Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.Strömung des deutschen Liberalismus nachzugeben; die Wiederherstellung ver¬ Strömung des deutschen Liberalismus nachzugeben; die Wiederherstellung ver¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0362" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123982"/> <p xml:id="ID_1078" prev="#ID_1077" next="#ID_1079"> Strömung des deutschen Liberalismus nachzugeben; die Wiederherstellung ver¬<lb/> fassungsmäßiger Zustände erfolgte zwar durch ihn, doch wie sich später zeigte,<lb/> um sich selbst festzusetzen, nicht die Verfassung. Wenn er auch in Folge<lb/> des vollzogenen Ausgleichs mit Ungarn aus dem cisleithanischen Ministerium<lb/> auftrat, dachte er, an die Spitze der Reichsgeschäfte gestellt, doch keineswegs<lb/> die Zügel der obersten Leitung aus den Händen zu geben; seinem Ehrgeiz war<lb/> volles Genüge geschehen, sein Haushalt bestellt, für'die Umkehr ins reactio-<lb/> näre Geleise, die seinen früheren Wendungen entsprach, meinte er später zu sorgen.<lb/> Das nach der Revision der Verfassung eingetretene Bürgerministerium lieh ihm<lb/> durch die beiden aus Rücksicht für den Hof und für Polen darin aufgenom¬<lb/> menen feudalen Elemente Taaffe und Potocki und ihren Advokaten Berger,<lb/> eine willkommene Handhabe. Dazu kam die doctrinäre Schwäche des Mi¬<lb/> nisteriums. Durch die Gesetze, die theils mit dem verbesserten Reichsstatut,<lb/> theils in dessen Ausführung deererirt wurden, glaubte es alles geleistet zu<lb/> haben, was man von einer liberalen Regierung fordern konnte, ihre Durch¬<lb/> führung und Befestigung sollte sich durch ihren inneren Werth und ihre auf¬<lb/> klärende Wirkung mit der Zeit von selbst ergeben; die Bürgerminister hielten<lb/> es sogar für ihre Ausgabe, durch allseitige Nachgiebigkeit und eine bis zum<lb/> Aeußersten gestattete Entwickelung der feudalen und nationalen Opposition<lb/> sich den Preis der vollsten Unparteilichkeit und liberalen Achtung jeder, auch<lb/> der feindlichsten Partei zu wahren. Für die Reaction in Czechien, Polen,<lb/> Slovenien und Tirol war der Reichsrath der hauptsächliche Stein des An¬<lb/> stoßes. Eine Reichsvertretung, worin das deutsche Culturelement die Ober¬<lb/> hand behielt, und Gesetze und Einrichtungen beschlossen wurden, die auch<lb/> halbrohe oder am Gängelbande des Vorurtheils und Aberglaubens geführte<lb/> Nationalitäten der Bildung und Aufklärung gewinnen und zur Abschütte-<lb/> lung des alten Joches erziehen sollten, drückte sie wie ein Alp. Das Volk,<lb/> die unverständige und willenlose Masse war der Reaction nur so lange<lb/> sicher, als diese die Entwickelung seiner geistigen Kräfte hemmen durfte, dies<lb/> hieß ihr die Landesautonomie. Nach oben wußte sie ihren Ansichten dadurch<lb/> Eingang zu verschaffen, daß sie vorstellte, die verschiedenen Nationalitäten<lb/> sträubten sich gegen die Herrschaft der Deutschen, ja gegen jeden Fortschritt<lb/> überhaupt, die Emancipation des Bürgers und Bauern vom feudalen und<lb/> cleriealen Drucke bedeute den Umsturz der Dynastie. Um nun recht deutlich<lb/> zu zeigen, daß auch das sogenannte Volk sich gegen den Reichsrath auflehne,<lb/> ließ man es an Umtrieben aller Art nicht fehlen, wobei das eifrigste Bestreben<lb/> darauf hinaus lief, dem Reichsrath seine Mitglieder abtrünnig und sein Fort¬<lb/> bestehen unmöglich zu machen. Den besten Hebel liehen die Polen, die sofort<lb/> gegen ihn eine eigene Stellung und eigene Rechte beanspruchten; ihnen zur<lb/> Seite standen die Ritter der alten Wenzelskrone, die störrigen Slovenen, die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0362]
Strömung des deutschen Liberalismus nachzugeben; die Wiederherstellung ver¬
fassungsmäßiger Zustände erfolgte zwar durch ihn, doch wie sich später zeigte,
um sich selbst festzusetzen, nicht die Verfassung. Wenn er auch in Folge
des vollzogenen Ausgleichs mit Ungarn aus dem cisleithanischen Ministerium
auftrat, dachte er, an die Spitze der Reichsgeschäfte gestellt, doch keineswegs
die Zügel der obersten Leitung aus den Händen zu geben; seinem Ehrgeiz war
volles Genüge geschehen, sein Haushalt bestellt, für'die Umkehr ins reactio-
näre Geleise, die seinen früheren Wendungen entsprach, meinte er später zu sorgen.
