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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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behält das Wort Requisition noch bei, setzt aber an Stelle der Ausdrücke
requirirendes und requirirtes Gericht die ^Uebersetzung ersuchendes und er-
suchtes Gericht. Würde das Sprachgefühl und sein zuverlässigstes Organ,
die Zunge, durch suchendes und gesuchtes Gericht nicht besser angemuthet
werden? Ersteres ist ohne Zweifel zusagender, aber auch letzteres scheint an¬
sprechender zu sein. Dieser Fall als Beispiel, ohne ihn selbst förmlich ent¬
scheiden zu wollen. Das Beispiel zeigt wohl zur Genüge, daß die Wissen¬
schaft eine wirkliche sowie eine dankenswerthe und auch dankbare Aufgabe
vorfindet.

Es ist eine verbreitete Klage, daß das Dasein zu gelehrt werde, daß die
Wissenschaft überall regeln und bestimmen solle und das Leben an Frische
und Ursprünglichkeit allzu sehr verliere. Der Klage liegt eine natürliche und
berechtigte Empfindung unter, allein -- kann sie die Gesammtentwickelung
ändern? Die Verwissenschaftung unsers Lebens ist eine Thatsache, die sich
weder zurückweisen, noch hindern, noch beseitigen läßt. Freilich wuchs einst
die Frucht auf unseren Feldern ohne wissenschaftliche Bodenbestimmung,
ohne gelehrte Düngmethode, ohne die Arbeit der künstlichen Pflüge und
anderer noch kunstreicher gefügten Maschinen! Freilich wuchsen unsere Vor¬
eltern ohne die Erziehungs- und Bildungssysteme von heute heran! Die
Zeiten sind aber, und wohl auf immer, vergangen und es ist richtiger den
Anforderungen der Gegenwart voll zu genügen als ihnen unwillig nachzu¬
geben.

Handelt es sich aber in unserem Fall um etwas besonders gelehrtes,
schwieriges, künstliches? Davon vermag ernstlich nicht die Rede zu sein.
Und damit fällt auch die Einwendung, daß die Bundesgesetzgebung einen
neuen unliebsamen Aufschub erfahren, von ihrer Schwungkraft einbüßen
könne. Die Aufgabe bestände einfach darin, daß wenigstens die wichtigeren
Gesetzentwürfe in einem geeigneten -- nach der Natur des Falls vielleicht
verschiedenen -- Stadium von geeigneten sprachgelehrten sprachlich, nicht
stylistisch durchgearbeitet und namentlich die neuen technischen Ausdrücke fach¬
männisch geprüft werden.

Nicht jeder sprachgelehrte wird Neigung und Beruf zur Lösung der
entgegentretenden Aufgabe haben. Der starre Purist kann sie ebenso
wenig erfüllen wie der Forscher, der zwar die Wissenschaft in sich auf
genommen, aber nicht zu einem lebendigen Besitz verwandelt hat. Sel¬
tene Eigenschaften müssen sich vereinigen, Sprachtakt und Sinn für das
Bedürfniß des Tages, für den Geschmack der Zeit. Denn auch dieser will
befriedigt sein. Außer aus andern Gründen ist es Sache des Geschmacks,
daß wir einerseits das Fremdwort Nation, andererseits die Zusammensetzun¬
gen mit Recht, wie Rechtshilfe, Rechtsgesetzgebung. Rechtsschutz, Rechts-


behält das Wort Requisition noch bei, setzt aber an Stelle der Ausdrücke
requirirendes und requirirtes Gericht die ^Uebersetzung ersuchendes und er-
suchtes Gericht. Würde das Sprachgefühl und sein zuverlässigstes Organ,
die Zunge, durch suchendes und gesuchtes Gericht nicht besser angemuthet
werden? Ersteres ist ohne Zweifel zusagender, aber auch letzteres scheint an¬
sprechender zu sein. Dieser Fall als Beispiel, ohne ihn selbst förmlich ent¬
scheiden zu wollen. Das Beispiel zeigt wohl zur Genüge, daß die Wissen¬
schaft eine wirkliche sowie eine dankenswerthe und auch dankbare Aufgabe
vorfindet.

Es ist eine verbreitete Klage, daß das Dasein zu gelehrt werde, daß die
Wissenschaft überall regeln und bestimmen solle und das Leben an Frische
und Ursprünglichkeit allzu sehr verliere. Der Klage liegt eine natürliche und
berechtigte Empfindung unter, allein — kann sie die Gesammtentwickelung
ändern? Die Verwissenschaftung unsers Lebens ist eine Thatsache, die sich
weder zurückweisen, noch hindern, noch beseitigen läßt. Freilich wuchs einst
die Frucht auf unseren Feldern ohne wissenschaftliche Bodenbestimmung,
ohne gelehrte Düngmethode, ohne die Arbeit der künstlichen Pflüge und
anderer noch kunstreicher gefügten Maschinen! Freilich wuchsen unsere Vor¬
eltern ohne die Erziehungs- und Bildungssysteme von heute heran! Die
Zeiten sind aber, und wohl auf immer, vergangen und es ist richtiger den
Anforderungen der Gegenwart voll zu genügen als ihnen unwillig nachzu¬
geben.

