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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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nun vermuthlich der in Bremen gestiftete Verein ausfüllen. Er wird sowohl
über die nöthigen Geldmittel wie über hinlängliche geistige Kräfte verfügen,
um die Frage in ihren Hauptrichtungen an Ort Und Stelle gleichsam öffent¬
lich studiren zu lassen, so daß spätestens über Jahr und Tag eine zuverlässige
Auskunft darüber vorliegt, ob und wie dem Uebel fortschreitend abzuhelfen.
Dazu wird jeder norddeutsche, dem der Höhenrauch einmal einen schönen
Tag verdorben hat, gern seinen Segen und unter Umständen seinen Beitrag
spenden wollen!




Was neue Aecht und seine Sprache.

"Ein wichtiger Punkt ist noch zu bedenken. Die Sprache nämlich. Ich
frage jeden, der für würdigen, angemessenen Ausdruck Sinn hat, und der die
Sprache nicht als eine gemeine Geräthschaft, sondern als Kunstmittel be¬
trachtet, ob wir eine Sprache haben, in welcher ein Gesetzbuch geschrieben
werden könnte. Ich bin weit entfernt, die Kraft der edlen deutschen Sprache
selbst in Zweifel zu ziehen; aber eben daß sie jetzt nicht dazu taugt, ist nur
ein Zeichen mehr, daß wir in diesem Kreise des Denkens zurück sind. Kommt
nur erst unsre Wissenschaft weiter, so wird man sehen, wie unsere Sprache
durch frische, ursprüngliche Lebenskraft förderlich sein wird."

Mit diesen Worten schließt Savigny in seiner vielangeführten, vielleicht
minder viel gelesenen Schrift von dem Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung
und Rechtswissenschaft die "Unser Beruf zur Gesetzgebung" überschriebene
Betrachtung. Die Schrift erschien bekanntlich 1814, fünf Jahre vor dem
ersten Erscheinen von Jacob Grimm's deutscher Grammatik, und wenn sie
noch heute im Munde der Politiker und Publicisten lebt, ist dies ein seltenes
Staunen verdienendes Zeugniß von der Bedeutung einer an äußerm Umfang
bescheidenen Arbeit, die sich zur Aufgabe setzt, für ihre Zeit und aus ihrer
Zeit heraus sprechen zu wollen. Wer kann sagen, was Savigny, wenn er
lebte, von dem Berufe "unserer" Zeit für Gesetzgebung dächte? Liest man
indeß die von edler Vaterlandsliebe, von gesundem deutschem Sinn, von
kräftigem Staatsgefühl getragene Schrift, so kann ma" sich der hoffenden
Ueberzeugung nicht erwehren, da>ß der große Meister der geschichtlichen Rechts¬
wissenschaft die zwingende Pflicht unserer Zeit zur Gesetzgebung anerkennen,
und daß er ihr den Beruf zur Gesetzgebung, weniger als jener Zeit, wo
das Recht noch nicht von seinem Geist erfüllt war, absprechen würde.

Unsere Zeit hat die Pflicht der Gesetzgebung. Was die Germanisten,


nun vermuthlich der in Bremen gestiftete Verein ausfüllen. Er wird sowohl
über die nöthigen Geldmittel wie über hinlängliche geistige Kräfte verfügen,
um die Frage in ihren Hauptrichtungen an Ort Und Stelle gleichsam öffent¬
lich studiren zu lassen, so daß spätestens über Jahr und Tag eine zuverlässige
Auskunft darüber vorliegt, ob und wie dem Uebel fortschreitend abzuhelfen.
Dazu wird jeder norddeutsche, dem der Höhenrauch einmal einen schönen
Tag verdorben hat, gern seinen Segen und unter Umständen seinen Beitrag
spenden wollen!




Was neue Aecht und seine Sprache.

„Ein wichtiger Punkt ist noch zu bedenken. Die Sprache nämlich. Ich
frage jeden, der für würdigen, angemessenen Ausdruck Sinn hat, und der die
Sprache nicht als eine gemeine Geräthschaft, sondern als Kunstmittel be¬
trachtet, ob wir eine Sprache haben, in welcher ein Gesetzbuch geschrieben
werden könnte. Ich bin weit entfernt, die Kraft der edlen deutschen Sprache
selbst in Zweifel zu ziehen; aber eben daß sie jetzt nicht dazu taugt, ist nur
ein Zeichen mehr, daß wir in diesem Kreise des Denkens zurück sind. Kommt
nur erst unsre Wissenschaft weiter, so wird man sehen, wie unsere Sprache
durch frische, ursprüngliche Lebenskraft förderlich sein wird."

