Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Länge zu der persönlichen des zierlich schlanken Götterboten ins Auge, der,
indem er sich ihrer bedient, seine Glieder an sie klemmen muß und zu vor¬
sichtig gebückter Haltung gezwungen ist. An dieser Entfernung, aus welcher
der an Haupt und Knöcheln beflügelte Gott durch die hölzerne Maschine sich
so angelegentlich mit dem Platten Boden in Berührung setzt und auf ihm
behauptet, fühlt sich um so komischer der Widerspruch, daß Der, dessen Flug
nach den Attributen seiner eigenen Figur Hochhin und freiweg über die Erde
gehen könnte und sollte, seinen Hochstand und Fortschritt von diesem be¬
schwerlichen mechanischen Contact mit dem gemeinen Erdboden abhängig
macht. Nun folgt das, worin er unter dieser Complication seine Genug¬
thuung finden mag:


Auf seinen Scepter und seine Ruthe
Thut er sich öfters was zu Gute.
Vergebens ziehen und zerren die Knaben
Und möchten ihn gerne herunter haben;
Vergebens sagst du, thöricht Kind!
Die Stelzen, wie er, unsterblich sind.

Die Jnsignien der Strafmacht gibt das Gemälde gar wohl zu schauen,
weniger, wie sie so weit hinabreichen mögen, und wie die nothwendig an die
Stelze geklammerte Hand, um mit ihnen zu wirken, sich soll frei machen
können. Natürlicher läßt der Augenschein von der Bethätigung aggressiver
Jugend an dem hölzernen Pedal schlimmen Erfolg erwarten, fo daß die Ver¬
sicherung seiner Unsterblichkeit nicht überflüssig ist. Für den Inhalt dieser
6 Verse kann der Commentator ein belegendes Beispiel finden im dritten
Anhang bei O. Jahr Goethe's Briefe an Eh. G. v. Voigt, Leipzig 1868,
S. 433 ff. Es war in den ersten Monaten des Jahres, in dessen letztem
das parodische Bild aufgestellt wurde, daß Wieland, auf eine im Merkur
hingeworfene Herausforderung in kampfrichterlichem Tone, mit anonymer
Einsendung sie ausnehmender poetischer Proben von Voigt und Herder mysti-
ficirt ward. Er hielt sie für Versuche grüner Knaben, ließ den ersten im
Merkur erscheinen mit magisterlicher Censur und fertigte dann darin den
zweiten, unaufgenommen, noch magisterlicher ab. "Dem noch sehr jungen
und bescheidenen Musensohn habe er vor der Hand nichts zu sagen, als daß
es ganz gut ist, allerlei exereitm still zu versuchen, aber daß man solche
Uebungen nicht drucken läßt. Uebrigens ist bei ihm jetzt die Zeit, wo Ho-
razens Rath eintritt: Vog exsmMrig, Krasea,--ingleichen das bekannte
nuits. tulit ksoityuö xnzps ----- kMmuitML maZistrum. Die jungen
Herren stellen sich die Sache zu leicht vor; aber darum reussiren sie auch so
gut! -- Also: Seribits, ?ueri, seribite!" Diese Ermahnung, das Dichten
doch mit mehr Mühsamkeit und Angst zu betreiben, machte den Schluß einer


Länge zu der persönlichen des zierlich schlanken Götterboten ins Auge, der,
indem er sich ihrer bedient, seine Glieder an sie klemmen muß und zu vor¬
sichtig gebückter Haltung gezwungen ist. An dieser Entfernung, aus welcher
der an Haupt und Knöcheln beflügelte Gott durch die hölzerne Maschine sich
so angelegentlich mit dem Platten Boden in Berührung setzt und auf ihm
behauptet, fühlt sich um so komischer der Widerspruch, daß Der, dessen Flug
nach den Attributen seiner eigenen Figur Hochhin und freiweg über die Erde
gehen könnte und sollte, seinen Hochstand und Fortschritt von diesem be¬
schwerlichen mechanischen Contact mit dem gemeinen Erdboden abhängig
macht. Nun folgt das, worin er unter dieser Complication seine Genug¬
thuung finden mag:


Auf seinen Scepter und seine Ruthe
Thut er sich öfters was zu Gute.
Vergebens ziehen und zerren die Knaben
Und möchten ihn gerne herunter haben;
Vergebens sagst du, thöricht Kind!
Die Stelzen, wie er, unsterblich sind.

