen vergrößert
und neue gegründet, und damit all dieser Machtentfaltung und Schau¬
stellung die Weihe der Musen nicht fehle, zog man die größten Dichter und
Weisen der Nation aus der Nähe und Ferne heran, die Musenhöfe Hierons
von Syrakus und Therons von Akragas sind' das Großartigste, was das
unabhängige Griechenland in dieser Art gesehen hat. Doch der freie Bürger-
sinn ertrug auch die glänzendste Herrschaft nicht, die Tyrannen wurden ver¬
jagt und es folgt eine Zeit der Sammlung, durch größere Ereignisse nicht
ausgezeichnet; daß aber die Kräfte nicht brach lagen, zeigt der Heldensinn,
der in dem großen Trauerspiel der athenischen Expedition den schwierigen
Feind bezwang. Diese Katastrophe wird den Anfang des zweiten Theiles
bilden, mit dem der Verfasser nicht allzulange zögern möge.

Vielleicht den interessantesten Theil der Geschichte Altsiciliens bildet der
culturhistorische Inhalt derselben, den Herr Holm gleichfalls mit großer Sorg¬
falt bearbeitet hat. Das Material, welches sich zusammensetzt aus den Nach¬
richten der Alten und aus den bis heut erhaltenen Denkmälern und Resten
in Stein, Schrift, Metall und Thon liegt hier ganz besonders reichlich und
nach einigen wichtigen Richtungen sind die Sikelioten Erfinder oder größte
Vollender, Eigenschaften, die allein schon genügen, ihnen einen bedeutenden
Rang in der Geschichte der Menschheit anzuweisen. In sechs inhaltsreichen
Capiteln wird uns für drei Perioden, für die älteste, die erste griechische
und die jüngere Blüthezeit, das farbenreiche Bild der geistigen Strebungen
vorgeführt, zu denen die Keime aus allen Ländern des Mittelmeeres herzu-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0372" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123992"/>
          <p xml:id="ID_1098" prev="#ID_1097"> edle Städte sterben dahin, und zu gleicher Zeit wuchert fast überall das<lb/>
charakteristische Uebel Siciliens, das Gifttrank der Tyrannis, auf Unter¬<lb/>
drückung und Grausamkeit gegründet. Aus dieser Zeit der Währung und<lb/>
des Wirrwarrs entwickeln sich aber herrliche Blüthen der Machtstellung und<lb/>
einzelne prachtvolle Momente patriotischer Begeisterung; der karthagische<lb/>
Reichsfeind, zwar von verrätherischen einheimischen Fürsten gerufen, wird<lb/>
durch das fast ganz geeinigte griechische Sicilien eben so glänzend zurück^<lb/>
geworfen, wie der prahlerische Perser an demselben Tage aus dem helleni¬<lb/>
schen Mutterlande, und die Könige von Syrakus und Akragas, obgleich sie<lb/>
ihre Herrschaft auf den Trümmern der Volksfreiheit errichteten, versuchten<lb/>
doch Größeres an deren Stelle zu setzen und gaben ein seltenes Beispiel<lb/>
freundschaftlichen gemeinsamen Wirkens. Ein nationales Westreich sollte ge¬<lb/>
gründet werden, daher wurde ein Heer und eine Flotte geschaffen, ein<lb/>
Staatsschatz gegründet; die stolze Seemacht bewährte sich in der Unter¬<lb/>
drückung der tyrrhenischen Piratensegler; die Fühlung mit den großen<lb/>
östlichen Centren des Griechenthums, mit Delphi und Olympia, wurde<lb/>
gepflegt, die königlichen Rosse siegten in den größten Nationalspielen am<lb/>
Ufer des Alpheios, die Städte wurden zu mächtigen Capitälen vergrößert<lb/>
und neue gegründet, und damit all dieser Machtentfaltung und Schau¬<lb/>
stellung die Weihe der Musen nicht fehle, zog man die größten Dichter und<lb/>
Weisen der Nation aus der Nähe und Ferne heran, die Musenhöfe Hierons<lb/>
von Syrakus und Therons von Akragas sind' das Großartigste, was das<lb/>
unabhängige Griechenland in dieser Art gesehen hat. Doch der freie Bürger-<lb/>
sinn ertrug auch die glänzendste Herrschaft nicht, die Tyrannen wurden ver¬<lb/>
jagt und es folgt eine Zeit der Sammlung, durch größere Ereignisse nicht<lb/>
ausgezeichnet; daß aber die Kräfte nicht brach lagen, zeigt der Heldensinn,<lb/>
der in dem großen Trauerspiel der athenischen Expedition den schwierigen<lb/>
Feind bezwang. Diese Katastrophe wird den Anfang des zweiten Theiles<lb/>