Mit diesen Worten schließt Savigny in seiner vielangeführten, vielleicht
minder viel gelesenen Schrift von dem Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung
und Rechtswissenschaft die „Unser Beruf zur Gesetzgebung" überschriebene
Betrachtung. Die Schrift erschien bekanntlich 1814, fünf Jahre vor dem
ersten Erscheinen von Jacob Grimm's deutscher Grammatik, und wenn sie
noch heute im Munde der Politiker und Publicisten lebt, ist dies ein seltenes
Staunen verdienendes Zeugniß von der Bedeutung einer an äußerm Umfang
bescheidenen Arbeit, die sich zur Aufgabe setzt, für ihre Zeit und aus ihrer
Zeit heraus sprechen zu wollen. Wer kann sagen, was Savigny, wenn er
lebte, von dem Berufe „unserer" Zeit für Gesetzgebung dächte? Liest man
indeß die von edler Vaterlandsliebe, von gesundem deutschem Sinn, von
kräftigem Staatsgefühl getragene Schrift, so kann ma« sich der hoffenden
Ueberzeugung nicht erwehren, da>ß der große Meister der geschichtlichen Rechts¬
wissenschaft die zwingende Pflicht unserer Zeit zur Gesetzgebung anerkennen,
und daß er ihr den Beruf zur Gesetzgebung, weniger als jener Zeit, wo
das Recht noch nicht von seinem Geist erfüllt war, absprechen würde.

Unsere Zeit hat die Pflicht der Gesetzgebung. Was die Germanisten,


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[0336] nun vermuthlich der in Bremen gestiftete Verein ausfüllen. Er wird sowohl über die nöthigen Geldmittel wie über hinlängliche geistige Kräfte verfügen, um die Frage in ihren Hauptrichtungen an Ort Und Stelle gleichsam öffent¬ lich studiren zu lassen, so daß spätestens über Jahr und Tag eine zuverlässige Auskunft darüber vorliegt, ob und wie dem Uebel fortschreitend abzuhelfen. Dazu wird jeder norddeutsche, dem der Höhenrauch einmal einen schönen Tag verdorben hat, gern seinen Segen und unter Umständen seinen Beitrag spenden wollen! Was neue Aecht und seine Sprache. „Ein wichtiger Punkt ist noch zu bedenken. Die Sprache nämlich. Ich frage jeden, der für würdigen, angemessenen Ausdruck Sinn hat, und der die Sprache nicht als eine gemeine Geräthschaft, sondern als Kunstmittel be¬ trachtet, ob wir eine Sprache haben, in welcher ein Gesetzbuch geschrieben werden könnte. Ich bin weit entfernt, die Kraft der edlen deutschen Sprache selbst in Zweifel zu ziehen; aber eben daß sie jetzt nicht dazu taugt, ist nur ein Zeichen mehr, daß wir in diesem Kreise des Denkens zurück sind. Kommt nur erst unsre Wissenschaft weiter, so wird man sehen, wie unsere Sprache durch frische, ursprüngliche Lebenskraft förderlich sein wird." Mit diesen Worten schließt Savigny in seiner vielangeführten, vielleicht minder viel gelesenen Schrift von dem Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft die „Unser Beruf zur Gesetzgebung" überschriebene Betrachtung. Die Schrift erschien bekanntlich 1814, fünf Jahre vor dem ersten Erscheinen von Jacob Grimm's deutscher Grammatik, und wenn sie noch heute im Munde der Politiker und Publicisten lebt, ist dies ein seltenes Staunen verdienendes Zeugniß von der Bedeutung einer an äußerm Umfang bescheidenen Arbeit, die sich zur Aufgabe setzt, für ihre Zeit und aus ihrer Zeit heraus sprechen zu wollen. Wer kann sagen, was Savigny, wenn er lebte, von dem Berufe „unserer" Zeit für Gesetzgebung dächte? Liest man indeß die von edler Vaterlandsliebe, von gesundem deutschem Sinn, von kräftigem Staatsgefühl getragene Schrift, so kann ma« sich der hoffenden Ueberzeugung nicht erwehren, da>ß der große Meister der geschichtlichen Rechts¬ wissenschaft die zwingende Pflicht unserer Zeit zur Gesetzgebung anerkennen, und daß er ihr den Beruf zur Gesetzgebung, weniger als jener Zeit, wo das Recht noch nicht von seinem Geist erfüllt war, absprechen würde. Unsere Zeit hat die Pflicht der Gesetzgebung. Was die Germanisten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/336>, abgerufen am 27.07.2024.