Handelt es sich aber in unserem Fall um etwas besonders gelehrtes,
schwieriges, künstliches? Davon vermag ernstlich nicht die Rede zu sein.
Und damit fällt auch die Einwendung, daß die Bundesgesetzgebung einen
neuen unliebsamen Aufschub erfahren, von ihrer Schwungkraft einbüßen
könne. Die Aufgabe bestände einfach darin, daß wenigstens die wichtigeren
Gesetzentwürfe in einem geeigneten — nach der Natur des Falls vielleicht
verschiedenen — Stadium von geeigneten sprachgelehrten sprachlich, nicht
stylistisch durchgearbeitet und namentlich die neuen technischen Ausdrücke fach¬
männisch geprüft werden.

Nicht jeder sprachgelehrte wird Neigung und Beruf zur Lösung der
entgegentretenden Aufgabe haben. Der starre Purist kann sie ebenso
wenig erfüllen wie der Forscher, der zwar die Wissenschaft in sich auf
genommen, aber nicht zu einem lebendigen Besitz verwandelt hat. Sel¬
tene Eigenschaften müssen sich vereinigen, Sprachtakt und Sinn für das
Bedürfniß des Tages, für den Geschmack der Zeit. Denn auch dieser will
befriedigt sein. Außer aus andern Gründen ist es Sache des Geschmacks,
daß wir einerseits das Fremdwort Nation, andererseits die Zusammensetzun¬
gen mit Recht, wie Rechtshilfe, Rechtsgesetzgebung. Rechtsschutz, Rechts-


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[0338] behält das Wort Requisition noch bei, setzt aber an Stelle der Ausdrücke requirirendes und requirirtes Gericht die ^Uebersetzung ersuchendes und er- suchtes Gericht. Würde das Sprachgefühl und sein zuverlässigstes Organ, die Zunge, durch suchendes und gesuchtes Gericht nicht besser angemuthet werden? Ersteres ist ohne Zweifel zusagender, aber auch letzteres scheint an¬ sprechender zu sein. Dieser Fall als Beispiel, ohne ihn selbst förmlich ent¬ scheiden zu wollen. Das Beispiel zeigt wohl zur Genüge, daß die Wissen¬ schaft eine wirkliche sowie eine dankenswerthe und auch dankbare Aufgabe vorfindet. Es ist eine verbreitete Klage, daß das Dasein zu gelehrt werde, daß die Wissenschaft überall regeln und bestimmen solle und das Leben an Frische und Ursprünglichkeit allzu sehr verliere. Der Klage liegt eine natürliche und berechtigte Empfindung unter, allein — kann sie die Gesammtentwickelung ändern? Die Verwissenschaftung unsers Lebens ist eine Thatsache, die sich weder zurückweisen, noch hindern, noch beseitigen läßt. Freilich wuchs einst die Frucht auf unseren Feldern ohne wissenschaftliche Bodenbestimmung, ohne gelehrte Düngmethode, ohne die Arbeit der künstlichen Pflüge und anderer noch kunstreicher gefügten Maschinen! Freilich wuchsen unsere Vor¬ eltern ohne die Erziehungs- und Bildungssysteme von heute heran! Die Zeiten sind aber, und wohl auf immer, vergangen und es ist richtiger den Anforderungen der Gegenwart voll zu genügen als ihnen unwillig nachzu¬ geben. Handelt es sich aber in unserem Fall um etwas besonders gelehrtes, schwieriges, künstliches? Davon vermag ernstlich nicht die Rede zu sein. Und damit fällt auch die Einwendung, daß die Bundesgesetzgebung einen neuen unliebsamen Aufschub erfahren, von ihrer Schwungkraft einbüßen könne. Die Aufgabe bestände einfach darin, daß wenigstens die wichtigeren Gesetzentwürfe in einem geeigneten — nach der Natur des Falls vielleicht verschiedenen — Stadium von geeigneten sprachgelehrten sprachlich, nicht stylistisch durchgearbeitet und namentlich die neuen technischen Ausdrücke fach¬ männisch geprüft werden. Nicht jeder sprachgelehrte wird Neigung und Beruf zur Lösung der entgegentretenden Aufgabe haben. Der starre Purist kann sie ebenso wenig erfüllen wie der Forscher, der zwar die Wissenschaft in sich auf genommen, aber nicht zu einem lebendigen Besitz verwandelt hat. Sel¬ tene Eigenschaften müssen sich vereinigen, Sprachtakt und Sinn für das Bedürfniß des Tages, für den Geschmack der Zeit. Denn auch dieser will befriedigt sein. Außer aus andern Gründen ist es Sache des Geschmacks, daß wir einerseits das Fremdwort Nation, andererseits die Zusammensetzun¬ gen mit Recht, wie Rechtshilfe, Rechtsgesetzgebung. Rechtsschutz, Rechts-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/338>, abgerufen am 18.12.2024.