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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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gebracht und beschäftigt, etablirt und cultivirt, die Vögel in Cassel wider
Willen in die Käfige gebracht, nicht um hier Gemach und Ergehen zu finden,
sondern um gefangen gehalten und weitweg verkauft zu werden. Indem
Plundersweilern mit der Zunahme seiner Wohnhäuser und Gassen und der
in ihnen sich häufenden Bevölkerung den gehäuften Vogelbauern der kleinen
am stärksten mit Militärgebäuden versehenen Residenz und ihrer Entleerung
von den zur Veräußerung bestimmten Käfigbewohnern entgegengesetzt wird,
ist gleich zu merken, daß hier Logis-Gäste anderer Art als die kleinen Flügel¬
thiere gemeint und sie Vögel nur darum, weil sie gleich mitleidslos allerwege
eingefangen werden, ihre Quartiere gehäufte Vogelbauer nur darum genannt
sind, weil die vielen dichten, engen Behälter sie, der Freiheit beraubt, für
den gezwungenen Export in der Ferne zusammenhalten. Dem harmlosen
Unfug, mit dem die Plundersweiler Ideal-Gebäude und Apparate ihre immer
wachsende Bevölkerung anziehen, verführen, unterhalten, gefangen nehmen,
rasiren, bürsten, ausklopfen, der Stempelgebuhr unterziehen Und ihren Schwär¬
mereien, Magisteransprüchen und Narrenspielen die mannigfaltigsten Tummel¬
plätze öffnen, wird als totalverjchieden der ernsthafte Unfug der landgräf¬
lichen Residenz vorausgeschickt.


Als wo man emsig und zu Haus
Macht Vogelbauer auf den Kauf
Und sendet gegen fremdes Geld
Die Vöglein in die weite Welt.

Daß Goethe von seinem lieben Puppenspielflecken das Neueste aufs Tapet
brachte, war fünf Jahre nach dem Subsioientractat des Landgrafen von
Hessen mit Großbritannien, in Folge dessen der Soldatenfürst die mit Werber¬
netzen und Zwangstricken eingefangenen freien Wandervögel und casernirten
Unterthanen für das liebe englische Geld (ihren Transport mit höchsteigener
gegen Desertion geladener Flinte überwachend) in die röeite neue Welt zu
dem Krieg entsendet hatte, der noch fortdauerte. In dieser Zeit war der
Seitenblick aus den blühenden Vogelmarkt verständlich genug und war^im
Beginn des Vortrags ein Pritschenschlag auf denselben Zwangscommandozopf,
dessen gravitätischer Repräsentant auf der Theaterbühne am Schluß dieses
Vortrags dem Triumph der muthigen über Souffleur und Consident hinweg¬
stürmenden Jungen unterliegt. Dieses rauschende Finale der neuesten Plun¬
dersweiler Ausgelassenheit schlug in einen der Controverspunkte ein, die durch
Friedrichs des" Großen Schrift as la littörg-eure allsmavÄö auf die Tages¬
ordnung gebracht, ebendamals die schönen Geister Deutschlands in Bewegung
setzten, im Anfang des Jahrs auch die Dialektik unsres Dichters zu einem
"Gespräch über die deutsche Literatur" erweckt hatten und noch vor einem


gebracht und beschäftigt, etablirt und cultivirt, die Vögel in Cassel wider
Willen in die Käfige gebracht, nicht um hier Gemach und Ergehen zu finden,
sondern um gefangen gehalten und weitweg verkauft zu werden. Indem
Plundersweilern mit der Zunahme seiner Wohnhäuser und Gassen und der
in ihnen sich häufenden Bevölkerung den gehäuften Vogelbauern der kleinen
am stärksten mit Militärgebäuden versehenen Residenz und ihrer Entleerung
von den zur Veräußerung bestimmten Käfigbewohnern entgegengesetzt wird,
ist gleich zu merken, daß hier Logis-Gäste anderer Art als die kleinen Flügel¬
thiere gemeint und sie Vögel nur darum, weil sie gleich mitleidslos allerwege
eingefangen werden, ihre Quartiere gehäufte Vogelbauer nur darum genannt
sind, weil die vielen dichten, engen Behälter sie, der Freiheit beraubt, für
den gezwungenen Export in der Ferne zusammenhalten. Dem harmlosen
Unfug, mit dem die Plundersweiler Ideal-Gebäude und Apparate ihre immer
wachsende Bevölkerung anziehen, verführen, unterhalten, gefangen nehmen,
rasiren, bürsten, ausklopfen, der Stempelgebuhr unterziehen Und ihren Schwär¬
mereien, Magisteransprüchen und Narrenspielen die mannigfaltigsten Tummel¬
plätze öffnen, wird als totalverjchieden der ernsthafte Unfug der landgräf¬
lichen Residenz vorausgeschickt.


Als wo man emsig und zu Haus
Macht Vogelbauer auf den Kauf
Und sendet gegen fremdes Geld
Die Vöglein in die weite Welt.

Daß Goethe von seinem lieben Puppenspielflecken das Neueste aufs Tapet
brachte, war fünf Jahre nach dem Subsioientractat des Landgrafen von
Hessen mit Großbritannien, in Folge dessen der Soldatenfürst die mit Werber¬
netzen und Zwangstricken eingefangenen freien Wandervögel und casernirten
Unterthanen für das liebe englische Geld (ihren Transport mit höchsteigener
gegen Desertion geladener Flinte überwachend) in die röeite neue Welt zu
dem Krieg entsendet hatte, der noch fortdauerte. In dieser Zeit war der
Seitenblick aus den blühenden Vogelmarkt verständlich genug und war^im
Beginn des Vortrags ein Pritschenschlag auf denselben Zwangscommandozopf,
dessen gravitätischer Repräsentant auf der Theaterbühne am Schluß dieses
Vortrags dem Triumph der muthigen über Souffleur und Consident hinweg¬
stürmenden Jungen unterliegt. Dieses rauschende Finale der neuesten Plun¬
dersweiler Ausgelassenheit schlug in einen der Controverspunkte ein, die durch
Friedrichs des" Großen Schrift as la littörg-eure allsmavÄö auf die Tages¬
ordnung gebracht, ebendamals die schönen Geister Deutschlands in Bewegung
setzten, im Anfang des Jahrs auch die Dialektik unsres Dichters zu einem
„Gespräch über die deutsche Literatur" erweckt hatten und noch vor einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/358>, abgerufen am 01.09.2024.