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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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das jetzige Verhältniß der Stimmen in einer für die Deutschen verderblichen
Weise umgestalten, möglicherweise sogar mehr als zwei Drittheile in die sla¬
vischen Hände spielen und zur Abschaffung des Reicksraths und Anbahnung
des Föderalismus führen. Wenn aber das deutsche Element in Oestreich nicht
anders zu halten ist. als durch künstliche Wahlordnungen und halbfeudale
Gruppenbildung, so zeigt sich überhaupt wenig Hoffnung für den Fortbestand
ein^s Reiches, das mehr dem glücklichen Zufall, als der innern Nothwendig¬
keit seine Entstehung verdankt. Sein Bindemittel kann fortan nur ein geisti¬
ges, aber nicht die Erhaltung veralteter Privilegien und Zustände sein, nur
im gemeinsamen Fortschritt zu höherer Entwickelung und Bildung liegt die
Bedingung der Einigung so verschiedenartiger Racen und Volksstämme. Na¬
tionalitäten, deren Idiom noch an die Anfänge der Sprachbildung erinnert,
und der Mittel entbehrt, mit den civilisirten Völkern Europas auf eine
gleiche Culturstufe zu setzen, können kein Recht beanspruchen, kleine Staaten
im Staate zu bilden und seine Machtstellung zu beeinträchtigen; sie müssen
sich schließlich dem Interesse des Ganzen fügen, das im Grunde auch ihr
eigenes ist. Die organischen Einrichtungen in Angelegenheiten der Schule
und Kirche, der Verwaltung und Justiz, der Gewerbe und des Handels wer¬
den auch ihnen zu gute kommen, Freiheit und Wohlstand gewähren. Wenn
das größte Glück dieser nichtdeutschen Racen darin besteht, daß ein Theil von
Böhmen und Mähren czechisch, Galizien polnisch, Slovenien slavisch und an"
dere Duodeznationen in anderen Zungen sprechen, kann man ihnen diese
Nationale Marotte wohl lassen, sie werden doch einmal zur Erkenntniß kom¬
men, wie wenig das hilft. Im Großen und Ganzen müssen sie sich aber dem
Fortschritt der Civilisation fügen, selbst auf die Gefahr hin, manche slavische
Eigenthümlichkeit zu verlieren. Warum griff man denn nicht zurück auf den
Berfassungsentwurf des kremsierer Reichstages, wodurch sich alle Parteien,
die Deutschen nicht ausgeschlossen, befriedigt hielten? Er theilte die westliche
Hälfte des Reiches in Kreise mit besonderer Berücksichtigung der verschiede¬
nen Nationalitäten, und bildete eine Volkskammer aus directen Wahlen der
größeren Orte und der übrigen Bevölkerung. Wenn die Bürgerminister doch
einmal directe Wahlen in ihr Programm aufnahmen, und zur Erhaltung der
Neichsvertretung für nöthig hielten, lag dafür der Gedanke des kremsierer
Entwurfs näher als eine zweite Auflage der Februarverfassung. Eine den
individuellen Verhältnissen Galiziens entsprechende administrative Ordnung
War dadurch nicht ausgeschlossen.

Dr. Giskra hielt aber an den Formen der Februar- und Decemberver-
sassung mit alleiniger Ausnahme der directen Wahlen aus den Gruppen fest,
wogegen Graf Beust auf das angebliche Recht der Landtage zu Vornahme
der Wahl verwies. Da auch der Kaiser ohne die Landtage über diesen
streitigen Punkt nicht entscheiden wollte, erbat Giskra seine Entlassung,
welchem Beispiele nach dem Austritte der Polen und einiger anderer Oppo¬
nenten und dem Scheitern eines Nothwahlgesetzes die übrigen vier Bürger¬
minister folgten.

