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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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eine Handwerkerstadt, wie Ostia ist, nie ein Sitz Apollo's und der Musen
gewesen. Der Orient aber bot mehr und seine Kost war derber. Er besaß
eine Fülle von Culten und Geheimlehren, die einen Inhalt zu haben schienen,
deren Gebräuche die Sinne fesselten und das Gemüth erschütterten; und je
strengere Sühnungen und Bußen die Priester forderten, um so sicherer hoffte
man der Gnade jener mächtigen, fernen, unbestimmten Götter theilhaftig zu
werden. Aus der Nüchternheit rettete man sich in den Taumel und fand seine Be¬
friedigung oft an Dingen, welche das moderne Gefühl höchst peinlich berühren.

Die erste asiatische Gottheit, welche in Rom Aufnahme fand, war die
große phrygische Göttin vom waldigen Jdagebirge, von den Griechen Rhea
Kybele, von den Römern vorzugsweise die große Mutter der Götter genannt.
Aus Aeneas Heimath ward ihr Idol schon im zweiten punischen Kriege von
einer feierlichen Gesandtschaft auf Rath der sibyllinischen Bücher abgeholt
und fortan in Rom auf dem Palatin verehrt, wenn auch lange Zeit die
Cerimonien ihres orgiastischen Dienstes nur von phrygischen Priestern besorgt
wurden. Ihre höchste Bedeutung erlangte diese Religion aber erst in der
Kaiserzeit, nachdem die Verehrung des Attis. des Lieblings der Göttin in
Aufnahme gekommen war und den alten Bräuchen einen neuen Aufschwung
verliehen hatte. So ist auch das Heiligthum der Göttin, welches man in
Ostia ausgegraben hat, nicht älter als das zweite Jahrhundert. Es besteht
aus einem kleinen, in seinen oberen Theilen gründlich zerstörten Tempel und
einer langen, schmalen Kapelle, zwischen denen keine unmittelbare Communi-
cation besteht. Auf einem freien Platze, der sich vor beiden ausdehnt, fand
man außer einem Altar einige Inschriften, welche der hier vollzogenen Tauro-
bolien oder Stieropfer gedenken. Das Stieropfer war im Dienste der
Mutter der Götter zu einer grauenhaften Cerimonie ausgeartet. Der reini¬
genden Kraft, welche das zur Sühnung vergossene Blut besaß, sollte der
Opfernde in seltsam körperlicher Weise theilhaftig werden, er wurde in Blut
gebadet, indem er in eine Grube steigen mußte, über welcher auf durchlöcher¬
ten Brettern der Stier geopfert ward. Aus der Grube, die zugleich ein
Symbol des Todes war, kam er dann als ein "Neugeborener" wieder her¬
vor. Bekanntlich hat dieser entsetzliche Brauch mehrere Jahrhunderte lang
unter den höchstgestellten Männern des Kaiserreichs Gläubige gefunden und
kein Ort ist häufiger durch ihn geschändet worden, als der vaticanische Hügel,
wo die Opferstätte für die Hauptstadt "war und wo die Peterskirche nach
ihrer Gründung durch Constantin sich diese Nachbarschaft noch manche Jahre
hat gefallen lassen müssen. In Ostia hat man das Opfer unter Anderem
auch für das Wohl des Kaisers Marc Aurel gebracht, denn nicht nur für
sich selber konnte man die Sühnung vollziehen; und die hohe philosophische


eine Handwerkerstadt, wie Ostia ist, nie ein Sitz Apollo's und der Musen
gewesen. Der Orient aber bot mehr und seine Kost war derber. Er besaß
eine Fülle von Culten und Geheimlehren, die einen Inhalt zu haben schienen,
deren Gebräuche die Sinne fesselten und das Gemüth erschütterten; und je
strengere Sühnungen und Bußen die Priester forderten, um so sicherer hoffte
man der Gnade jener mächtigen, fernen, unbestimmten Götter theilhaftig zu
werden. Aus der Nüchternheit rettete man sich in den Taumel und fand seine Be¬
friedigung oft an Dingen, welche das moderne Gefühl höchst peinlich berühren.

Die erste asiatische Gottheit, welche in Rom Aufnahme fand, war die
große phrygische Göttin vom waldigen Jdagebirge, von den Griechen Rhea
Kybele, von den Römern vorzugsweise die große Mutter der Götter genannt.
Aus Aeneas Heimath ward ihr Idol schon im zweiten punischen Kriege von
einer feierlichen Gesandtschaft auf Rath der sibyllinischen Bücher abgeholt
und fortan in Rom auf dem Palatin verehrt, wenn auch lange Zeit die
Cerimonien ihres orgiastischen Dienstes nur von phrygischen Priestern besorgt
wurden. Ihre höchste Bedeutung erlangte diese Religion aber erst in der
Kaiserzeit, nachdem die Verehrung des Attis. des Lieblings der Göttin in
Aufnahme gekommen war und den alten Bräuchen einen neuen Aufschwung
verliehen hatte. So ist auch das Heiligthum der Göttin, welches man in
Ostia ausgegraben hat, nicht älter als das zweite Jahrhundert. Es besteht
aus einem kleinen, in seinen oberen Theilen gründlich zerstörten Tempel und
einer langen, schmalen Kapelle, zwischen denen keine unmittelbare Communi-
cation besteht. Auf einem freien Platze, der sich vor beiden ausdehnt, fand
man außer einem Altar einige Inschriften, welche der hier vollzogenen Tauro-
bolien oder Stieropfer gedenken. Das Stieropfer war im Dienste der
Mutter der Götter zu einer grauenhaften Cerimonie ausgeartet. Der reini¬
genden Kraft, welche das zur Sühnung vergossene Blut besaß, sollte der
Opfernde in seltsam körperlicher Weise theilhaftig werden, er wurde in Blut
gebadet, indem er in eine Grube steigen mußte, über welcher auf durchlöcher¬
ten Brettern der Stier geopfert ward. Aus der Grube, die zugleich ein
Symbol des Todes war, kam er dann als ein „Neugeborener" wieder her¬
vor. Bekanntlich hat dieser entsetzliche Brauch mehrere Jahrhunderte lang
unter den höchstgestellten Männern des Kaiserreichs Gläubige gefunden und
kein Ort ist häufiger durch ihn geschändet worden, als der vaticanische Hügel,
wo die Opferstätte für die Hauptstadt "war und wo die Peterskirche nach
ihrer Gründung durch Constantin sich diese Nachbarschaft noch manche Jahre
hat gefallen lassen müssen. In Ostia hat man das Opfer unter Anderem
auch für das Wohl des Kaisers Marc Aurel gebracht, denn nicht nur für
sich selber konnte man die Sühnung vollziehen; und die hohe philosophische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/347>, abgerufen am 27.07.2024.