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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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sprechung gegenwärtig mit Vorliebe gebrauchen. Das Wort hat auch in der
Sprache Macht und Machtbefugniß. Wer will aber am Vorhandensein
geeigneter Persönlichkeiten unter den sprachgelehrten, und an ihrem Willen,
ihre Kenntnisse im öffentlichen Dienste nutzbar zu machen, zweifeln? Ueberall
regt sich das Verlangen über den engen Bereich des eigenen Berufs hinaus
wirksam zu sein, nicht nur als Fachmensch, sondern auch als Mann und
Bürger thätig zu werden. Wie ließe sich nicht das gleiche von den Män¬
nern einer Wissenschaft erwarten, die zu den lebendigen und fortschreitenden
gehört, deren Altmeister Jakob Grimm das Abbild eines mitten unter seinen
Arbeiten die Dinge des Tages rege beobachtenden Gelehrten war?

Savigny sagt, indem er in die Zukunft, wo die Rechtswissenschaft in
seinem Sinn Gemeingut der Juristen geworden, blickt: "Der historische Stoff
des Rechts, der uns jetzt überall hemmt, wird dann von uns durchdrungen
sein und uns bereichern. Wir werden dann ein eigenes, nationales Recht
haben, und eine mächtig wirksame Sprache wird ihm nicht fehlen. Das rö¬
mische Recht können wir dann der Geschichte übergeben, und wir werden
nicht blos eine schwache Nachahmung römischer Bildung, sondern eine ganz
eigene und neue Bildung haben. Wir werden etwas Höheres erreicht haben,
als blos sichere und schnelle Rechtspflege: der Zustand klarer, anschaulicher
Besonnenheit, welcher dem Recht jugendlicher Völker eigen zu sein pflegt, wird
sich mit der Höhe wissenschaftlicher Ausbildung vereinigen. Dann kann auch
für zukünftige schwächere Zeiten gesorgt werden, und ob dieses durch Gesetz¬
bücher oder in anderer Form besser geschehe, wird dann Zeit sein zu berathen.
Daß dieser Zustand jemals eintreten werde, sage ich nicht: dieses hängt von
der Vereinigung der seltensten und glücklichsten Umstände ab." -- Ob dieser
Zustand eingetreten, ob die Entwickelung, die Savigny vorgezeichnet, nun.
Wo die äußere Lage der Nation zum Angriff des Werks hinführt, vollständig
zurückgelegt ist. wer unter den Mitlebenden wagte das, der Geschichte vor¬
greifend, sicher zu behaupten? Seltene und glückliche Umstände vereinigen sich
indeß, um den Angriff des Werks zu begünstigen und zu erleichtern, hoffnungs¬
volle Auspicien begleiten die ersten Arbeiten, auch in den Ruhigeren lebt das
Bewußtsein, daß wir oder die nach uns das Werk vollenden werden. Sorgen
wir denn auch, soviel an uns ist. daß "dem eigenen nationalen Recht die
mächtig wirksame Sprache nicht fehlt", und sorgen wir, wenn sie einmal kom¬
men sollte, "für zukünftige schwächere Zeiten", wo der gegenwärtig alles er-
füllende nationale Gedanke minder kräftig fortwirkt. Nehmen wir Bedacht,
mit dem deutschen Bundesrecht die richtige deutsche Rechtssprache zu schaffen!




sprechung gegenwärtig mit Vorliebe gebrauchen. Das Wort hat auch in der
Sprache Macht und Machtbefugniß. Wer will aber am Vorhandensein
geeigneter Persönlichkeiten unter den sprachgelehrten, und an ihrem Willen,
ihre Kenntnisse im öffentlichen Dienste nutzbar zu machen, zweifeln? Ueberall
regt sich das Verlangen über den engen Bereich des eigenen Berufs hinaus
wirksam zu sein, nicht nur als Fachmensch, sondern auch als Mann und
Bürger thätig zu werden. Wie ließe sich nicht das gleiche von den Män¬
nern einer Wissenschaft erwarten, die zu den lebendigen und fortschreitenden
gehört, deren Altmeister Jakob Grimm das Abbild eines mitten unter seinen
Arbeiten die Dinge des Tages rege beobachtenden Gelehrten war?

Savigny sagt, indem er in die Zukunft, wo die Rechtswissenschaft in
seinem Sinn Gemeingut der Juristen geworden, blickt: „Der historische Stoff
des Rechts, der uns jetzt überall hemmt, wird dann von uns durchdrungen
sein und uns bereichern. Wir werden dann ein eigenes, nationales Recht
haben, und eine mächtig wirksame Sprache wird ihm nicht fehlen. Das rö¬
mische Recht können wir dann der Geschichte übergeben, und wir werden
nicht blos eine schwache Nachahmung römischer Bildung, sondern eine ganz
eigene und neue Bildung haben. Wir werden etwas Höheres erreicht haben,
als blos sichere und schnelle Rechtspflege: der Zustand klarer, anschaulicher
Besonnenheit, welcher dem Recht jugendlicher Völker eigen zu sein pflegt, wird
sich mit der Höhe wissenschaftlicher Ausbildung vereinigen. Dann kann auch
für zukünftige schwächere Zeiten gesorgt werden, und ob dieses durch Gesetz¬
bücher oder in anderer Form besser geschehe, wird dann Zeit sein zu berathen.
Daß dieser Zustand jemals eintreten werde, sage ich nicht: dieses hängt von
der Vereinigung der seltensten und glücklichsten Umstände ab." — Ob dieser
Zustand eingetreten, ob die Entwickelung, die Savigny vorgezeichnet, nun.
Wo die äußere Lage der Nation zum Angriff des Werks hinführt, vollständig
zurückgelegt ist. wer unter den Mitlebenden wagte das, der Geschichte vor¬
greifend, sicher zu behaupten? Seltene und glückliche Umstände vereinigen sich
indeß, um den Angriff des Werks zu begünstigen und zu erleichtern, hoffnungs¬
volle Auspicien begleiten die ersten Arbeiten, auch in den Ruhigeren lebt das
Bewußtsein, daß wir oder die nach uns das Werk vollenden werden. Sorgen
wir denn auch, soviel an uns ist. daß „dem eigenen nationalen Recht die
mächtig wirksame Sprache nicht fehlt", und sorgen wir, wenn sie einmal kom¬
men sollte, „für zukünftige schwächere Zeiten", wo der gegenwärtig alles er-
füllende nationale Gedanke minder kräftig fortwirkt. Nehmen wir Bedacht,
mit dem deutschen Bundesrecht die richtige deutsche Rechtssprache zu schaffen!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/339>, abgerufen am 27.07.2024.