Damit war nun der großen Ausgletchsaction des Grafen Beust, der
hiefür seine Adjutanten Potocki und Taaffe ins cisleithanische Ministerium


das jetzige Verhältniß der Stimmen in einer für die Deutschen verderblichen
Weise umgestalten, möglicherweise sogar mehr als zwei Drittheile in die sla¬
vischen Hände spielen und zur Abschaffung des Reicksraths und Anbahnung
des Föderalismus führen. Wenn aber das deutsche Element in Oestreich nicht
anders zu halten ist. als durch künstliche Wahlordnungen und halbfeudale
Gruppenbildung, so zeigt sich überhaupt wenig Hoffnung für den Fortbestand
ein^s Reiches, das mehr dem glücklichen Zufall, als der innern Nothwendig¬
keit seine Entstehung verdankt. Sein Bindemittel kann fortan nur ein geisti¬
ges, aber nicht die Erhaltung veralteter Privilegien und Zustände sein, nur
im gemeinsamen Fortschritt zu höherer Entwickelung und Bildung liegt die
Bedingung der Einigung so verschiedenartiger Racen und Volksstämme. Na¬
tionalitäten, deren Idiom noch an die Anfänge der Sprachbildung erinnert,
und der Mittel entbehrt, mit den civilisirten Völkern Europas auf eine
gleiche Culturstufe zu setzen, können kein Recht beanspruchen, kleine Staaten
im Staate zu bilden und seine Machtstellung zu beeinträchtigen; sie müssen
sich schließlich dem Interesse des Ganzen fügen, das im Grunde auch ihr
eigenes ist. Die organischen Einrichtungen in Angelegenheiten der Schule
und Kirche, der Verwaltung und Justiz, der Gewerbe und des Handels wer¬
den auch ihnen zu gute kommen, Freiheit und Wohlstand gewähren. Wenn
das größte Glück dieser nichtdeutschen Racen darin besteht, daß ein Theil von
Böhmen und Mähren czechisch, Galizien polnisch, Slovenien slavisch und an»
dere Duodeznationen in anderen Zungen sprechen, kann man ihnen diese
Nationale Marotte wohl lassen, sie werden doch einmal zur Erkenntniß kom¬
men, wie wenig das hilft. Im Großen und Ganzen müssen sie sich aber dem
Fortschritt der Civilisation fügen, selbst auf die Gefahr hin, manche slavische
Eigenthümlichkeit zu verlieren. Warum griff man denn nicht zurück auf den
Berfassungsentwurf des kremsierer Reichstages, wodurch sich alle Parteien,
die Deutschen nicht ausgeschlossen, befriedigt hielten? Er theilte die westliche
Hälfte des Reiches in Kreise mit besonderer Berücksichtigung der verschiede¬
nen Nationalitäten, und bildete eine Volkskammer aus directen Wahlen der
größeren Orte und der übrigen Bevölkerung. Wenn die Bürgerminister doch
einmal directe Wahlen in ihr Programm aufnahmen, und zur Erhaltung der
Neichsvertretung für nöthig hielten, lag dafür der Gedanke des kremsierer
Entwurfs näher als eine zweite Auflage der Februarverfassung. Eine den
individuellen Verhältnissen Galiziens entsprechende administrative Ordnung
War dadurch nicht ausgeschlossen.

Dr. Giskra hielt aber an den Formen der Februar- und Decemberver-
sassung mit alleiniger Ausnahme der directen Wahlen aus den Gruppen fest,
wogegen Graf Beust auf das angebliche Recht der Landtage zu Vornahme
der Wahl verwies. Da auch der Kaiser ohne die Landtage über diesen
streitigen Punkt nicht entscheiden wollte, erbat Giskra seine Entlassung,
welchem Beispiele nach dem Austritte der Polen und einiger anderer Oppo¬
nenten und dem Scheitern eines Nothwahlgesetzes die übrigen vier Bürger¬
minister folgten.