Das nach der Revision der Verfassung eingetretene Bürgerministerium lieh ihm
durch die beiden aus Rücksicht für den Hof und für Polen darin aufgenom¬
menen feudalen Elemente Taaffe und Potocki und ihren Advokaten Berger,
eine willkommene Handhabe. Dazu kam die doctrinäre Schwäche des Mi¬
nisteriums. Durch die Gesetze, die theils mit dem verbesserten Reichsstatut,
theils in dessen Ausführung deererirt wurden, glaubte es alles geleistet zu
haben, was man von einer liberalen Regierung fordern konnte, ihre Durch¬
führung und Befestigung sollte sich durch ihren inneren Werth und ihre auf¬
klärende Wirkung mit der Zeit von selbst ergeben; die Bürgerminister hielten
es sogar für ihre Ausgabe, durch allseitige Nachgiebigkeit und eine bis zum
Aeußersten gestattete Entwickelung der feudalen und nationalen Opposition
sich den Preis der vollsten Unparteilichkeit und liberalen Achtung jeder, auch
der feindlichsten Partei zu wahren. Für die Reaction in Czechien, Polen,
Slovenien und Tirol war der Reichsrath der hauptsächliche Stein des An¬
stoßes. Eine Reichsvertretung, worin das deutsche Culturelement die Ober¬
hand behielt, und Gesetze und Einrichtungen beschlossen wurden, die auch
halbrohe oder am Gängelbande des Vorurtheils und Aberglaubens geführte
Nationalitäten der Bildung und Aufklärung gewinnen und zur Abschütte-
lung des alten Joches erziehen sollten, drückte sie wie ein Alp. Das Volk,
die unverständige und willenlose Masse war der Reaction nur so lange
sicher, als diese die Entwickelung seiner geistigen Kräfte hemmen durfte, dies
hieß ihr die Landesautonomie. Nach oben wußte sie ihren Ansichten dadurch
Eingang zu verschaffen, daß sie vorstellte, die verschiedenen Nationalitäten
sträubten sich gegen die Herrschaft der Deutschen, ja gegen jeden Fortschritt
überhaupt, die Emancipation des Bürgers und Bauern vom feudalen und
cleriealen Drucke bedeute den Umsturz der Dynastie. Um nun recht deutlich
zu zeigen, daß auch das sogenannte Volk sich gegen den Reichsrath auflehne,
ließ man es an Umtrieben aller Art nicht fehlen, wobei das eifrigste Bestreben
darauf hinaus lief, dem Reichsrath seine Mitglieder abtrünnig und sein Fort¬
bestehen unmöglich zu machen. Den besten Hebel liehen die Polen, die sofort
gegen ihn eine eigene Stellung und eigene Rechte beanspruchten; ihnen zur
Seite standen die Ritter der alten Wenzelskrone, die störrigen Slovenen, die
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