Die Jnsignien der Strafmacht gibt das Gemälde gar wohl zu schauen,
weniger, wie sie so weit hinabreichen mögen, und wie die nothwendig an die
Stelze geklammerte Hand, um mit ihnen zu wirken, sich soll frei machen
können. Natürlicher läßt der Augenschein von der Bethätigung aggressiver
Jugend an dem hölzernen Pedal schlimmen Erfolg erwarten, fo daß die Ver¬
sicherung seiner Unsterblichkeit nicht überflüssig ist. Für den Inhalt dieser
6 Verse kann der Commentator ein belegendes Beispiel finden im dritten
Anhang bei O. Jahr Goethe's Briefe an Eh. G. v. Voigt, Leipzig 1868,
S. 433 ff. Es war in den ersten Monaten des Jahres, in dessen letztem
das parodische Bild aufgestellt wurde, daß Wieland, auf eine im Merkur
hingeworfene Herausforderung in kampfrichterlichem Tone, mit anonymer
Einsendung sie ausnehmender poetischer Proben von Voigt und Herder mysti-
ficirt ward. Er hielt sie für Versuche grüner Knaben, ließ den ersten im
Merkur erscheinen mit magisterlicher Censur und fertigte dann darin den
zweiten, unaufgenommen, noch magisterlicher ab. „Dem noch sehr jungen
und bescheidenen Musensohn habe er vor der Hand nichts zu sagen, als daß
es ganz gut ist, allerlei exereitm still zu versuchen, aber daß man solche
Uebungen nicht drucken läßt. Uebrigens ist bei ihm jetzt die Zeit, wo Ho-
razens Rath eintritt: Vog exsmMrig, Krasea,--ingleichen das bekannte
nuits. tulit ksoityuö xnzps ——- kMmuitML maZistrum. Die jungen
Herren stellen sich die Sache zu leicht vor; aber darum reussiren sie auch so
gut! — Also: Seribits, ?ueri, seribite!" Diese Ermahnung, das Dichten
doch mit mehr Mühsamkeit und Angst zu betreiben, machte den Schluß einer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0354" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123974"/>
          <p xml:id="ID_1053" prev="#ID_1052"> Länge zu der persönlichen des zierlich schlanken Götterboten ins Auge, der,<lb/>
indem er sich ihrer bedient, seine Glieder an sie klemmen muß und zu vor¬<lb/>
sichtig gebückter Haltung gezwungen ist. An dieser Entfernung, aus welcher<lb/>
der an Haupt und Knöcheln beflügelte Gott durch die hölzerne Maschine sich<lb/>
so angelegentlich mit dem Platten Boden in Berührung setzt und auf ihm<lb/>
behauptet, fühlt sich um so komischer der Widerspruch, daß Der, dessen Flug<lb/>
nach den Attributen seiner eigenen Figur Hochhin und freiweg über die Erde<lb/>
gehen könnte und sollte, seinen Hochstand und Fortschritt von diesem be¬<lb/>
schwerlichen mechanischen Contact mit dem gemeinen Erdboden abhängig<lb/>
macht. Nun folgt das, worin er unter dieser Complication seine Genug¬<lb/>
thuung finden mag:</p><lb/>
          <quote> Auf seinen Scepter und seine Ruthe<lb/>
Thut er sich öfters was zu Gute.<lb/>
Vergebens ziehen und zerren die Knaben<lb/>
Und möchten ihn gerne herunter haben;<lb/>
Vergebens sagst du, thöricht Kind!<lb/>
Die Stelzen, wie er, unsterblich sind.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1054" next="#ID_1055"> Die Jnsignien der Strafmacht gibt das Gemälde gar wohl zu schauen,<lb/>
weniger, wie sie so weit hinabreichen mögen, und wie die nothwendig an die<lb/>
Stelze geklammerte Hand, um mit ihnen zu wirken, sich soll frei machen<lb/>
können. Natürlicher läßt der Augenschein von der Bethätigung aggressiver<lb/>
Jugend an dem hölzernen Pedal schlimmen Erfolg erwarten, fo daß die Ver¬<lb/>
sicherung seiner Unsterblichkeit nicht überflüssig ist. Für den Inhalt dieser<lb/>
6 Verse kann der Commentator ein belegendes Beispiel finden im dritten<lb/>
Anhang bei O. Jahr Goethe's Briefe an Eh. G. v. Voigt, Leipzig 1868,<lb/>
S. 433 ff. Es war in den ersten Monaten des Jahres, in dessen letztem<lb/>
das parodische Bild aufgestellt wurde, daß Wieland, auf eine im Merkur<lb/>
hingeworfene Herausforderung in kampfrichterlichem Tone, mit anonymer<lb/>