Damit war nun der großen Ausgletchsaction des Grafen Beust, der
hiefür seine Adjutanten Potocki und Taaffe ins cisleithanische Ministerium


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[0365] das jetzige Verhältniß der Stimmen in einer für die Deutschen verderblichen Weise umgestalten, möglicherweise sogar mehr als zwei Drittheile in die sla¬ vischen Hände spielen und zur Abschaffung des Reicksraths und Anbahnung des Föderalismus führen. Wenn aber das deutsche Element in Oestreich nicht anders zu halten ist. als durch künstliche Wahlordnungen und halbfeudale Gruppenbildung, so zeigt sich überhaupt wenig Hoffnung für den Fortbestand ein^s Reiches, das mehr dem glücklichen Zufall, als der innern Nothwendig¬ keit seine Entstehung verdankt. Sein Bindemittel kann fortan nur ein geisti¬ ges, aber nicht die Erhaltung veralteter Privilegien und Zustände sein, nur im gemeinsamen Fortschritt zu höherer Entwickelung und Bildung liegt die Bedingung der Einigung so verschiedenartiger Racen und Volksstämme. Na¬ tionalitäten, deren Idiom noch an die Anfänge der Sprachbildung erinnert, und der Mittel entbehrt, mit den civilisirten Völkern Europas auf eine gleiche Culturstufe zu setzen, können kein Recht beanspruchen, kleine Staaten im Staate zu bilden und seine Machtstellung zu beeinträchtigen; sie müssen sich schließlich dem Interesse des Ganzen fügen, das im Grunde auch ihr eigenes ist. Die organischen Einrichtungen in Angelegenheiten der Schule und Kirche, der Verwaltung und Justiz, der Gewerbe und des Handels wer¬ den auch ihnen zu gute kommen, Freiheit und Wohlstand gewähren. Wenn das größte Glück dieser nichtdeutschen Racen darin besteht, daß ein Theil von Böhmen und Mähren czechisch, Galizien polnisch, Slovenien slavisch und an» dere Duodeznationen in anderen Zungen sprechen, kann man ihnen diese Nationale Marotte wohl lassen, sie werden doch einmal zur Erkenntniß kom¬ men, wie wenig das hilft. Im Großen und Ganzen müssen sie sich aber dem Fortschritt der Civilisation fügen, selbst auf die Gefahr hin, manche slavische Eigenthümlichkeit zu verlieren. Warum griff man denn nicht zurück auf den Berfassungsentwurf des kremsierer Reichstages, wodurch sich alle Parteien, die Deutschen nicht ausgeschlossen, befriedigt hielten? Er theilte die westliche Hälfte des Reiches in Kreise mit besonderer Berücksichtigung der verschiede¬ nen Nationalitäten, und bildete eine Volkskammer aus directen Wahlen der größeren Orte und der übrigen Bevölkerung. Wenn die Bürgerminister doch einmal directe Wahlen in ihr Programm aufnahmen, und zur Erhaltung der Neichsvertretung für nöthig hielten, lag dafür der Gedanke des kremsierer Entwurfs näher als eine zweite Auflage der Februarverfassung. Eine den individuellen Verhältnissen Galiziens entsprechende administrative Ordnung War dadurch nicht ausgeschlossen. Dr. Giskra hielt aber an den Formen der Februar- und Decemberver- sassung mit alleiniger Ausnahme der directen Wahlen aus den Gruppen fest, wogegen Graf Beust auf das angebliche Recht der Landtage zu Vornahme der Wahl verwies. Da auch der Kaiser ohne die Landtage über diesen streitigen Punkt nicht entscheiden wollte, erbat Giskra seine Entlassung, welchem Beispiele nach dem Austritte der Polen und einiger anderer Oppo¬ nenten und dem Scheitern eines Nothwahlgesetzes die übrigen vier Bürger¬ minister folgten. Damit war nun der großen Ausgletchsaction des Grafen Beust, der hiefür seine Adjutanten Potocki und Taaffe ins cisleithanische Ministerium

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/365>, abgerufen am 27.07.2024.