bilden, mit dem der Verfasser nicht allzulange zögern möge.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1099" next="#ID_1100"> Vielleicht den interessantesten Theil der Geschichte Altsiciliens bildet der<lb/>
culturhistorische Inhalt derselben, den Herr Holm gleichfalls mit großer Sorg¬<lb/>
falt bearbeitet hat. Das Material, welches sich zusammensetzt aus den Nach¬<lb/>
richten der Alten und aus den bis heut erhaltenen Denkmälern und Resten<lb/>
in Stein, Schrift, Metall und Thon liegt hier ganz besonders reichlich und<lb/>
nach einigen wichtigen Richtungen sind die Sikelioten Erfinder oder größte<lb/>
Vollender, Eigenschaften, die allein schon genügen, ihnen einen bedeutenden<lb/>
Rang in der Geschichte der Menschheit anzuweisen. In sechs inhaltsreichen<lb/>
Capiteln wird uns für drei Perioden, für die älteste, die erste griechische<lb/>
und die jüngere Blüthezeit, das farbenreiche Bild der geistigen Strebungen<lb/>
vorgeführt, zu denen die Keime aus allen Ländern des Mittelmeeres herzu-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0372] edle Städte sterben dahin, und zu gleicher Zeit wuchert fast überall das charakteristische Uebel Siciliens, das Gifttrank der Tyrannis, auf Unter¬ drückung und Grausamkeit gegründet. Aus dieser Zeit der Währung und des Wirrwarrs entwickeln sich aber herrliche Blüthen der Machtstellung und einzelne prachtvolle Momente patriotischer Begeisterung; der karthagische Reichsfeind, zwar von verrätherischen einheimischen Fürsten gerufen, wird durch das fast ganz geeinigte griechische Sicilien eben so glänzend zurück^ geworfen, wie der prahlerische Perser an demselben Tage aus dem helleni¬ schen Mutterlande, und die Könige von Syrakus und Akragas, obgleich sie ihre Herrschaft auf den Trümmern der Volksfreiheit errichteten, versuchten doch Größeres an deren Stelle zu setzen und gaben ein seltenes Beispiel freundschaftlichen gemeinsamen Wirkens. Ein nationales Westreich sollte ge¬ gründet werden, daher wurde ein Heer und eine Flotte geschaffen, ein Staatsschatz gegründet; die stolze Seemacht bewährte sich in der Unter¬ drückung der tyrrhenischen Piratensegler; die Fühlung mit den großen östlichen Centren des Griechenthums, mit Delphi und Olympia, wurde gepflegt, die königlichen Rosse siegten in den größten Nationalspielen am Ufer des Alpheios, die Städte wurden zu mächtigen Capitälen vergrößert und neue gegründet, und damit all dieser Machtentfaltung und Schau¬ stellung die Weihe der Musen nicht fehle, zog man die größten Dichter und Weisen der Nation aus der Nähe und Ferne heran, die Musenhöfe Hierons von Syrakus und Therons von Akragas sind' das Großartigste, was das unabhängige Griechenland in dieser Art gesehen hat. Doch der freie Bürger- sinn ertrug auch die glänzendste Herrschaft nicht, die Tyrannen wurden ver¬ jagt und es folgt eine Zeit der Sammlung, durch größere Ereignisse nicht ausgezeichnet; daß aber die Kräfte nicht brach lagen, zeigt der Heldensinn, der in dem großen Trauerspiel der athenischen Expedition den schwierigen Feind bezwang. Diese Katastrophe wird den Anfang des zweiten Theiles bilden, mit dem der Verfasser nicht allzulange zögern möge. Vielleicht den interessantesten Theil der Geschichte Altsiciliens bildet der culturhistorische Inhalt derselben, den Herr Holm gleichfalls mit großer Sorg¬ falt bearbeitet hat. Das Material, welches sich zusammensetzt aus den Nach¬ richten der Alten und aus den bis heut erhaltenen Denkmälern und Resten in Stein, Schrift, Metall und Thon liegt hier ganz besonders reichlich und nach einigen wichtigen Richtungen sind die Sikelioten Erfinder oder größte Vollender, Eigenschaften, die allein schon genügen, ihnen einen bedeutenden Rang in der Geschichte der Menschheit anzuweisen. In sechs inhaltsreichen Capiteln wird uns für drei Perioden, für die älteste, die erste griechische und die jüngere Blüthezeit, das farbenreiche Bild der geistigen Strebungen vorgeführt, zu denen die Keime aus allen Ländern des Mittelmeeres herzu-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/372
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/372>, abgerufen am 01.09.2024.