Einsendung sie ausnehmender poetischer Proben von Voigt und Herder mysti-<lb/>
ficirt ward. Er hielt sie für Versuche grüner Knaben, ließ den ersten im<lb/>
Merkur erscheinen mit magisterlicher Censur und fertigte dann darin den<lb/>
zweiten, unaufgenommen, noch magisterlicher ab. &#x201E;Dem noch sehr jungen<lb/>
und bescheidenen Musensohn habe er vor der Hand nichts zu sagen, als daß<lb/>
es ganz gut ist, allerlei exereitm still zu versuchen, aber daß man solche<lb/>
Uebungen nicht drucken läßt.  Uebrigens ist bei ihm jetzt die Zeit, wo Ho-<lb/>
razens Rath eintritt: Vog exsmMrig, Krasea,--ingleichen das bekannte<lb/>
nuits. tulit ksoityuö xnzps &#x2014;&#x2014;- kMmuitML maZistrum. Die jungen<lb/>
Herren stellen sich die Sache zu leicht vor; aber darum reussiren sie auch so<lb/>
gut! &#x2014; Also: Seribits, ?ueri, seribite!" Diese Ermahnung, das Dichten<lb/>
doch mit mehr Mühsamkeit und Angst zu betreiben, machte den Schluß einer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0354] Länge zu der persönlichen des zierlich schlanken Götterboten ins Auge, der, indem er sich ihrer bedient, seine Glieder an sie klemmen muß und zu vor¬ sichtig gebückter Haltung gezwungen ist. An dieser Entfernung, aus welcher der an Haupt und Knöcheln beflügelte Gott durch die hölzerne Maschine sich so angelegentlich mit dem Platten Boden in Berührung setzt und auf ihm behauptet, fühlt sich um so komischer der Widerspruch, daß Der, dessen Flug nach den Attributen seiner eigenen Figur Hochhin und freiweg über die Erde gehen könnte und sollte, seinen Hochstand und Fortschritt von diesem be¬ schwerlichen mechanischen Contact mit dem gemeinen Erdboden abhängig macht. Nun folgt das, worin er unter dieser Complication seine Genug¬ thuung finden mag: Auf seinen Scepter und seine Ruthe Thut er sich öfters was zu Gute. Vergebens ziehen und zerren die Knaben Und möchten ihn gerne herunter haben; Vergebens sagst du, thöricht Kind! Die Stelzen, wie er, unsterblich sind. Die Jnsignien der Strafmacht gibt das Gemälde gar wohl zu schauen, weniger, wie sie so weit hinabreichen mögen, und wie die nothwendig an die Stelze geklammerte Hand, um mit ihnen zu wirken, sich soll frei machen können. Natürlicher läßt der Augenschein von der Bethätigung aggressiver Jugend an dem hölzernen Pedal schlimmen Erfolg erwarten, fo daß die Ver¬ sicherung seiner Unsterblichkeit nicht überflüssig ist. Für den Inhalt dieser 6 Verse kann der Commentator ein belegendes Beispiel finden im dritten Anhang bei O. Jahr Goethe's Briefe an Eh. G. v. Voigt, Leipzig 1868, S. 433 ff. Es war in den ersten Monaten des Jahres, in dessen letztem das parodische Bild aufgestellt wurde, daß Wieland, auf eine im Merkur hingeworfene Herausforderung in kampfrichterlichem Tone, mit anonymer Einsendung sie ausnehmender poetischer Proben von Voigt und Herder mysti- ficirt ward. Er hielt sie für Versuche grüner Knaben, ließ den ersten im Merkur erscheinen mit magisterlicher Censur und fertigte dann darin den zweiten, unaufgenommen, noch magisterlicher ab. „Dem noch sehr jungen und bescheidenen Musensohn habe er vor der Hand nichts zu sagen, als daß es ganz gut ist, allerlei exereitm still zu versuchen, aber daß man solche Uebungen nicht drucken läßt. Uebrigens ist bei ihm jetzt die Zeit, wo Ho- razens Rath eintritt: Vog exsmMrig, Krasea,--ingleichen das bekannte nuits. tulit ksoityuö xnzps ——- kMmuitML maZistrum. Die jungen Herren stellen sich die Sache zu leicht vor; aber darum reussiren sie auch so gut! — Also: Seribits, ?ueri, seribite!" Diese Ermahnung, das Dichten doch mit mehr Mühsamkeit und Angst zu betreiben, machte den Schluß einer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/354
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/354>, abgerufen am 01.09.2024.